Die deutsche Stadtbild-Debatte hat nun auch Österreich erreicht. Daran erkennt man, dass der besonnen wirkende Bundeskanzler Stocker nicht besser ist als seine Vorgänger. Denn mit der Problematisierung von Ausländischem im Stadtbild greift er Nazi-Jargon auf.
Kurz dachte ich ja: Stocker wird es schaffen. Er wird es schaffen, Gerald Fleischmann loszuwerden und August Wöginger. Eben langsam und in zwei, drei Schritten. Und so wird er irgendwann die radikalisierte Kurz-ÖVP hinter sich lassen. Doch ausgerechnet das Wochenende mit dem Nationalfeiertag macht uns klar: Die Relativierung des Nationalsozialismus in der ÖVP ist in höchsten Regierungskreisen angekommen. Johanna Hager und Josef Gebhard haben Kanzler Stocker für den Kurier-Podcast interviewt. Dort sagt Stocker, er »kann dem Stadtbild-Sager von Merz etwas abgewinnen«. Und weiter:
»Es wäre falsch, so zu tun, als würde es das alles nicht geben. Und ich finde auch nichts Diskriminierendes an dieser Aussage – das ist eine Beschreibung der Wirklichkeit. Wenn wir nicht mit offenen Augen und ehrlich mit dem Thema umgehen, dann werden die Menschen der Politik auch nicht mehr vertrauen.«
Nun kann ich ihm nicht mehr trauen. Denn wie wir längst wissen ist der schreckliche Ausspruch Merz‘ die Paraphrase eines Satzes von Joseph Goebbels.
JOSEPH GOEBBELS: »Berlin muss eine judenreine Stadt werden. Es ist empörend und ein Skandal, daß in der Hauptstadt des deutschen Reiches sich 76 000 Juden, zum größten Teil als Parasiten, herumtreiben. Sie verderben nicht nur das Straßenbild, sondern auch die Stimmung.«
FRIEDRICH MERZ: »Wir sind bei der Migration sehr weit. […] Aber wir haben im Stadtbild immer noch dieses Problem.«
Österreich-Scham am Nationalfeiertag
Noch vor fünfzehn Jahren hätte ein deutscher Kanzler eine solche Normalisierung des Nationalsozialismus und seiner Sprache nicht vorgenommen. Und wenn hätte er zurücktreten müssen. Noch vor fünfzehn Jahren hätte ein FPÖ-Politiker nach einer solchen Aussage zurücktreten müssen. Heute sind alle still, nach dem das Unfassbare gesagt wird. Ich schäme mich für diesen Kanzler und ich schäme mich für Österreich. Am Nationalfeiertag.
Merz und Stocker sagen bewusst, was sie sagen. Das macht es nur noch schlimmer. Sie sind Populisten auf Stimmenfang. Nur könnte Stocker von NEOS, Grünen und vor allem den vielen Nicht-Wählern, die die ÖVP durch ihren Rechtsruck produziert hat mehr Stimmen holen, als von der FPÖ.
Die Sprache des Nationalsozialismus kann auch in Österreich wieder benutzt werden. Und es gibt keinen Aufschrei in Österreich. Nichts. Der Standard bringt dazu einen APA-Artikel. Auf Krone-TV interviewt Tanja Pfaffeneder Christian Lindner.
Merz ist unbeliebt, Stocker mutlos
Merz‘ Strategie hat nicht gefruchtet. Der Tagesspiegel schreibt:
»Groß ist auch der Unmut über Friedrich Merz als Bundeskanzler. Keiner war nach so kurzer Zeit so unbeliebt.«
Bei Kanzler Stocker hat man dieses Gefühl nicht. Doch trotzdem gibt Stocker sich völlig mutlos. Zwei seiner Ministerinnen, nämlich Gerhard Karner und Claudia Plakolm, sind ein veritables Problem für die Demokratie und die Verfassung. Auch hier hält Stocker still. Er hält allen, die nicht mehr tragbar sind, die Stange: Wöginger, Fleischmann, Karner, Plakolm. Die ÖVP könnte ohne sie besser dastehen.
Es ist an der Zeit, dass die konservativen Parteien sich fragen, ob sie jede Krise mit Rechtspopulismus und Rechtsruck beantworten wollen und so immer weiter abgleiten. Ich hätte Stocker mehr Mut zugetraut.
Titelbild: Manon Véret
