Herbert Kickl wurde beim FPÖ-Parteitag in Salzburg wiedergewählt. Für seine Rede hat er tief in sein Archiv gegriffen und alte Hüte aus der Haider-Zeit zum Leben erweckt.
Das Gedicht Freiheit, die ich meine von Max von Schenkendorf wurde vor allem durch die Liedfassung von Karl August Groos bekannt. Derselbe Titel wurde von Juliane Werding, Peter Maffay und der Münchner Freiheit verwendet. Er diente einem Autokonzern als Werbeslogan. Und Jörg Haider gab 1993 im Ullstein-Verlag ein Buch mit diesem Titel heraus.
Haider, der damals für die Abschaffung der Neutralität und den NATO-Beitritt eintrat, Sommerschulungen in Harvard machte und sich betont pro-amerikanisch gab, beschwor darin seine Vision einer Dritten Republik. Die Oberösterreichischen Nachrichten berichteten am 22. Dezember 1993:
Haiders Ziel ist die Schaffung einer Dritten Republik, die sich in den Grundzügen stark vom jetzigen Republiks-Gefüge unterscheidet. Der Bundespräsident soll nach Haiders Vorstellungen auch die Rolle eines Regierungschefs übernehmen.
Hannibal, Jefferson und der Apostel Paulus
Doch die Präsidentialrepublik scheint nicht die einzige Angleichung an die USA gewesen zu sein. In manchem aber scheint Haider die USA von heute visionär vorausgeahnt zu haben. Werner A. Perger schrieb am 17. Dezember 1993 in der ZEIT über Haiders Buch:
Weil er „als Herausforderer des Systems den schändlichen Geist der Verhetzung und Anpassung“ bekämpfe, klagt Haider, behandle ihn die etablierte Gesellschaft quasi wie einen Aussätzigen. Haiders Jammer „Mein Verbrechen besteht offenbar darin, daß ich nicht bereit bin, Mitglied einer autoritären Beifallsgesellschaft zu werden, die jedem noch so großen Schwachsinn applaudiert.“ Daß er mit seinen zahllosen Beleidigungsklagen gegen Journalisten nur selten durchdringt, dient ihm als Beweis für die Verschwörung gegen ihn und seine „Erneuerungsbewegung“.
Haiders Forderungen, die damals neu waren, sind heute ein alter Hut. Weil man aber zum Schmied nicht mehr gehen kann, muss man sich heute mit dem Schmiedl begnügen. Er führt das Werk seiner Vorgänger weiter. Und das mit Erfolg:
Beim Parteitag in Salzburg wurde Herbert Kickl als FPÖ-Chef bestätigt. Kickl – akademisch weniger erfolgreicher als sein Ziehvater, der promovierte Jurist Haider – redete von einer „Erneuerung“, die glücklicherweise schon so alt ist, dass die Jungwähler sie nicht mehr kennen können. Und auch er gibt sich US-freundlich. Die Tiroler Tageszeitung schreibt:
„Wir sind das größte Demokratisierungsprojekt dieses Landes“, gab Kickl die Marschrichtung seiner Partei vor. Dass er sich gerne von anderen Rechtspolitikern Inspiration holt, hatte er bereits vor dem Parteitag klargemacht, als er die Politik von US-Präsident Donald Trump lobte. Beim Parteitag griff er in der US-Historie noch weiter zurück auf Ex-Präsident Thomas Jefferson, der dazu geraten habe, dem Volk zu vertrauen. Seine Partei verglich er mit der Loyalität in Hannibals Heer und nicht zuletzt nahm er auch Anleihen beim Apostel Paulus.
Die nationalistische Internationale
Vermutlich wegen der – glaubt man Kickls Rede – seiner Meinung nach immer noch gültigen Corona-Maßnahmen, konnten die ausländischen Gäste, die die Macht der nationalistischen Internationale beschworen, nur per Video-Zuschaltung zu Wort kommen. Johanna Hager schreibt im Kurier:
Alice Weidel, Parteichefin der AfD, betont das „Band“, das beide Parteien verbinde. Man stehe Seite an Seite „im Europa der Vaterländer. Die Freundschaft zur FPÖ ist für uns eine ganz besondere. In den letzten zehn Jahren habt ihr immer zu uns gehalten. Die FPÖ war immer unser stärkster Partner.“ Weidel bedankt sich explizit bei Kickl. „Er habe Mut bewiesen“ als er die Regierungsverhandlungen abgebrochen habe. Es zeuge von Respekt, sich so verhalten zu haben. Weidel beobachte die Umfragen ganz genau. „Der Sieg ist euch nicht zu nehmen“, so die AfD-Chefin, die sich freut, Kickl auf dem Weg zur richtigen Volkspartei begleiten zu dürfen.
ORF.at berichtet von einer angemeldeten und einer nicht angemeldeten Demonstration:
Nach dreieinhalb Stunden griff die Polizei ein und beendete die Proteste, nachdem sich zwei vermummte Personen – ohne Genehmigung – vom Dach des Messezentrums abgeseilt und drei Flaggen gehisst hatten, zwei für Queer- und Pride-Forderungen und eine in den Farben „Palästinas“. Nach der Aufforderung der Polizei, sich selbst und zur eigenen Sicherheit bis zum Boden abzuseilen, verharrten die beiden. Wenig später wurden sie von Spezialkräften mit einer Drehleiter entfernt. Laut Sprecherin der angemeldeten Demonstration gehörten die mit Seil ausgerüsteten Personen nicht zu ihrer Gruppe.
Nicht ohne Antifa-Bashing
Laut ORF.at nahm Kickl in seiner Rede Bezug auf zweitere „Kundgebung“. Der FPÖ-Obmann, der sich als Wächter der Neutralität geriert, dessen Vorgänger aber 1955 die Verabschiedung des Neutralitätsgesetzes und den antifaschistischen Grundkonsens der Zweiten Republik nicht mitgetragen haben, gab sich keine Mühe ihre Botschaft zu dechiffrieren, sondern stimmte in das populär gewordene Antifa-Bashing ein, das von Kärnten bis Washington Hochkonjunktur hat:
Im Messezentrum reagierte FPÖ-Bundesparteiobmann Herbert Kickl spontan auf die Demonstranten: „Wir haben hier in Salzburg diese negative Energie nun auch schon gesehen. Die hat sich draußen aufgehängt und angepickt. Lauter linke Abseiler, und von diesen schicken wir der Justizministerin eine Foto-Collage. Damit sie endlich weiß, wer die Antifa ist. Bis jetzt ist ihr das offenbar entgangen.“
Auch die Zurschaustellung eines „politischen Christentums“ wie es in rechtsextremen Bewegungen heute en vogue ist, lässt Kickl nicht aus. Das Sammelsurium von Anlehnungen und falschen und richtigen Zitaten können einen richtig wehmütig stimmen. Es ist, als wären zweiunddreißig Jahre nicht vergangen. Bernhard Kueppers am 15. Januar 1994 in der Süddeutschen Zeitung:
Gegen die geschlossene Anstalt der Altparteien beruft er [gem. ist Jörg Haider] sich in dem Buch auf die offene Gesellschaft im Sinne des Philosophen Karl Popper: „Wir wollen eine österreichische Kulturrevolution mit demokratischen Mitteln, wir wollen die herrschende politische Klasse und die intellektuelle Kaste stürzen.“
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