Samstag, Dezember 6, 2025

Der Tag, an dem die Musik starb

Plattformen wie Spotify fördern Massentauglichkeit, zerstören Subkulturen und sind längst von KI-Produkten unterwandert. Mit der Initiative “Death to Spotify” wird verstärkt darauf aufmerskam gemacht.

Vom Day that music died sang Don McLean im Jahr 1971 in seinem weltberühmt gewordenen Song American Pie. Er dürfte nicht geahnt haben, dass seine poetische Vorstellung noch zu seinen Lebzeiten prosaische Realität werden würde. Die Streaming-Plattformen, allen voran ihre schlimmste Erscheinungsform namens Spotify, haben es in wenigen Jahren geschafft, geistiges Eigentum abzuschaffen und seine Entlohnung auf Tausendstel-Cent-Beträge zu kürzen.

Die Superreichen und Milliardäre, die über ihren Besitz, seinen Wachstum und seine steuerfreie Vererbung wie die Höllenhunde wachen, haben in der Musik, wie auch bei der KI-Entwicklung die Urheberrechte kaltgestellt. Die Musik-Subkulturen sind tot, hunderttausende Menschen haben ihre Lebensgrundlage verloren. Die Musikindustrie ist nur mehr dazu da, Großkonzerne, Manager und Anwälte zu ernähren. Zeit, dass zumindest darauf aufmerksam gemacht wird. Alaina Demopoulos berichtet in The Guardian von einer Veranstaltungsserie in Oakland, California, mit dem Titel Death to Spotify:

„Künstler beklagen sich schon seit langem über dürftige Auszahlungen, aber diesen Sommer wurde die Kritik persönlich und richtete sich gegen den milliardenschweren Mitbegründer von Spotify, Daniel Ek, wegen seiner Investition in Helsing, ein deutsches Unternehmen, das KI für Militärtechnologie entwickelt. Gruppen wie Massive Attack, King Gizzard & the Lizard Wizard, Deerhoof und Hotline TNT zogen ihre Musik aus Protest aus dem Dienst zurück.

Der letzte Furz der Musik

Frühere einzelne Proteste gegen Spotify wurden zwar immer geäußert, berichtet Demopoulos, blieben aber auch zahnlos, wenn sie von Pop-Ikonen kämen – und würden letztlich meist zurückgezogen:

„Im Laufe der Jahre haben mehrere berühmte Musiker ihre Kataloge mit groß angelegten, Schlagzeilen machenden Ankündigungen von Spotify zurückgezogen, um nach einiger Zeit still und leise wieder auf die Plattform zurückzukehren. Eine der beliebtesten Künstlerinnen der App, Taylor Swift, boykottierte den Dienst drei Jahre lang aus Protest gegen seine unfairen Zahlungsmethoden, kehrte aber 2017 zurück. Thom Yorke, Frontmann von Radiohead, entfernte 2013 aus dem gleichen Grund einige seiner Solo-Projekte und bezeichnete Spotify als „den letzten verzweifelten Furz eines sterbenden Leichnams”; später stellte er sie wieder ein.

Schwemme rechtsextremer Propagandasongs

Es bleibt nicht dabei, dass die Musik, die von Musikerinnen und Musikern gemacht wird, marginalisiert und unterbezahlt wird. Streamingportale dienen heute vor allem einem politischen Zweck: der Propaganda. Mit rein KI-generierten Songs, die die Portale überfluten. Ferdinand Meyen berichtet für den Bayerischen Rundfunk:

„Als Melanie Gollin vor ein paar Tagen ihren Spotify-Account öffnete, war sie schockiert. „Mir ist aufgefallen, dass das Cover von meinem Spotify-Release-Radar erschreckenderweise ein Adler mit einer Deutschlandfahne war“, erzählt die Musikjournalistin. Der Song, der ihr angezeigt wird: „Deutschland was ist nur passiert“ vom Künstler Jjy_East_Side.

„Oh liebes Deutschland, was ist nur passiert? Der Staat kassiert die Steuern, hat dein Geld halbiert“, heißt es im Text. Die künstliche Stimme erinnert an Musik-KI-Seiten wie zum Beispiel Suno AI. Die Musik bewegt sich irgendwo zwischen Schlager und House. „Warum hast du dein Volk so abkassiert?“ und „Die Preise gehen nach oben, der Staat hat das Volk komplett belogen“, heißt es weiter im Text.

KI im Einsatz für die „Tradition“

Johanna Schmidt berichtet für die TAZ. Sie hat einen der großen Accounts ausfindig gemacht. Ein „Musiker“ namens Traditionshüter verbreitet dort massenhaft Songs. Dass sie und die Covers KI-generiert sind, spricht offenbar nur noch mehr für sein Verständnis von „Tradition“:

„Die letzten Stunden habe ich mich dem Brainrot ausgesetzt und das gleich auf mehreren Plattformen: Spotify, Youtube und Tiktok. Grund dafür war, dass dort vermehrt mit KI erzeugte Musik mit rechtsradikalen Inhalten hochgeladen wird. So […] bin ich erst einmal auf dem Spotify-Account des „Musikers“ Traditionshüter gelandet.

Ferdinand Meyen über den „Traditionshüter“:

„In „Meine Stimme habt Ihr nicht“ thematisiert Traditionshüter den Krieg in der Ukraine. „Sie veruntreuen unser hart verdientes Geld und schicken Waffen für Kriege in die Welt“, heißt es zu Beginn. Später besingt die Stimme der künstlichen Intelligenz dann die deutsch-russische Freundschaft. „Das ist kein Krieg im Namen vom deutschen Volk, das ist ein Krieg, den nur ihr Politiker wollt.“

Das Cover des Liedes auf der Plattform Spotify ist ebenfalls KI-generiert: Eine Frau steht mit einer deutschen und einer russischen Fahne auf einem Panzer und streckt die rechte Faust in die Luft. An dem Panzer hängt eine Fahne der Europäischen Union. Andere Songs von Traditionshüter singen in Bezug auf Migranten: „Deutsche Rentner sammeln Flaschen und ihr lebt in Saus und Braus.“

Erschlag deine eigene Persönlichkeit

Ob wir nun bei solch „traditionellen“ KI-Songs landen oder nicht. Die Dauerschleife, in der Streamingportale Musik für uns aussuchen, enthält zwei große Täuschungen, denen wir uns nicht hingeben dürfen. Erstens: Es wäre dort „alles“ zu finden. Das stimmt nicht. Streamingportale forcieren ein Verschwinden von Musik zugunsten bezahlter neuer „Musik“. Nur wer Tonträger oder Files für sich archiviert ist auf der sicheren Seite.

Die Algorithmen spielen uns nicht das vor, von dem sie glauben, das wir es gerne hören. Sie jubeln uns unter, wofür jemand bezahlt hat oder „Musik“, die viele Clicks bekommt. Zumindest sollte man alle Auto-Play-Funktionen deaktivieren und seine eigenen Playlists machen.

Es ist zu spät

Es ist zu spät, eine Kultur zu retten, in der alternative Musik, die Menschen mit Engagement und Hingabe erzeugen, zumindest faire Bezahlung abwirft. Es ist zu spät, um die Subkulturen zu retten, die uns Vielfalt bescheren würden. Vielfalt ist heute out. Und sie kommt auch nicht wieder. Uns aber nicht ganz auf die Gehirnwäsche durch die Streamingportale einzulassen, dazu ist es nicht zu spät. Alaina Demopoulos im The Guardian:

„Im Januar veröffentlichte die Musikjournalistin Liz Pelly Mood Machine, eine kritische Abhandlung, in der sie argumentiert, dass das Streaming-Unternehmen die Branche ruiniert und die Hörer zu „passiven, uninspirierten Konsumenten” gemacht habe. Das Modell von Spotify, schreibt sie, beruht darauf, dass den Künstlern nur ein Hungerlohn gezahlt wird – noch weniger, wenn sie sich bereit erklären, in den „Discovery”-Modus aufgenommen zu werden, der vor allem langweilige Hintergrundmusik belohnt, die sich nahtlos in den Hintergrund einfügt.

Die Organisatoren von „Death to Spotify“ sagen, ihr Ziel sei nicht unbedingt, die App zu schließen. „Wir möchten nur, dass alle ein bisschen mehr darüber nachdenken, wie sie Musik hören“, sagt Karthikeyan. „Es verflacht die Kultur in ihrem Kern, wenn wir uns nur an diese algorithmisch aufgebaute Komfortzone halten.“


Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

21 Kommentare

21 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare