Es rumort in Wiener Neustadt. Die ÖVP schaffte es, einen historischen Verkauf der Gemeindebauten durch den Gemeinderat zu peitschen. Von SPÖ und FPÖ will ihr dabei niemand geholfen haben. Klar ist: irgendjemand lügt.
Seit Anfang Oktober ist es fix: Wiener Neustadt verkauft nach einer rätselhaften Abstimmung im Gemeinderat den Großteil seiner historischen Gemeindebauten. In der Abstimmung wurde eine Neustrukturierung der Gemeindebauverträge gebilligt. Für Bürgermeister Klaus Schneeberger (ÖVP) ist das kein großes Problem, seine Stammwählerschaft wohnt nicht im Sozialbau. SPÖ und FPÖ kann der Verkauf jedoch Probleme bereiten.
Beide Parteien sprachen sich vor der Abstimmung im Gemeinderat gegen den Verkauf aus. SPÖ-Chef in Wiener Neustadt, Rainer Spenger, warb im Wahlkampf mit dem Erhalt des Gemeindebaus, genauso tat es FPÖ-Kandidat Philipp Gerstenmayer. Klar scheint aber, dass entweder Teile der SPÖ, Teile der FPÖ oder Mandatare von beiden Parteien für den Verkauf gestimmt hatten. Sowohl die Sozialdemokraten als auch die Freiheitlichen sind in Wiener Neustadt in einer Koalition mit der ÖVP.
Schneeberger, in der niederösterreichischen ÖVP bestens vernetzt, begründete den Verkauf mit der finanziellen Lage der Gemeinde. Die jetzt verkauften Gemeindewohnungen würden für die Stadt Verluste bedeuten, seien nicht rentabel und könnten nicht gewinnbringend saniert werden, so die Darstellung der ÖVP. Doch mit dieser Einschätzung ist die städtische Volkspartei um Schneeberger und Bundeskanzler Christian Stocker, der lange Zeit Finanzstadtrat in Wiener Neustadt war, zumindest offiziell weitgehend allein.
SPÖ-Chef bestreitet Verkaufsabsichten
Vier Wochen vor der geplanten Gemeinderats-Abstimmung zur Neustrukturierung der 1.600 Gemeindebauwohnungen lud der Vorsitzende der SPÖ Wiener Neustadt, Vizebürgermeister Rainer Spenger, zu einem parteiinternen Treffen. Zur Verwunderung einiger Insider auch zu Gast: Christian Töltl, im Jahr 2020 unter Schneeberger zum Geschäftsführer der IFP GmbH bestellt worden, eine hundertprozentige Tochter der Stadt. Sie besitzt die städtischen Immobilien, Freizeitinfrastruktur und Parkplätze, darunter fallen auch die Gemeindewohnungen. Im Aufsichtsrat der IFP, wo auch FPÖ-Mann Gerstenmayer und SPÖ-Gemeinderätin Barbara Dunst saßen, war der Verkauf bereits Anfang Oktober abgesegnet worden. Dunst habe ihre Funktion mittlerweile zurückgelegt, wie sie ZackZack berichtete.
Gemeinsam mit Töltl warb Spenger laut Darstellung von Kennern aus der Wiener Neustädter Politszene vor den versammelten Sozialdemokraten für den Verkauf der Gemeindebauten. Töltl gab laut Insidern an, die Renovierung einer Gemeindewohnung würde 30.000 Euro kosten, eine stemmbare Summe. Der IFP-Geschäftsführer habe laut anonymisiertem Insider zu verstehen gegeben, dass in den letzten Jahren wenige Wohnungen saniert worden seien. Gegenüber ZackZack spricht die Person ihre Vermutungen aus: „Man minimiert die Einnahmen um dann sagen zu können, das ist nicht leistbar.“ Töltl war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.
Die Stimmung war geladen. Einige Parteimitglieder trauten ihren Ohren nicht und befürchteten, Spenger und dessen Mitstreiter würden im Gemeinderat für den großflächigen Verkauf der Gemeindebauten stimmen, obwohl er im Wahlkampf das Gegenteil behauptet hatte.
Spenger selbst stellt die Lage gegenüber ZackZack anders dar. Er sei schon immer gegen den großflächigen Verkauf gewesen, antwortet er auf Anfrage: „Lediglich von einigen desolaten und defacto unsanierbaren, leerstehenden Objekten hätte man sich trennen sollen. Damit war ich voll auf Linie des SPÖ-Wahlprogrammes. Und dafür hat es am Ende ein einstimmiges Votum im Parteivorstand gegeben“, so Spenger, der zudem beteuert, gegen den Verkauf gestimmt zu haben.
Rückendeckung erhält er dabei vom Klubchef der Wiener Neustädter SPÖ, Christian Hoffmann. Dieser sagt auf Anfrage: „Unser Parteivorsitzender und Vizebürgermeister hat über Monate in harten Gesprächen mit ÖVP und FPÖ versucht, einen Verkauf abzuwenden.“
Darstellungen von Kennern der Wiener Neustädter Politszene zu einem SPÖ-internen Treffen Mitte September widersprechen diesen Aussagen jedoch: „Dunst und Spenger haben eine Powerpoint-Präsentation abgehalten, wo dargelegt wurde, warum sie für den Verkauf sind. Nach einer 6-stündigen Sitzung war die Stimmung so, dass eine Abstimmung gefordert worden ist.“
Übereinstimmende Quellen berichten ZackZack vom Ausgang der SPÖ-internen Abstimmung am 28. September: Mit 15 zu 9 Stimmen (andere Quellen berichten von 16 zu 9) hätten sich die Gegner des Verkaufs durchgesetzt. „Wutentbrannt“ habe Spenger den Raum verlassen, schilderten anonymisierte Quellen gegenüber ZackZack.
Spenger sprach sich schließlich kurz vor der Abstimmung im Gemeinderat am 7. Oktober medienwirksam gegen den Verkauf der 1.600 Gemeindebauten aus und stellte einen 5-Punkte-Plan für den Gemeindebau vor.

ZackZack fragte Spenger, wie die Abstimmung am 7. Oktober zugunsten der Neustrukturierung des Gemeindebaus ausgehen konnte, wenn SPÖ und FPÖ dagegen waren. Dieser antwortete: „Das dürfen Sie nicht mich fragen, sondern die anderen im Gemeinderat vertretenen Fraktionen.“
Von Barbara Dunst wollte ZackZack wissen, wie SPÖ und FPÖ im Aufsichtsrat der IFP GmbH abgestimmt haben. Sie berief sich auf ihre gesetzliche Schweigepflicht. Zum parteiinternen Treffen befragt sagte sie: „Dadurch, dass es eine parteiinterne Sitzung war, geht Sie das nichts an.“
Rätsel um geheime Abstimmung
Im Gemeinderat wurde kurz vor der entscheidenden Abstimmung ein Dringlichkeitsantrag von der ÖVP eingebracht: Man wolle die ohnehin schon nicht-öffentliche Abstimmung auch noch geheim durchführen lassen. Außer bei Personalfragen habe es so etwas im Gemeinderat noch nie gegeben, berichten Insider aus der Wiener Neustädter Politszene. Genügend Mandatare der FPÖ und SPÖ hätten für die geheime Wahl gestimmt.
Die Abstimmung ging mit 21:17 für den Verkauf der Gemeindebauten aus. Weil die ÖVP nur über 15 Stimmen im Gemeinderat verfügt und die ebenfalls für den Verkauf stimmenden NEOS und die Liste Kanber Demir über je eine, mussten vier Stimmen von SPÖ und FPÖ kommen. Die Grünen stimmten geschlossen gegen den Verkauf. Sowohl SPÖ als auch FPÖ bestreiten aber vehement, für den Verkauf gestimmt zu haben. Durch die geheime Wahl konnten beide Parteien ihre Geschichte von der geschlossenen Ablehnung erzählen. Klar scheint, dass es jemand mit der Wahrheit nicht so genau nimmt.
Die 1.600 Gemeindebauwohnungen sollen in einem internationalen EU-Bieterverfahren zum Verkauf angeboten werden. Abgewickelt wird das Verfahren von der US-amerikanischen Immobilienfirma CBRE, die eine Niederlassung in Wien betreibt. Wie viel die Stadt damit einnehmen wird, weiß sie selbst nicht genau. Die vielen unbefristeten Mietverträge in den angebotenen Objekten machen das Paket für potenzielle Investoren unattraktiver.
ÖVP wollte schon immer verkaufen
Die Stadt Wiener Neustadt machte zuletzt mit den Gemeindebauten rund 4 Millionen Euro Verlust pro Jahr. Für Schneeberger ein Grund, sich vom Großteil der Wohnungen zu trennen.
Doch das wäre nach Ansicht des ehemaligen Vizebürgermeisters und Wohnbaustadtrats Michael Schnedlitz, mittlerweile Generalsekretär der FPÖ, nicht notwendig. Der immer wieder ins Feld geführte hohe Leerstand und der schlechte Zustand einiger Wohnungen sind für Schnedlitz nicht der wahre Grund für den geplanten Verkauf: „Der Leerstand wäre in zwei Jahren auf null, wenn man sanieren würde“, sagt der FPÖ-General im Gespräch mit ZackZack und stellt klar: „Die ÖVP war schon immer für den Verkauf. Das war schon immer der Konflikt zwischen mir und Stocker damals.“ In seiner Amtszeit als Wohnbaustadtrat wären 700 bis 800 Gemeindewohnungen saniert worden.
Schnedlitz ist sich sicher, dass die bestehenden Verträge zwischen Stadt und IFP der Grund für den Verkauf sind. Denn durch einen „Fruchtgenuss-Vertrag“ muss die Stadt jährlich Millionen an die IFP zahlen, damit diese ihren hohen Schuldenstand abbauen kann. Die Entscheidung sei letztendlich eine politische, so Schnedlitz. Die ÖVP unter Schneeberger und Stocker wolle dieses Geld nicht mehr bezahlen. Man wolle verkaufen, um die Verträge zwischen Stadt und IFP neu zu gestalten.

Credits: APA-Images / APA / HELMUT FOHRINGER
Der FPÖ-General sparte auch nicht mit Kritik an seinen Vorgängern. Von der SPÖ-Alleinregierung hätte er als Wohnbaustadtrat einen riesigen Schuldenberg geerbt. Von den jetzigen Akteuren in der Stadtpolitik bringe niemand das nötige Verständnis für die komplexe Lage des Gemeindebaus mit, meint Schnedlitz. „Auch Leute von meiner eigenen Partei haben ich gefragt, was sie tun müssen“, sagt er. Der prominente FPÖler ist sich aber sicher, dass nicht die FPÖ, sondern Personen aus der SPÖ letztendlich mit der ÖVP für den Verkauf gestimmt haben: „Der Spenger war zu schwach, dass er da dagegenhält“. Schnedlitz gibt sich im Gespräch als Fürsprecher des Gemeindebaus: „Meine Arbeit war 10 Jahre umsonst, wenn es jetzt zerschlagen wird, deswegen nehm ich das jetzt persönlich.“
Klubchef der Wiener Neustädter FPÖ ist niemand geringerer als der Bruder des stellvertretenden Landeshauptmannes Udo Landbauer, Alexander Landbauer. Die freiheitliche Stadtpartei verlautbarte, sie habe Fotos von ihren Stimmzetteln gemacht, die belegen würden, dass ihre Mandatare gegen den Verkauf gestimmt hätten. Von ZackZack zum Stimmverhalten bei der geheimen Abstimmung am 7. Oktober befragt, sagte Landbauer: „Es ist korrekt, dass wir von der FPÖ-Fraktion in der Gemeinderatssitzung am 07.10.2025 geschlossen gegen die Abänderung des Fruchtgenussvertrages mit der IFP GmbH und damit gegen einen Abverkauf der Gemeindebauten gestimmt haben und dieses Stimmverhalten auch mittels Fotos dokumentiert haben.“ Aus rechtlichen Gründen könne er die Fotos aber nicht aushändigen, so Landbauer gegenüber ZackZack.
Philipp Gerstenmayer, der für die FPÖ in der Stadtregierung sitzt, äußerte sich auf ZackZack-Anfrage nicht.
Geld für Prestige und Spekulation
Für Projekte abseits des Gemeindebaus ist jedenfalls mehr Geld da. So seien unter Schneeberger die Kulturausgaben explodiert, berichten mehrere Quellen, die lieber anonym bleiben wollen. Alleine die Sanierung der Kasematten für die Landesausstellung verschlang Millionen. Die Sanierung des alten Rathauses wird mit 20 Millionen Euro veranschlagt.
Für Aufsehen sorgte auch der jüngste Grundstücksdeal der Stadt. Sie will ein leerstehendes Grundstück, das sogenannte Leiner-Areal, für 15 Millionen Euro kaufen. Ein Bebauungskonzept für das Grundstück fehlt. Der Deal soll am 15. Dezember im Gemeinderat fixiert werden. Ein Insider äußert sich gegenüber ZackZack dazu: „Man müsste jetzt das Leiner-Areal nicht kaufen. Wozu? Die Stadt hat kein Entwicklungskonzept, sie hat keine Strategie, was man dort machen will.“
Grüne machen gegen Verkauf mobil
Während einige Politkenner in Wiener Neustadt sowohl die FPÖ als auch die SPÖ im Verdacht haben, für den Verkauf gestimmt zu haben, wirft den Grünen das niemand vor. Sie positionierten sich immer schon gegen den Verkauf. „Die ÖVP hat nicht den Anspruch, in dieser Stadt einen sozialen Gedanken zu verteidigen“, sagt Wiener Neustadts Parteisprecherin Selina Prünster im Gespräch mit ZackZack. Überrascht habe sie deshalb nur, dass Gemeinderäte der SPÖ und der FPÖ für den Verkauf gestimmt haben könnten.
Die Grünen hätten der SPÖ die Chance gegeben, den Verkauf noch zu stoppen. Einen Antrag zu einer Sondersitzung zur Rückabwicklung des Verkaufs der Grünen wollten die Sozialdemokraten in Wiener Neustadt nach Darstellung der Grünen jedoch nicht unterstützen. Die FPÖ habe man nicht um Unterstützung des Antrages gebeten, so die Grünen.

Dass die Stadt kein Geld habe und deswegen verkaufen müsse, lässt Prünster so nicht gelten: „Schneeberger hat gute Kontakte ins Land Niederösterreich, mit dessen Hilfe er auch seine Prestigeprojekte umgesetzt hat, wie beispielsweise die Sanierung des Stadttheaters oder die Renovierung der Kasematten.“ Auch das habe sehr viel Geld gekostet. Das leere Grundstück, das als „Spekulationsobjekt“ ohne klares Konzept für 15 Millionen gekauft werde, sei für Prünster daher ein weiterer Skandal in der Wiener Neustädter Stadtpolitik.
Bürgermeister Klaus Schneeberger von der ÖVP wollte ZackZack-Anfragen zum Grundstückskauf und Sanierungen im Gemeindebau nicht beantworten.
Titelbild: Ernst Weiss / APA / APA-Images, Kurt Anton WikiCommons
