Samstag, Dezember 6, 2025

Das Akzeptieren des Inakzeptablen

Großbritanniens Regierung und Monarchie versagten anlässlich Trumps Staatsbesuch in der Verteidigung von Demokratie und Redefreiheit. Es ist zu befürchten, dass viele Staaten es ihnen gleichtun werden.

Frances Ryan fasst es im Guardian so zusammen (und besser könnte es nicht gesagt werden):

Der Prunk und die Festlichkeit, mit der man Trump empfangen hat, sind ein besonders eklatantes Beispiel für das auf beiden Seiten des Atlantiks weitverbreitete Akzeptieren des Inakzeptablen.

Man mag der britischen Monarchie zujubeln, indem man sie bewundert, für geschichtsträchtig hält oder sich endlose Netflix-Serien ansieht, in denen die schönsten Anzüge und Handtaschen des Königshauses zum Vorschein kommen. Geht es aber darum, die Werte der Demokratie zu verteidigen, so muss man nach Trumps Besuch in Großbritannien feststellen, dass King Charles eine miserable Figur abgegeben hat. Stephen Bleech schreibt in der Times:

Auf den ersten Blick gibt es einfach keine Rechtfertigung für die Monarchie. Nehmen wir dieses Abendessen: Trump war dort, um sein Land zu vertreten, weil sein Volk ihn gewählt hatte. Der König vertrat unser Land, weil er von einem französisch-skandinavischen Gauner abstammt, der vor fast einem Jahrtausend Tausende von Menschen in Kent abgeschlachtet hat. Wenn man nachrechnet, ist die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass auch Sie und ich von Wilhelm dem Eroberer abstammen. Aber Charles stammt auf eine besondere, magische Weise von ihm ab, was bedeutet, dass er in wirklich großen Häusern lebt und wir ihm viel Geld geben müssen. Ist das sinnvoll? Wirklich?

Leider nimmt Bleechs Artikel eine andere Richtung: Er bricht eine Lanze für die absolute Monarchie. Und das im Jahr 2025. Es scheint also, als ob der Geist der Diktatur, den Trump über den Ozean getragen hat, in Großbritannien auf fruchtbaren Boden fällt.

Ein großer Fehler

Gegen all diesen vorvorgestrigen Kram hätte einer etwas tun können: Keir Starmer. Er ist einer der wenigen sozialdemokratischen Regierungschefs in Europa. Und das zu einer Zeit, in der es für soziale und progressive Politik ungeheuer schwer geworden ist, zu regieren oder wenigstens mitzuregieren. Sie muss Kompromisse machen. Freilich. Aber sie muss auch bestimmte Grundsätze kompromisslos verteidigen – sonst hat Sozialdemokratie keinen Sinn. Man kann Trump nicht den roten Teppich ausrollen. Frances Ryan sagte es im Guardian deutlich: „Starmers Einladung war ein großer Fehler.“ Und weiter:

Wann werden unsere Politiker einen Rassisten endlich als Rassisten bezeichnen? Und was sagt es über die aktuelle politische Kultur aus, dass sie sich so sehr davor fürchten?

Widerstand gegen den Trump-Besuch

Widerstand gab es von anderer Seite. Ashitha Nagesh and Nick Johnson berichten in der BBC von Demonstration gegen Trump und von einem organisierten Protestmarsch:

Vor dem Marsch erklärte ein Sprecher der Koalition: „Eine Regierung, die sich Trump und dem Rassismus beugt, öffnet dem Faschismus Tür und Tor.“ Obwohl Trump nicht zu Besuch im Parlament war, kündigten die Protestgruppen an, sie würden demonstrieren, um „die Politik des Trumpismus zu besiegen“ und „eine alternative, demokratische Weltvision auf der Grundlage von Frieden, sozialer Gerechtigkeit und internationaler Zusammenarbeit“ zu fördern.

Inmitten der Menschenmenge, die sich in der Nähe des BBC Broadcasting House versammelt hatte, erzählten die Menschen der BBC, warum sie dort waren, und trugen eine lange Liste von Beschwerden gegen den US-Präsidenten vor. Sie sagten, sie fänden ihn „verabscheuungswürdig“ und wollten ihm die Botschaft vermitteln, dass er nicht willkommen sei.

Das Drehbuch des Autokraten

Einer der wenigen Politiker, die deutliche Kritik an Trump übten und das Inakzeptable nicht akzeptieren wollen, ist der Londoner Bürgermeister Sadiq Khan. Einmal mehr zeigt sich der globale Trend: dass die Großstädte der wichtigste Motor im Kampf gegen Tyrannei, Diktatur und den Rechtsruck sind. Dominic Penna in The Telegraph:

Sir Sadiq Khan hat Donald Trump neuerlich angegriffen, während der US-Präsident einen beispiellosen zweiten Staatsbesuch in Großbritannien antritt. Der Labour-Bürgermeister von London warf dem Republikaner vor, „spaltende, rechtsextreme Politik“ zu betreiben, und sagte, sein Handeln im Weißen Haus entspreche „genau dem Drehbuch eines Autokraten“.

Diese Äußerungen dürften Sir Keir Starmer, der hofft, dass der Staatsbesuch nach einigen turbulenten Wochen zu einem politischen Triumph für die Regierung wird, erneut Kopfzerbrechen bereiten.

Bedrohungen beim Namen nennen

Frances Ryan vom Guardian sieht den Londoner Bürgermeister damit als Vorbild:

Dass es diese Woche weitgehend Sadiq Khan überlassen blieb, einer der wenigen hochrangigen muslimischen Persönlichkeiten Großbritanniens und ein Hauptziel islamfeindlicher Drohungen, Trump dafür zu kritisieren, dass er „die Flammen der spaltenden, rechtsextremen Politik auf der ganzen Welt“ schürt, ist eine deutliche Lektion in Sachen Pflichtverletzung versus Mut.

Am Freitagmorgen wird Trump britischen Boden verlassen haben. Aber die Krise, für die er steht, wird bleiben. Hass und Spaltung lassen sich nicht mit einem Flug in der Air Force One wegschicken. Dazu braucht es lange, harte Gespräche und mutiges Handeln. Die Frage ist, ob Starmer und Co. dieser Aufgabe gewachsen sind. Eines ist sicher: Wenn man eine Bedrohung lösen will, muss man sie zuerst beim Namen nennen.

Die „Dinge beim Namen“ nennen. Alleine das scheint heute schwer zu fallen. Es ist überall zu lesen, dass Charlie Kirk ein „christliches“ Weltbild vertrat. Wer so etwas schreibt, kann keine Ahnung davon haben, was in den Evangelien steht. Die Weltpresse ist voll von Artikel über die Bedrohung durch „die Linken“. Wo sind diese Linken? Keir Starmer gehört jedenfalls nicht zu ihnen.


Titelbild: KEVIN LAMARQUE AFP picturedesk.com, ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

34 Kommentare

34 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare