Diskussionen über Datensouveränität werden in Europa geführt. Aber wo sind die konkreten Pläne, sie zu verwirklichen? Wenn sich die europäischen Demokratien gegen den weltweit grassierenden Totalitarismus zur Wehr setzen wollen, müssen sie endlich in die Gänge kommen.
Vielerorts lese ich, die Konsumenten wären heute kritischer denn je. Woran auch immer das zu erkennen ist. Beim Gebrauch von Computern, sei es als Smartphone, Smartwatch, Tablet, Laptop, Desktop oder auch TV-Geräten und allem, was mit dem World Wide Web verbunden ist, kann ich diese kritische Einstellung kaum finden. Es sollte ein großes Thema unserer Zeit sein. Doch hinter dem manipulativen Nachrichtenschwall, etwa zum Thema Migration, der heute bereits mehrheitlich KI-generiert ist, gehen die Themen verloren, die unsere Aufmerksamkeit haben sollten.
Das World Wide Web hat die Welt erobert. Kaum ein Elektrogerät, das nicht mit dem Netz verbunden ist. Die Daten, die wir abspeichern oder produzieren, werden immer häufiger nicht lokal gespeichert, sondern in sogenannten Clouds. Wo befinden sich diese Clouds? Wem gehören sie? Und wie sieht es mit der Sicherheit aus? Um diese Fragen hat man sich in Europa in den letzten dreißig Jahren kaum gekümmert.
Das Problem proprietärer Software
Vor fünfundzwanzig Jahren habe ich in der Erwachsenenbildung als Referent für Bibliotheken gearbeitet. Ich habe gesehen, wie viel Fördergelder in den Ankauf von Software flossen – Geld, aus dem man mehr hätte machen können. Vor allem hätte man mehr Autonomie erreichen und sinnlose Ausgaben verhindern können.
Ich entwickelte damals ein Projekt, um eine kostenlose Software für Bibliotheken zu entwickeln, die nicht nur die Ausleihe abwickeln kann, sondern auch hoch qualitative Katalogisate, Möglichkeiten zur Statistik-Erstellung, zum Bestandscontrolling und vieles andere bereitstellt. Auch sollte diese Software die Möglichkeit bieten, auf anderen Betriebssystemen als Microsoft Windows zu laufen. Denn Windows ist – wie jede proprietäre Software – ein großes Problem. Windows ist ein gewaltiges Sicherheits- und Mehrkostenproblem. Man muss Anti-Viren-Programme anschaffen, die Wartung ist teurer als bei anderen Betriebssystem, die Hardware muss viel zu oft erneuert werden und so weiter. Und ob der Big-Brother Microsoft nicht auf alle damit betriebenen Computer zugreifen kann, wenn sie im Netz hängen, wissen wir schlichtweg nicht. Denn wir kennen den Quellcode nicht.
Was drinnen ist
Egal ob es sich nun um Betriebssysteme, Datenbanken oder Anwendungssoftware handelt: Wir sind fest im Griff US-amerikanischer Konzerne. Und geben wir es doch zu: Wir wissen nicht, wo unsere Daten landen. Wir wissen nur, dass mit ihnen Geld gemacht wird – und zwar sehr viel Geld. Wohin wir gehen, was wir kaufen, wen wir kontaktieren, was wir suchen und wissen wollen … All diese Informationen schenken wir Konzernen, die sich längst für die Weltherrschaft bereitmachen. Für eine nicht-demokratische Herrschaft wohlgemerkt.
Als im Zuge der Covid-Pandemie die ersten Impfstoffe auftauchten, meldeten sich auch erste Impfgegner. Oft gebrauchten sie das Argument, sie wollten nicht geimpft werden, denn sie wüssten nicht, was im Impfstoff drinnen sei. Ich hoffe sehr, dass diese Menschen wissen, was in ihren Handys und Computern drinnen ist. Doch ich fürchte, dass es nicht so ist; sonst müssten sich bereits massive Gruppierungen gebildet haben, die Druck auf die Politik ausüben.
Keine Trolle füttern
Ein wenig kommt die Sache nun doch in Gang. Es wird über Datensouveränität diskutiert. Es ist nicht zu spät dafür. Aber: Es muss endlich gehandelt werden. Freilich wird man sich, wenn man europäische Lösungen schafft, den Zorn der Konzerne zuziehen, die damit ein Stück entmachtet werden. Nachdem besonders die konservativen Parteien in Europa sich von der Öl-Lobby anfüttern und instrumentalisieren lassen, ist es schwer vorstellbar, dass sie sich hier dem Diktat der US-Konzerne widersetzen. Das ist aber unabdingbar notwendig, wenn man souverän werden will.
Problematisch sind auch die EU-Länder, die ihre Solidarität mit der Union längst aufgegeben haben, wie es Viktor Orbán expressis verbis getan hat. Letztendlich müssen strenge Regelungen hier Lücken verhindern. Denn es ist militärisch, wirtschaftlich, aber auch in der Datenverarbeitung gefährlich, wenn man den Troll – egal ob er für Russland, China oder US-Konzerne spioniert – in den eigenen Reihen sitzen hat und auch noch fleißig füttert.
Es wurde nichts
Als ich mein Projekt für eine freie, kostenlose Bibliothekssoftware um die Jahrtausendwende vorstellte und Unterstützer suchte, sagte ein damals einflussreicher Mann in einem Gremium zu meinem Plan: »Geh bitte! Wer will schon einen Trabbi haben, wenn es nur den Trabbi gibt!«
In dieser Mentalität leben wir nun seit mehr als einem Vierteljahrhundert. Die Stadt Wien hat – ebenfalls zur Jahrtausendwende – ein großes Projekt gestartet, die gesamte öffentliche Verwaltung auf Linux umzustellen. Hier hätte man mit den entsprechenden IT-Experten ein eigenes sicheres Betriebssystem aus dem Source-Code erstellen und weiterentwickeln können. Es war eine große Chance. Was auch immer damals geschehen ist. Ich denke: Die Microsoft-Manager werden mit entsprechendem Entgegenkommen reagiert haben. Aus der Sache wurde nichts. Schade!
Das WWW als Waffe
Wenn wir heute also von Datensouveränität reden und Lösungen andenken, dürfen wir eines nicht vergessen: Es braucht nicht nur die entsprechenden Entwicklungen, es braucht auch die Energie und den Mut, die Veränderungen umzusetzen. Es wird viel Gegenwind geben. Von Außen wird er von den Konzernen kommen, deren Produkte man ablöst. Von Innen wird er von denen kommen, die den Trabbi nicht wollen, sondern einen Tesla.
Dennoch ist das Streben nach Souveränität das Wichtigste und einzig Richtige. Denn das gesamte World-Wide-Web ist heute schon, durch den Output, den es bereits selbst erzeugt, zu einer Waffe der Fehlinformation und Wettbewerbsverzerrung geworden.
Europäische Eigenständigkeit
Wie in der Politik führt die Globalisierung in der Informationsverarbeitung, ohne strenge staatliche Regulierung (die Regulierung durch demokratische Staaten wohlgemerkt), dazu, dass Software und Datenspeicherung zu Waffen des Totalitarismus werden.
Europa und die europäischen Staaten brauchen Sicherheit, um ihre Demokratien gegen den Totalitarismus zu verteidigen und vor allem: um sich von ihm unabhängig zu machen. Die riesige Aufrüstungswelle in der EU, die wieder nur Milliarden in die USA verschiebt und weitere Abhängigkeiten schafft, ist gefährlich und sinnlos. Europa braucht ein eigenes Denken, Handeln und die politische Durchsetzungskraft, um seine Eigenständigkeit auch zu leben.
