Nach Monaten des Herumdrucksens ist nun auch vielen Konservativen klar, was Trump in den USA etabliert: Totalitarismus und Faschismus. Doch Erkennen und Handeln sind zwei verschiedene Dinge. Auch ein Blick auf Österreich zeigt: Das Handeln bleibt aus.
Voller Erkenntnis sind dieser Tage die Analysen der Situation in den USA. Selbst konservative und bürgerliche Kommentatoren schreiben jetzt, was sie vor Monaten noch als Übertreibung, Angstmache und Paranoia bezeichnet haben. Bedeutet das, dass jene, die schon früh gewarnt haben, jetzt ernst genommen werden? Nein, das bedeutet es nicht.
Wir kennen die Situation aus unserem Land. Da hatte in den Neunzigerjahren ein gewisser Wolfgang Schüssel, der jahrelang als zweiter Zwerg von rechts in einer großen Koalition saß, nur auf die Ablöse von Franz Vranitzky an der SPÖ-Spitze gewartet. 1999 legte er los: Scheinverhandlungen mit der SPÖ, im Hintergrund die Koalition mit der FPÖ längst vorbereitet, den Rechtsruck eiskalt vollzogen. Österreich und sein nicht amüsierter Bundespräsident standen vor vollendeten Tatsachen. Schüssels Gefolgsleute sind einer nach dem anderen umgefallen, zum Beispiel Andreas Khol, der noch zuvor angekündigt hatte, er werde aus der ÖVP austreten, wenn sie mit der FPÖ koaliert.
Gestern Skandal, heute normal
Und die Presse? Mehrheitlich kalmierte sie auch damals, warnte vor Übertreibungen, und beschwor damit die normative Kraft des Faktischen: Gestern Skandal, heute normal. Eine rechte Regierung: kein Problem in der Demokratie; kein Problem für die Demokratie. So las man es damals von Kommentatoren, die erst viel später kritischere Worte fanden. Später – als es zu spät war. Trotz der beachtlichen Mobilisierung der Bevölkerung im Jahr 2000, an die wir heute schon allein deshalb erinnern sollten, weil sie zeigt, wie schwach ihre Wehrhaftigkeit heute ist, nahm man die Brutalisierung hin.
In den Jahren 2016 und 2017 wiederholte ein gewisser Sebastian Kurz das Schüssel-Szenario. Ich schrieb damals – am 3. November 2017 wurde der Artikel veröffentlicht – in einem Kommentar der Anderen im Standard:
Verändert hat sich nichts, denn auch Kurz muss so tun, als wäre er nicht jahrelang in der Regierung gesessen, als wäre die ÖVP nicht 31 Jahre lang in der Regierung gesessen. Kurz hat in den letzten Jahren ganze Medienhäuser auf seine Seite gebracht. Der Zerfall der kritischen Medienlandschaft ist immer ein wesentlicher Teil beim Rechtsruck eines Landes. Doch der ÖVP reicht die Selbstaufgabe, mit der sie sich bei der Kür von Kurz entschlossen hat, Bünde und Länder zu entmachten, nicht aus. Sie braucht die FPÖ. Inhaltliches Rezept: Auf jedem Gebiet der Politik wird die Zuwanderung für alle Probleme verantwortlich gemacht. Wie bizarr ist es, dass die FPÖ sich als soziale Partei plakatiert; besonders jetzt, wo die unsozialsten Maßnahmen seit 50 Jahren bevorstehen! Kurz hat keine Probleme damit, dass das FPÖ-Verhandlerteam mit Personen antritt, die in rechtsextremen Blättern schreiben; er hat kein Problem damit, einen Kassasturz anzuordnen, wo seine Partei doch seit Jahren den Finanzminister stellt; er hat kein Problem damit, die längst erfolgte Einigung mit der FPÖ als offenen Prozess darzustellen.
Ich habe wohl auch viel Zuspruch erhalten für diesen Artikel. Mehrheitlich aber richtete man mir aus, meine Worte seien nichts als Kurz-Hass, Alarmismus, Übertreibung; was geschehe, das sei eben Demokratie; die FPÖ sei weder faschistisch noch rechtsextrem und so weiter und so fort. Ich war also froh, als in den letzten beiden Jahren auch konservative Stimmen wie Paul Lendvai („Sebastian Kurz war eine Katastrophe für Österreich“, 2025), Karl Schwarzenberg („Kurz war von Anfang an ein Schwindler”, 2022) oder Ferdinand Maier („Sebastian Kurz war vor allem ein Blender“, 2025) klipp und klar feststellten, dass Demokratiefeindlichkeit integraler Bestandteil von Kurz‘ Politik war: Justiz und Medien zu korrumpieren und Parlamentarismus weitgehend zu marginalisieren.
Symbolbild österreichischer Ignoranz
Heute, mit Blick auf die USA, erleben wir dasselbe Szenario. Den vielen warnenden Stimmen und Analysen in Trumps erster Amtszeit, während des Wahlkampfs und schon nach Beginn seiner zweiten Amtszeit, die Trump Totalitarismus und Faschismus nachgewiesen haben, wurde wieder einmal Alarmismus und Übertreibung vorgeworfen. Jetzt plötzlich, in den letzten Tagen und Wochen, tauchen überall Artikel auf, die den Warnenden recht geben. Doch was passiert, nachdem festgestellt wurde, dass Trump den letzten Rest von Demokratie in den USA entfernt? Nichts. Wir gehen zur Tagesordnung über. Wir tun so, als wäre nichts passiert.
Ein Symbolbild der österreichischen Ignoranz wurde der Welt am 11. September 2025 ohne Genierer vor Augen gehalten: Am Jahrestag von 9/11 empfängt der österreichische Innenminister eine Delegation islamistischer Terroristen der Taliban. Das ist die Realität in diesem Land. Tja, wir Österreicher, die wir Shopping-Malls dort bauen, wo einst Konzentrationslager standen, haben eben Kontrolle über die Vergangenheit.
Der Schaden, der bleibt
Auch warum man jahrezehntelang den Kommunismus in der UdSSR dafür verteufelt hat, dass er die Presse kontrolliert, die Menschen in seinem Land unterdrückt und das Militär gegen das eigene Volk einsetzt, ist aus heutiger Sicht einfach nicht mehr verständlich. Denn genau das tut Donald Trump ja auch. Eigentlich müsste man heute also Leonid Breschnew verehren und als ein Vorbild loben.
Aber wenn man Trump als Demokratiefeind, Totalitaristen und Faschisten erkannt hat, müsste diese Erkenntnis auch Konsequenzen haben. Möchte man meinen. Doch das ist es, was in der Politik heute völlig fehlt. Man tut so, als würden die Mängel sich von selbst beheben. Das ist nicht der Fall. Hier wird Schaden angerichtet, der bleibt.
Zusammenschluss
Die Frage, ob man bürgerlich oder liberal oder progressiv ist, die Frage nach sozialdemokratisch oder konservativ, die Frage nach der Parteizugehörigkeit, die seit 1945 die politische Kultur in unserem und anderen Ländern dominiert hat, ist angesichts der Bedrohung durch den Faschismus nicht mehr relevant. In den Dreißigerjahren war es den demokratischen Kräften nicht möglich, sich dem Faschismus geeint entgegenzustellen, obwohl sie anfangs eine Mehrheit gegen diese Bedrohung bilden hätten können.
Heute stehen wir vor einem ähnlichen Problem: Die demokratischen Kräfte müssen die Demokratie gemeinsam verteidigen. Es reicht nicht, wenn sie wie König Claudius im Hamlet nur Betende bleiben, die nichts als die Vergeblichkeit ihres Gebets feststellen können:
My words fly up, my thoughts remain below:
Words without thoughts never to heaven go.
(in der Nachdichtung von August Wilhelm Schlegel)
Das Wort fliegt auf, der Sinn hat keine Schwingen,
Wort ohne Sinn kann nicht zum Himmel dringen.
Heute müssen die Demokraten geeint auftreten und über ihrem Bekenntnis zur Demokratie Auffassungs- und Meinungsunterschiede mit anderen zur sekundären Angelegenheit machen. Auf diese Weise hat man gute Aussichten im Kampf gegen die neuen autoritären Bewegungen. Unterbleibt dieser Zusammenschluss, dann liefert man sich dem faschistischen Mob aus, der schon an allen Ecken und Enden zündelt. Das zu erkennen, ist eine Sache. Danach zu handeln, ist die andere. Aber wir müssen handeln. Jetzt. Denn später ist es zu spät.
Titelbild: Miriam Moné
