Mit dem Rücktritt des DSN-Chefs hat Putin in den westlichen Geheimdiensten einen Gegner weniger.
Gestern wusste auch der ORF nicht genau, was passiert war: „Der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), Omar Haijawi-Pirchner, zieht sich mit Jahresende und damit elf Monate vor dem geplanten Ende seiner Amtszeit von dieser Position zurück. In einer der APA übermittelten Stellungnahme wurden gestern „private Gründe“ angegeben. Haijawi-Pirchner wird aber weiter im Innenministerium im Bereich des Staatsschutzes tätig sein.“
Im Dezember 2021 hatte Omar Haijawi-Pirchner einen politisch demolierten Verfassungsschutz übernommen. Viele Jahre hatte die ÖVP das BVT zu einem schwarzen Dienst gemacht. Als Herbert Kickl 2017 das Innenministerium übernahm, griff er den ÖVP-Geheimdienst an. Am Ende war das BVT international isoliert. Seine Quellen in islamistischen und extremistischen Organisationen waren kompromittiert, seine verdeckten Ermittler nicht mehr einsetzbar und persönlich in Gefahr.
Russen-Dienst im Visier
Haijawi-Pirchner fing von vorne an und baute den Verfassungsschutz als DSN – Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst – neu auf. Der neue Direktor nahm seine Aufgabe ernst und war für viele erstaunlich erfolgreich.
2024 hatte Österreich dank Haijawi-Pirchner wieder einen funktionierenden Verfassungsschutz. Dann versuchte der DSN-Direktor einen heiklen Schritt. Russland führte Krieg in der Ukraine, und der russische Auslandsdienst SWR baute seine Spionagezentren in den europäischen Hauptstädten zu Satelliten-Aufklärungs- und Leitzentralen für den Marsch auf Kiew aus. Überall in der EU folgte der Gegenschlag. Die Innenminister nahmen die SWR-Zentren ins Visier, die Außenminister ließen die als Diplomaten getarnten Spione ausweisen.
Wien hinkte nach. In der DSN wusste man, dass man wieder gefährlich nahe an einer Isolierung als Putin-freundlicher Dienst war. Haijawi-Pirchner versuchte, diesen Fehler zu vermeiden und nahm die Wiener SWR-Bastion ins Visier.
Russencity
Am 16. Mai 2024 trat Innenminister Gerhard Karner pünktlich um 10.00 Uhr vor sein Pult im Festsaal des Innenministeriums in der Wiener Herrengasse. Neben ihm nahm Omar Haijawi-Pirchner Aufstellung. Die anwesenden Journalisten wussten nicht, dass der jährliche Verfassungsschutzbericht zum ersten Mal eine politische Bombe enthielt. Sie fand sich als „Exkurs: Russische Signalaufklärung auf österreichischem Boden“ in weißer Schrift auf schwarzem Hintergrund auf den Seiten 97 und 98.
„Seit Anfang 2022 wurden zusätzliche Anlagen auf dem Dach der sogenannten ´Russencity´ in Wien installiert. Für Österreich entsteht dadurch ein erheblicher Schaden in Form des Verlustes internationaler Reputation und einer Minderung der Attraktivität als Standort internationaler Organisationen.“ Damit zeigte die DSN auf das Grundstück in der Erzherzog Karl-Straße 182, das die Russische Föderation schon 1990 erworben und auf 37.602 m² ein Gebäude mit einem Hauptzweck errichtet hatte: dem Dach. Dort sind Satelliten auf die russischen Schlachtfelder in der Ukraine und Richtantennen auf die Kommunikation im Großraum Wien gerichtet.
Spionagehauptstadt Wien
Unter den Augen der österreichischen „Spionageabwehr“ wurde hier vom zivilen russischen Auslandsgeheimdienst SWR die neue Spionage-Zentrale in der EU aufgebaut. Die DSN wusste das: „Wien fungiert für Russland als Knotenpunkt in der Signalaufklärung (SIGINT) von NATO-Staaten.“ Wien war längst zu Putins Spionagehauptstadt geworden: „Im europäischen Vergleich unterhält Russland eine der größten ´Legalresidenturen´ Europas in Wien. Die diplomatischen Residenturen dienen häufig als Deckmantel für Spionageaktivitäten Russlands.“
Nach Putins Überfall auf die Ukraine waren überall in der EU ähnliche Einrichtungen durch eine einfache Maßnahme stillgelegt worden: durch die Ausweisung des technischen Personals. Wenn Putins Schüsseln nicht bedient werden konnten, wäre der SWR plötzlich blind gewesen.
Schallenberg inaktiv
Genau das war Anfang 2024 auch der Plan der DSN. Er sollte mit Unterstützung des Innenministers umgesetzt werden. Am 21. März 2024 sandte die DSN ihren Bericht ins Innenministerium. Die 14 Spione, die detailliert aufgelistet wurden, waren als Diplomaten und als „Servicepersonal“ getarnt. Im Innenministerium wusste man, dass der SWR die 14 Spezialisten nicht kurzfristig ersetzen könnte. Damit wäre das erste Ziel erreicht worden: die Lahmlegung der „Russencity“.
Doch so weit kam es bis heute nicht. Der russische Botschafter schaltete sich ein. Der DSN-Bericht verschwand. Damit war die DSN-Aktion gegen Putins Spione im Keim erstickt.
Ein Gegner weniger
Einige Male versuchte die DSN noch, vor verdeckten Unterstützungen, die von Österreich aus für Putins Militärmaschinerie organsiert wurden, zu warnen. Aber es nützte nichts mehr. ÖVP-Minister Karner hatte die Weichen längst gestellt. Raiffeisen war ebenso tief in Russland-Geschäfte verstrickt wie ein Unternehmen des Präsidenten der Industriellenvereinigung.
Das Vertrauen zwischen dem DSN-Direktor und seinem Minister war zu diesem Zeitpunkt längst zerbrochen. Haijawai-Pirchner wusste, dass ihn ÖVP-Minister weiter an die kurze Leine nehmen wollten. Karner wusste, dass der DSN-Direktor mehr wollte als die Partei vertrug.
Zum Bruch kam es langsam. Jetzt werden wie üblich Gerüchte gestreut, um aus politischen „private“ Gründe zu machen. Nur eines steht fest: Mit Haijawi-Pirchners Rücktritt hat Putin in westlichen Geheimdiensten einen wichtigen Gegner weniger. Wer Innenminister Gerhard Karner kennt, weiß, dass ihn das wahrscheinlich nicht sehr belasten wird.
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