Es gibt keinen Pilnacek-Anfangsverdacht gegen Bundespolizeidirektor Takacs. Aber von Pilnacek und Mahrer & Mahrer bis Wöginger und Kurz kann noch viel passieren.
Gerade ist bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft St. Pölten in der Pilnacek-Laptop-Affäre den Anfangsverdacht gegen ÖVP-Bundespolizeidirektor Michael Takacs geprüft hat. Sie hat ihn hochprofessionell nicht gefunden. Das ging mit einem bemerkenswerten Kopfstand.
Zuerst nahm sich St. Pölten das richtige Delikt her: § 135 des Strafgesetzbuches, die „dauernde Sachentziehung“ und stellte fest, dass nichts mehr ging, „zumal die Aufforderung des Michael Takacs bereits wenige Tage nach dem Ableben des Mag. Pilnacek am 20. Oktober 2023 erfolgt sein soll, ist jedoch (…) bereits Ende Oktober 2024 Verjährung der Strafbarkeit eingetreten.“
Die Anzeige datierte mit 2025. Damit war der erste Teil erledigt: verjährt, Deckel 1 drauf.
Mit und ohne Uniform
Aber das Beste aus St. Pölten kam erst auf der vierten und letzten Seite der Begründung. Dort löste St. Pölten das Problem, dass bei einem Amtsdelikt wie § 302 StGB, also dem Amtsmissbrauch, wesentlich längere Verjährungsfristen gelten: „Was das weitere Anzeigevorbringen gegen Michael Takacs in Richtung § 302 (…) StGB anbelangt, so bestehen keinerlei Hinweise, dass die medial kolportierte Aufforderung des Michael Takacs an Anna P. einen Bezug zu dessen Tätigkeit als Beamter aufwies, sodass kein Anfangsverdacht in Richtung eines Amtsdelikts vorliegt.“
Ich übersetze und erkläre kurz: Der Bundespolizeidirektor war aus gemeinsamen Sobotka-Kabinettszeiten im Innenministerium mit Anna P. per Du. Takacs wurde von Sobotka-Sekretärin und Pilnacek-Mitbewohnerin Anna P. kurz nach dessen Tod mindestens viermal angerufen. Diese Anrufe nahm er als Privatmann an.
Beim zweiten Anruf erfuhr er, dass Pilnacek tot sei. Daraufhin war er plötzlich in Uniform und verständigte seinen Vorgesetzten, den Generaldirektor für Öffentliche Sicherheit. Gleich darauf verwandelte er sich wieder in Privatmann „Taki“ und riet Anna P. beim nächsten Telefonat, Pilnaceks Handy an „Angehörige“ zu übergeben. Andere waren im Dienst und setzten den Takacs-Vorschlag um. Kurz darauf war das Handy auf seinem letzten Weg zum Bunsenbrenner in Graz.
Wenige Tage später, so habe Anna P. laut fünf Zeugen bei drei Gesprächen behauptet, soll er ihr geraten haben, Pilnaceks Laptop verschwinden zu lassen. Eines dieser Gespräche wurde aufgenommen und liegt als Transkript bei der WKStA.
St. Pölten ist sich völlig sicher, dass Takacs bei diesem Telefonat keine Uniform anhatte. Damit war der zweite Deckel drauf und die Sache erledigt, bevor sie begonnen hatte.
Wirrer Anfangsverdacht
Damit uns der Vergleich sicher macht, schildere ich einen anderen Pilnacek-Laptop-Fall. Dort erstattete Pilnacek-Witwe und Gerichtspräsidentin Caroline List Anzeige wegen Hehlerei – gegen Kronen Zeitungs-Journalist Erich Vogl und mich. Die Anzeige war ebenso wirr wie faktenwidrig.
Die List-Anzeige landete bei der Staatsanwaltschaft Krems. Dort wurde auf eine ernsthafte Prüfung des Anfangsverdachts verzichtet, und wir waren Beschuldigte. Der Akt wanderte nach St. Pölten und blieb dort liegen. Irgendwann wurde sogar dort klar, dass inzwischen zahlreiche Zeugen der WKStA bestätigt hatten, dass ich den Laptop nie gesehen hatte. Dann wurde endlich eingestellt.
Einzelfälle
So ist das immer öfter: Bei Takacs gibt es keinen Anfangsverdacht; bei Kurz schaffte das Oberlandesgericht die Verurteilung wegen falscher Zeugenaussage aus der Welt; beim Chefinspektor im Fall „Pilnacek“ machte die Oberstaatsanwaltschaft Druck; bei Wöginger gelang fast die Flucht in die Diversion.
Jeder dieser Fälle ist ein Einzelfall. Alle zusammen ergeben ein Bild: Die einen genießen den Schutz der Zudecker der Familie. Statt ihnen werden immer öfter Aufdecker verfolgt und verurteilt.
Selbstbedienungsladen ohne Kassa
Die Familie braucht Schutz, weil ständig etwas passiert und aufgedeckt wird. Damit sind wir bei den Mahrers, bei Wöginger und Kurz.
Es gibt ein ÖVP-Modell der Nahversorgung: den Selbstbedienungsladen ohne Kassa. Jetzt sind alle überrascht, dass dort Harald Mahrer bei seinem täglichen Großeinkauf erwischt wurde. Die Rechnungshofpräsidentin hat eine Mahrer-Prüfung angeordnet.
Sein Namensvetter Karl Mahrer, der ehemalige Chef der Wiener Polizei und Volkspartei, steht demnächst wegen „Wienwert“ vor Gericht. August Wöginger wäre fast die Flucht in die Diversion gelungen. Sebastian Kurz hat das Oberlandesgericht Wien möglicherweise nur vor der ersten Verurteilung gerettet.
Aber warum haben hohe ÖVP-Familienmitglieder immer öfter Probleme?
Gelegenheiten
Es ist die Gelegenheit, die die Diebe macht. Die ÖVP macht nur die Gelegenheiten, bei Bewerbungen, Ausschreibungen, Förderungen und Beförderungen und dem Rest, über den man noch weniger redet.
Ab und zu haben die Selbstbediener Pech. Sebastian Kurz, Karl Mahrer, August Wöginger und jetzt Harald Mahrer können davon Lieder singen. Ich bin mir sicher, dass sich alle vier ungerecht behandelt fühlen. Das hat nichts mit Gesetzen zu tun, weil in der Familie alle wissen, was man mit Gesetzen, Strafjustiz und Polizei machen kann.
Wahrscheinlich hat das einen ganz anderen Grund: Viele in der Familie scheinen sich vollkommen sicher gefühlt zu haben und verstehen ihre Welt nicht mehr.
Rechtsstaat oder ÖVP
Ihre Welt – das ist eine Welt, in der Gesetze und Regeln nur für die einen zu gelten scheinen. Sie sind die Anderen. Sie greifen zu, wahrscheinlich auch, weil sie sich für unangreifbar halten. Darum geht es in dem ständigen Kampf zwischen Rechtsstaat und ÖVP.
Im österreichischen Rechtsstaat ist jetzt ein Punkt erreicht, an dem nichts mehr von selbst geht. Dafür sorgt ein dichtes Geflecht aus Oberstaatsanwaltschaft in Wien, Staatsanwaltschaften in Krems, St. Pölten und Eisenstadt und einer Polizei, deren Spitzen seit langem als verlässlich gelten.
Immer weniger geht von selbst, immer öfter muss der Anstoß von außen kommen. Im Fall „Mahrer“ schaltete sich der Rechnungshof ein. Im Fall „Wöginger“ musste das Justizministerium intervenieren. Im Fall „Pilnacek“ braucht es einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss.
Wenn ein bestimmter Punkt überschritten ist, ändert sich ein System. An diesem Punkt war Ungarn vor mehr als 15 Jahren. Dort geht nichts mehr. Bei uns ist noch nicht klar, wer am Ende gewinnt.
