Die ÖVP ist mit ihrer Ressentiment-Kampagne gegen Minderheiten eine Belastung für die Koalition.
Die ÖVP hat eine Art Hetzportal eingerichtet, sie nennt es „Nulltoleranz“. Man kann da sogar unterschreiben, dass man irgendwie gegen die Ausländer ist. Als die Volkspartei dann auch noch ein gellendes Internet-Meme verbreitete, wonach zwei Drittel das Zusammenleben mit Muslimen als „schwierig“ einstuften, war die Grenze überschritten, und es wurde zu einem Skandal. In pseudoschlauer Neunmalklugheit erklärten die Partei-Strippenzieher, dass das, was die meisten als durchschaubare Ressentimentbewirtschaftung erkannten, doch nur das Ergebnis einer „wissenschaftlichen“ Umfrage sei. Nun ja, Umfragen ergeben auch, dass zehn Prozent der Österreicher Juden nicht als Nachbarn wollen. Das ist auch total wissenschaftlich.
Das Ergebnis der Moslem-Umfrage deutete die ÖVP schließlich umgehend in die Richtung, dass es an der Integrationswilligkeit der Moslems hapern würde. Natürlich würde niemand auf die Idee kommen, das antisemitische Ressentiment wäre auf die Integrationsunwilligkeit der Juden zurückzuführen. Es wäre ja auch absurd. Schon daran sieht man: Es macht einen erheblichen Unterschied, ob man das Ergebnis einer Umfrage zustimmend verbreitet, oder das Gegenteil tut. Und damit fängt es erst an.
Lügen mit Zahlen
Die Wissenschaftlichkeit von Studien, bei denen man den Leuten eine Antwort in den Mund legt, ist eine äußerst diskutable Sache. Es wurde ja sogar gefragt, ob sich die Einwanderer an die österreichische Kultur anpassen sollen. Nicht sonderlich verwunderlich, dass die Mehrheit mit „Ja“ antwortete. Potzblitz, Sherlock, wer hätte damit gerechnet? Dafür hätte ich keine „Umfrage“ des Österreichischen Integrationsfonds gebraucht. Der ist übrigens laut Website ein „Fonds der Republik Österreich“, agiert aber zufälligerweise unverblümt als Unterabteilung der ÖVP-Propaganda-Abteilung. Alleine der Name ist gröbster Orwellscher Neusprech. Er heißt „Integrationsfond“, arbeitet aber gegen die Integration, indem er mit Vorliebe Aversionen zwischen den Bevölkerungsgruppen schürt.
Der Spirit des Agitatorischen ist in dieser Pseudo-Behörde längst in jede Pore gedrungen. Man sollte sie auflösen und durch eine anständige Institution ersetzen, die Integration fördert, statt sie zu torpedieren.
Solche Umfragen haben als einzige Aufgabe, das „Lügen mit Zahlen“ zu erleichtern. In der Fragestellung wird ein möglichst unpräzises, atmosphärisches Bild hervorgerufen, das dann die gewünschten Antworten bringt. Denn natürlich ist in gewissem Sinne das Zusammenleben mit Muslimen „schwierig“, wenn man das Bild von zukunftslosen, gelangweilten, mit Drogen vollgepumpten jungen Migranten vor Augen hat, die in Bahnhofsnähe oder an heruntergekommenen Plätzen herumlungern. Viele aus diesen Gruppen sind sicherlich Muslime. Wird dieses Bild provoziert, dann geben die Menschen die gewünschte Antwort. So kommt man problemlos auf das Ergebnis, das man haben wollte.
Der integrierte Migrant ist unsichtbar
Ist das Zusammenleben mit dem muslimischen Attentäter vom 2. November 2020 schwierig? Logisch, und mehr als das. Ist das Zusammenleben mit den drei muslimischen Lebensrettern schwierig, die den schwerverletzten Polizisten unter Einsatz ihres Lebens aus der Gefahrenzone holten? Nein, ganz bestimmt nicht. Es ist bestimmt nicht schwieriger als das Zusammenleben mit Claudia Plakolm.
Das Zusammenleben mit Muslimen ist überhaupt nicht schwierig, wenn wir das Bild vor Augen haben, das unseren Alltag bestimmt: Wir gehen in unsere Redaktionen und arbeiten dort mit unseren Kolleginnen und Kollegen zusammen, die aus Bosnien stammen; wir hetzen morgens in unsere Firmen und trinken unseren Frühstückskaffee mit unseren türkischstämmigen Kollegen; unsere Kinder sitzen in der Schule neben ihren Kumpels und Freundinnen aus Albanien, aus Syrien; wir schalten morgens den Strom ein, und dass das reibungslos funktioniert, dafür sorgt der junge Mann aus Afghanistan, der als junger unbegleiteter Flüchtling hier ankam und trotz schwieriger Startbedingungen die HTL-Matura geschafft hat; wir gehen in die Apotheke, und ohne die Heerscharen von Pharmazie-Helferinnen und Pharmazeutinnen aus muslimischen Milieus hätte kaum einer dieser Läden zehn Stunden pro Tag offen. Wir sind erschöpft von all den Firmenweihnachtsfeiern, bei denen wir es mit unseren muslimischen Freunden etwas zu lustig hatten. Wer das Bundesheer machte, weiß: Man liegt da mit den türkischstämmigen Kameraden im Unterholz und hat die Aufgabe, fünf Stunden einen „Feind“ zu beobachten, den es natürlich nur in der Übungsphantasie gibt – was herrlich ist, denn so ist man gezwungen, sich stundenlang wechselseitig die Lebensgeschichten zu erzählen. Jeder, aber wirklich jeder und jede weiß: Natürlich ist das Zusammenleben mit diesen Freunden und Freundinnen gar nicht schwierig.
Und wenn man das einwendet, dann sagen natürlich immer alle: Ja, klar, aber DIE haben wir ja nicht gemeint.
Das ist ja der Alltag, das ist ja die Normalität, und wie immer ist es so, dass die Normalität unsichtbar ist. Das Normale ist eben das Normale und zeichnet sich dadurch aus, dass man es gar nicht mehr bewusst wahrnimmt. So wie in dem Witz, bei dem man die Fische fragt, ob das Wasser nass ist, und sie antworten: Was ist Wasser? Was ist nass? Das Normale ist unsichtbar, sichtbar sind nur die Ausnahmen. Der integrierte Migrant ist unsichtbar. Sichtbar ist nur das Problem. Das ist sowieso ganz üblicherweise so, bei welcher Thematik auch immer. Ein Zug, der pünktlich und sicher ans Ziel kommt, ist nicht der Rede wert. Schlagzeilen macht nur der Zug, der entgleist.
Ein Abgrund an Gemeinheit und Niedertracht
Manche politische Hassbewirtschaftung regt mich auf, ohne mir persönlich nahezugehen. Aber die Kampagne der ÖVP gegen unsere muslimischen Freunde, gegen die Kinder unserer Nachbarn und die Schulkolleginnen unserer Kinder oder Enkel geht mir näher. Ich empfinde so etwas wie Scham dafür, dass sich unsere Kolleginnen, Freundinnen das sagen lassen müssen. Kennen Sie dieses Gefühl, wenn Sie Scham für etwas empfinden, obwohl Sie gar nicht dafür verantwortlich sind? Ich schäme mich für etwas, was die ÖVP tut, obwohl ich ja gar nicht die ÖVP bin, einfach, weil diese Niederträchtigkeit so dermaßen gemein und unanständig ist. Deswegen traf Markus Marterbauer mit seinem Posting ja auch einen Nerv, in dem er sich für die ÖVP entschuldigte und bekundete: Wir sind nicht so.
Neben der Lumpenhaftigkeit ist die ÖVP-Kampagne auch einfach dumm. Die Idee, damit der FPÖ das Wasser abzugraben, ist grotesk. Der Subtext der Kampagne ist ja: „Die FPÖ hat recht. Ausländer sind alle ein Problem.“ Wer das macht, wird niemanden von der FPÖ gewinnen. Wer auf so eine Idee kommt, hat wohl gerade einmal acht Neuronen im Kopf. Wer die fiebrige Atmosphäre der Emotionalisierung betreibt, wird niemals Vernünftigkeit ernten.
Böswilligkeit gepaart mit Dummheit
Das ist auch aus einem weiteren Grund absurd: Kanzler Christian Stocker versucht in seiner vollendeten Buddhahaftigkeit, den Erregungslevel, die Böswilligkeit und die populistische Trottelei der politischen Diskurse runter zu drehen; seine Parteikommunikation versucht zugleich, die Empörungsbewirtschaftung weiter hoch zu jazzen und das Wir-gegen-Sie zu schüren. Dabei lernt man in jedem Handbuch der politischen Kommunikation, dass die Botschaften und das Image, das man zu bilden versucht, konzis sein müssen. Entweder ist man vernünftig oder man hetzt. Beides zusammen ist verdammt schwierig, funktioniert nur in einem gewissen Rahmen und wenn, dann nur über verschiedene Politikertypen, die versuchen, unterschiedliche Zielgruppen zu bespielen. Das ist aber immer ein Balanceakt, und der Spagat, den die ÖVP gerade hinlegt, ist einfach verrückt. Er ist dumm, weil er nicht funktionieren kann.
Wir haben eine Regierung, die viele Probleme geerbt hat und diese ganz passabel abarbeitet, in der medialen Öffentlichkeit dafür aber übertrieben niedergemacht wird. Man tut gut daran, sie zu verteidigen, aber die Volkspartei macht einem diese Aufgabe verdammt schwer.
Es ist eine Koalition dreier unterschiedlicher Partner. In einer solchen Koalition muss man viel runterschlucken, damit keine Konflikte eskalieren, damit die Allianz zusammenhält. Eine Regierung, die streitet, oder auch nur uneinig ist, will ja kein Mensch. Da braucht man viel Toleranz gegenüber dem Regierungspartner, und muss recht häufig die Zähne zusammenbeißen. Doch irgendwo ist auch ein Grenze. Eine ÖVP, die gemeine und bösartige Propaganda gegen Minderheiten macht, ist eine Belastung für die Koalition. Ihre frechen Zumutungen strapazieren die Geduld ihrer Partner. Viele Dummheiten kann sie sich nicht mehr leisten.
Titelbild: Miriam Moné
