Der Staatsbesuch von Kanzler Merz in Israel wird in der deutschen Presse ernüchternd aufgenommen. Inzwischen schließt auch Netanjahu eine militärische Annexion des Gazastreifens nicht mehr aus. Doch Merz ist in seinem demokratischen Handeln gelähmt.
Der Staatsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz in Israel war kein Schritt in Richtung Frieden und einer Chance für ein friedliches Leben von Millionen Palästinensern. Seine Sprache ist Beschwichtigung, seine Haltung zur Demokratie von Taktik geprägt, nicht von Überzeugung. Kristiana Ludwig in der Süddeutschen Zeitung:
Merz hat nun zwar zur Mäßigung aufgerufen, auf eine Zweistaatenlösung verwiesen und den Wiederaufbau von Gaza, Frieden und Selbstbestimmung für beide Seiten gefordert. Das waren richtige Appelle. Den Stopp der Waffenlieferungen, den er im Sommer erlassen hatte, hat Merz aber längst wieder aufgehoben – es sei nur eine einmalige Maßnahme in einer besonderen Situation gewesen, sagte er. Auch eine Notwendigkeit für Wirtschaftssanktionen sehe er nicht. Doch Deutschlands Unterstützung für Israel kann nicht bedingungslos sein.
In Zeiten, in denen die westlichen Demokratien alle Hände voll zu tun haben, die Wichtigkeit und Richtigkeit des Völkerrechts zu motivieren, kommt von Merz dazu leider nichts. Ludwig weiter:
Wenn der Kanzler von der historischen Verantwortung Deutschlands spricht, sollte er diese nicht nur gegenüber Jüdinnen und Juden spüren, sondern auch gegenüber dem humanitären Völkerrecht. Merz hat sich aber entschieden, Netanjahu mit einem Besuch zu beehren, obwohl der Internationale Strafgerichtshof wegen dessen Kriegsführung in Gaza einen Haftbefehl erlassen hat. Er hat also überwiegend positive Signale an die zudem in Teilen rechtsextreme Regierung gesandt. Dabei müsste er dringend echte Veränderungen einfordern und klare Konsequenzen benennen, etwa Sanktionen. Oder dass deutsche Regierungsvertreter von Besuchen oder anderen politischen Gesten zugunsten von Israels radikaler Regierung absehen. Damit würde er einem demokratischen, liberalen Israel einen wesentlich größeren Gefallen tun.
Man möchte schreien
Pauline Jäckels sieht in der TAZ nichts als deutsche Heuchelei und eine Rückkehr Israels zur Zwangsumsiedlung der Palästinenser:
Eigentlich möchte man schreien – und all die Momente deutscher Heuchelei noch einmal vollumfänglich aufzählen. Noch einmal darauf hinweisen, dass es ein rechtsextrem regiertes Israel ist, an das sich Merz anbiedert. Und dass Israels genozidale Kriegsführung nicht vorbei ist. 360 Palästinenser wurden seit Beginn des sogenannten Waffenstillstands getötet; nun drängt Israel auf eine einseitige Grenzöffnung nach Ägypten – faktisch ein Zurück zum Plan der Zwangsumsiedlung. Wenn sich Merz für eine Zweistaatenlösung einsetzen wollte, wie er erneut behauptete, müsste er gegen den unwilligen Netanjahu den einen Hebel bedienen, den er in der Hand hat. Deutschland müsste aufhören, die Aufhebung des EU-Assoziierungsabkommens mit Israel zu blockieren. Aber es brächte nichts, all das zu wiederholen, es bringt zwei Jahre lang nichts. Der Kanzler weiß all das. Und es ist ihm egal – oder zumindest nicht wichtig genug, um die deutsch-israelischen Beziehungen weiter zu strapazieren.
Merz opfert sein Schweigen laut Jäckels vor allem wirtschaftlichen und militärischen Interessen:
Was ihm nicht egal ist, sind hingegen die Interessen der Bundesregierung: die wirtschaftliche und militärische Zusammenarbeit mit Israel, das importierte Raketenabwehrsystem Arrow 3 und allen voran die Allianz mit den USA. Auf solche für den Wirtschaftsstandort Deutschland notwendigen Allianzen will man nicht verzichten. Zynische Politikrealisten würden sagen: So funktioniert globale Politik eben. Im Grundsatz ist sie von Interessen, nicht von Moral geleitet. Aufrechte Menschen würden erwidern: Dann muss eben alles anders werden.
Abhängig von Waffenkäufen
Was die Europäische Union einzigartig machte, wäre, wenn sie kein Raketensystem kaufen würde – weil sie keines braucht. Es wäre einzigartig, wenn dieser Staatenbund als Friedens- und Sozialunion die Steuersysteme seiner Mitgliedsstaaten harmonisieren und Kultur und Wirtschaft fördert, anstatt rechtsextreme Staaten durch Waffenkäufe zu stützen. Doch unter rechtskonservativer Führung der EU passiert genau das Gegenteil. Matthias Wyssuwa und Franca Wittenbrink in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:
Dazu beitragen dürfte auch die vertiefte Zusammenarbeit Israels und Deutschlands auf der Ebene der Sicherheitspolitik. Netanjahu spricht in dieser Hinsicht am Sonntag von einem „historischen Wandel“: „Israel, der jüdische Staat, arbeitet 80 Jahre nach dem Holocaust für die Verteidigung Deutschlands“, sagt Netanjahu mit Blick auf die Stationierung des israelischen Raketenabwehrsystems Arrow 3 in Deutschland. Itzhak Herzog hatte diesen Schritt am Vorabend als „wichtig und bewegend“ bezeichnet.
Längst schmiedet die rechtsextreme Regierung in Israel Pläne, mit denen sie sich Putin angleicht. Frühere Verträge ignoriert sie. Maria Fiedler im SPIEGEL:
Auch Merz’ Worte zum Westjordanland dürften Netanjahu wenig beeindrucken. Dort nimmt die Siedlergewalt zu. Die israelische Regierung weitet den Siedlungsbau aus, was in Zukunft die Gründung eines lebensfähigen palästinensischen Staates immer unwahrscheinlicher macht. Merz mahnt, es dürfe im Westjordanland »keine formellen, keine politischen oder sonstigen Maßnahmen« geben, die in ihrer Wirkung auf eine Annexion hinauslaufen. Netanjahu aber schließt kurz darauf eine Annexion nicht aus.
Auch wenn zwischen Netanjahu und Merz in persönlichen Gesprächen immer wieder deutliche Worte fallen: Merz’ öffentliche Kritik an Netanjahus Vorgehen bleibt an diesem Sonntag im Vagen. Er lässt die ständigen Brüche der Waffenruhe unerwähnt. Er kritisiert nicht, dass Israel im Gazastreifen weiter Zivilisten tötet und dass noch immer zu wenig humanitäre Hilfe ankommt.
Europa wird auf diese Art nach vielen Jahrzehnten wieder der angeblich friedfertige Dulder von völkerrechtlichen Übergriffen und territorialem Imperialismus. Wohin sie führen, sollte man wissen. Aber egal. Aus der Geschichte lernen …. Das war wohl auch nur ein politischer Slogan, der heute aus der Mode gekommen ist.
Titelbild: Manon Véret
