Über die Jahrzehnte hat sich das World Wide Web zu einer gefährlichen Quelle für Manipulation, Propaganda und Revisionismus entwickelt. Heute ist es mehrheitlich in der Hand mächtiger Konzerne und Oligarchen und wird in deren Sinn genutzt. Mehr denn je muss daher das Bewusstsein für die Gefahren des WWW und ein Umgang mit ihnen gepflegt und trainiert werden.
Wenn europäische Verbrecher von zu Hause abhauen und irgendwo eine »neue Welt« entdecken und sie »erobern«, dann müssen die Ureinwohner dieser Welt schnell weichen und den »Siedlern« Platz machen, weil sie sonst von ihnen umgebracht werden. So ist es in der analogen und in der digitalen Welt. Das Internet – herkömmlicher Spitzname für das World Wide Web – ist auch so eine neue Welt. Die Siedler sind hierhergekommen und kommerzialisieren auch hier, was sie vorfinden. Alles muss käuflich sein. Und damit muss alles verkäuflich sein.
Dabei waren die Siedler anfangs zaghaft. Das World Wide Web, zunächst als wichtigstes Tool der Demokratisierung von Wissen, Bildung und Information gefeiert, war ihnen erst einmal nicht geheuer. Bill Gates, ein angeblich genialer Tech-Milliardär, stattete sein Windows gleich einmal gar nicht mit einem Browser aus. Ich kann mich noch erinnern, wie man anfangs der 1990er-Jahre auf Windows 3.1 mühsam manuell den Netscape Navigator installieren musste, um Webseiten anschauen zu können. Dieses Zeitalter war das goldene Zeitalter des Internet.
Ein Geschäft daraus machen
Das Elend begann mit der Pervertierung des statischen Protokolls HTTP, das ideal zur Darstellung von Texten ist, aber sich nicht eignet, um damit einen Shop zu eröffnen. Es mussten also Scripts her, vor allem client-seitige Scripts, kleine Programme, die manchmal funktionieren, manchmal nicht, um es möglich zu machen, dass man auch im Internet bezahlt.
Die Verunstaltung des bis dahin friedlichen Ortes ging vonstatten. Noch aber hatte die Kommerzialisierung keine verheerende Auswirkung. Das Netz wuchs und bot allerlei Bequemlichkeiten. Die Unternehmer entdeckten das bald für sich. Die Banken etwa sagten: Die Menschen können ihre Banktransaktionen bequem von zu Hause aus selber machen; wir verlangen trotzdem Gebühren dafür, kündigen aber teures Personal in den Filialen und sparen so viel Geld. Trotzdem waren wir da immer noch im silbernen Zeitalter.
Das Web 2.0 – Scheindemokratisierung und Scheinermächtigung
Mit dem Smartphone und der engmaschigen Versorgung mit Internetverbindungen begann das eherne Zeitalter: Der Output der User sollte nun das Netz bestimmen. Web 2.0 nannte man es. Eine Scheindemokratisierung und Scheinermächtigung, der wir die Missachtung jeglicher Fachkompetenz zu verdanken haben. Durch das Web 2.0, Bewertungen, Kommentare und Social Media konnte es jede und jeder den Ärzten, Lehrern, Juristen, Wissenschaftlern, Journalisten und wem auch immer endlich heimzahlen. Das letzte Wort hat seither der Poster, der sein früheres Motschgern am Stammtisch, das vielleicht zwei oder drei Zuhörer hatte, heut auf der Weltbühne abhält.
Nun begann die Politik zu erahnen, wo und wie Propaganda und Manipulation effizient möglich sind. Fast entzückend noch die Ideen Straches im berüchtigten Ibiza-Video, sich die Kronen Zeitung unter den Nagel oder zumindest unter den dreckigen Zehennagel zu reißen. Die Oligarchen der USA sind da weiter. Als Privatperson kaufte Elon Musk Twitter und hat es heute zur weltführenden Plattform für neonazistische Umtriebe gemacht, wobei er selbst Postings mit Hakenkreuzen teilt.
Verbreitung von Fehleingaben
Es bleibt nur mehr ein Zeitalter über: das eiserne Zeitalter. Hier geht es um den letzten Schritt: Revisionismus. Eine Geschichtsschreibung, wie sie dem Herrscher konveniert oder er sie selbst ausgeheckt hat. Das Orakel, das diese Fiktionen als Wahrheiten verbreitet heißt KI, obwohl es die sehr unintelligente Verbreitung von menschlichen Fehleingaben ist.
Täglich stoße ich bei Songs, Büchern und historischen Fakten auf falsche Informationen, vor allem bei der sogenannten »Übersicht mit KI« von Google, die sich laut Information von »Übersicht mit KI« von Google nicht abschalten lässt. Hoffentlich ist auch das eine Fehlinformation.
Der erste Google-Treffer
Aus Krankenhäusern höre ich, dass Ärztinnen und Ärzten bereits verboten wird, sich, wenn sie schnell Informationen aus dem Netz holen wollen, am ersten Google-Treffer zu orientieren. Unterrichtende an Unis und Schulen erzählen mir, dass haarsträubende Fehlinformationen und Nonsens in Aufsätzen und Facharbeiten zu finden sind. Zusammen mit der Vision der Allerhältlichkeit und mit dem Aschbacherismus, nicht zu studieren, um sich Kompetenzen und Fachwissen anzueignen, sondern um – auf welche Weise auch immer – zu einem akademischen Titel zu kommen, sind Tools, die nun vermeintlich die Arbeit für uns erledigen, der letzte Schritt die interpassive Gesellschaft, wie Robert Pfaller sie beschrieben hat, zur Wirklichkeit zu machen.
In den Händen der oligarchischen Regierungschefs wie Donald Trump, werden diese Tools in Zukunft die zentrale Rolle bei der Verbreitung von Desinformation und Propaganda spielen. Erst am 11. Dezember hat Donald Trump eine sogenannte »executive order« unterschrieben, der die Regulierung von KI unterbinden soll. Trump tanzt ganz nach der Pfeife der Tech-Lobby. Er wird seine Gegenleistung verlangen und erhalten.
Es ist eine Gefahr geworden
Nun stehen Geschichtsfälschung und Revisionismus alle Tore offen und sie haben gute Aussicht, durch unkritische Übernahme in Medien und auch wissenschaftliche Arbeiten reingewaschen zu werden. Was heute noch als Fehlinformation enttarnt wird, ist bald vielleicht schon Lehrmeinung. Noch gibt es Menschen, die Methoden kennen und benutzen, dem etwas entgegenzuhalten. Aber wird es solche Menschen noch in fünfundzwanzig Jahren geben?
Es hilft nichts anderes gegen diese großen Gefahren als eine unerschütterliche Ethik und Wahrheitsliebe, die wir selbst definieren und leben, auch und gerade wenn so viele um uns herum das Gegenteil tun. Wir müssen »dem Internet« misstrauen wie jedem anderen Medium. Wir brauchen Bibliotheken und Gedächtnisinstitutionen, die das Sammeln und Aufbereiten von Inhalten als einziges Ziel haben. Und wir dürfen die analogen Quellen nicht aufgeben. Es ist Unsinn, dass es im Netz »alles« gibt und dort »alles erhältlich ist«. Das Netz ist ein Produkt und Spekulationsobjekt wie jedes andere geworden. Es ist eine Gefahr geworden. Das heißt nicht, dass man es völlig meiden muss. Aber man muss damit, wie mit jeder anderen Informationsquelle umgehen können – kritisch umgehen können.
