Donnerstag, Dezember 18, 2025

Die Verachtung

Andreas Babler und Co. werden vom Kommentariat als Trottel hingestellt. Dabei sind die Kommentatoren die nützlichen Idioten der Trumpisierung unserer Welt.

Zappt man sich durch die Nachrichten- und Talkprogramme, blättert man durch die Kommentarseiten der Zeitungen, klickt man sich in die schrillen Brüllaffen-Meldungen des Boulevards, und verirrt man sich danach in die nachdenklicheren Analyseformate für das erlesene Publikum (ORF III oder Ähnliches) – es gibt überall das gleiche Bild. Die Botschaften, die von den Talking Heads verbreitet werden: Die Regierung tut nichts, sie kann nichts, sie sind alle unfähig, Kanzler Christian Stocker ist zu phlegmatisch, zu dick, zeitweise zu krank, zu ÖVP; Vizekanzler Andreas Babler zu angeschlagen, zu unintelligent, unfähig sowieso, und schiarch obendrein. Das ist so zirka das Niveau, das die Politdiskurse hierzulande angenommen haben. „Politikberichterstattung“ – man mag es nur mit Gänsefüßen so nennen – beschränkt sich auf die altbekannten Spiele: Stürzt Sebastian Kurz den Stocker? Erwürgt der Parteivorstand bald Andi Babler? Es ist ein Furor, eine Art von perverser Lust zu spüren, diese Regierung kaputtzuschreiben und kaputtzureden, damit endlich Herbert Kickl an die Macht kommt. Bei den einen ist es bewusstes Ziel, bei den anderen wahrscheinlich eher unbewusste Mitläuferei oder Nihilismus für Besserverdienende.

Nihilismus für Besserverdienende

Man will die Welt brennen sehen. Man empfindet die österreichische Regierung als wackeliges Kartenhaus und ist gierig drauf, sie stürzen zu sehen, denn selbst wenn danach Übles geschieht, geschieht wenigstens irgendwas. Und es ist ja immer geil, wenn etwas passiert.

Die Mogule am Boulevard wollen sowieso Kurz und Kickl zurück, oder Kickl und Kurz, das ist ihnen egal, so eng sehen sie das nicht, sie nehmen, was kommt. Einfach aus Geschäftsgründen. Die mafiöse Rechte lässt sich die Unterstützung etwas kosten, das weiß man aus Erfahrung, also sind die gut für das Geschäft. Zusätzlich verlockend: Eine Rechtsregierung wird mit der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft aufräumen und die Betrugs-, Bestechungs- und Untreue-Verfahren „daschlogen“, die wie ein Damoklesschwert über dem populistisch-medialen Komplex hängen.

Der dominierende rechte Mainstream

Und dem Rest der Publizistik fehlt die Kraft, Fähigkeit und der Mut, dem dominierenden rechten Mainstream etwas entgegenzusetzen oder ihn auch nur zu ignorieren. Man läuft ihm im Gegenteil nach und privilegiert ihn über die Maßen. Die FPÖ, die gerade einmal 30 Prozent der Wähler repräsentiert, bekommt nicht nur auf Servus-TV stets 50 Prozent der Airtime, sondern mittlerweile auch im Sonntag-Abend-Talk des öffentlich-rechtlichen ORF. Zuletzt etwa mit Putin-Büttel Roger Köppel und der Madame Seltsam der FPÖ, Susanne Fürst.

Den Regierungsparteien dagegen begegnet man mit tiefer Verachtung. Da hat man keine Scheu vor Herablassung, flotter Runtermacherei und Kraftausdrücken, etwas, was man bei der FPÖ längst nicht mehr wagen würde, aus Angst vor Shitstorms, aus Angst vor der Internet-Meute, die die Partei dann auf einen hetzen könnte, oder auch aus Angst vor ORF-Stiftungsrats-Politkommissar Peter Westenthaler.

Man muss die amtierende Regierung ja nicht lieben, sie ist eine Notregierung, die übernehmen musste, um dem Land ein irrwitziges Kickl-Regime zu ersparen (was man sich dabei erspart, führt uns jeden Tag Donald Trump vor), gegen sie spricht zweifelsohne, dass die ÖVP an ihr beteiligt ist, was aber leider, solange die Lage so ist, wie sie ist, für jede denkbare Regierung gilt. Einfach aus folgendem Grund: Regiert die FPÖ, regiert die ÖVP mit – regiert die FPÖ nicht, regiert die ÖVP auch mit. Aber was genau macht diese Regierung eigentlich so schlecht?

Die dumme Forderung nach dem „großen Wurf“

Andreas Babler hält den Laden zusammen und hat ein kompetentes Regierungsteam nominiert (Marterbauer, Sporrer, Holzleitner – alles Top-Leute). Christian Stocker ist in seiner vollendeten Buddhahaftigkeit auch ein Kontrastprogramm zur Erregungsbewirtschaftung, die wir sattsam kennenlernen mussten. Die Regierung hat jetzt ein Energiewirtschaftsgesetz hinbekommen, das als Grundlage für die Energienetzwerke der Zukunft sowieso überfällig war. Einzelne Maßnahmen werden mittel-, einzelne kurzfristig die Preissteigerungen beim Strom wenigstens stoppen. Energiekosten, Lebenshaltungskosten, Mieten, das hat in den vergangenen Jahren das Leben an die Grenze der Leistbarkeit gebracht, und für viele Menschen über diese Grenze. Bei den Supermarktpreisen schmiedet der Finanzminister in Brüssel eine Allianz der kleinen EU-Länder, die groteskerweise höhere Einkaufspreise zahlen müssen als die großen Volkswirtschaften. Die Supermärkte selbst will man zu Preistransparenz zwingen. All das sind verschiedene Rädchen, an denen man richtigerweise dreht, wenn man den Preisauftrieb stoppen und da und dort sogar künftige Preissenkungen bewirken will. Aber die Kommentatoren rufen nach dem „großen Wurf“, womit sie wahrscheinlich meinen, dass die Politik an einem Rad drehen soll, an dem Wunderhebel quasi, der alles ändert. Die Kommentatoren, die mit solcher Verachtung über die Regierung schreiben, erweisen sich aber dabei selbst als die unfähigen Trottel, also als das, was sie der Regierung vorwerfen zu sein. Denn in modernen Gesellschaften gibt es nie den einen Hebel, mit dem man ein Großproblem löst. Sondern viele kleine Zahnräder, an denen man drehen muss, um Schritt für Schritt ein Ziel zu erreichen. Mietpreisdeckel im Altbau, im geförderten Wohnbau, zuletzt im frei finanzierten Wohnbau – auch hier hat die Regierung endlich Maßnahmen gesetzt, die die Vorgängerregierungen sträflich unterlassen haben.

Die Regierung hat also erledigt: Marterbauers erste Schritte zur Konsolidierung eines Budgets, das die Vorgängerminister gleichsam in den Straßengraben gefahren haben; Mitpreisbremsen, Energiegesetz, Anti-Inflations-Paket. In einem Monat wird die Inflationsrate nicht mehr 4,1 Prozent, sondern wohl eher zwei oder 2,5 Prozent betragen. Ist das optimal? Nein. Ist das ein erheblicher Schritt in die richtige Richtung? Ja.

Eine Welt voller Zielkonflikte

Wie jeder, der in der wirklichen Wirklichkeit agiert, hat auch diese Regierung mit Zielkonflikten zu kämpfen. Der radikale Nihilismus, der am liebsten alles zerschlagen würde, hat auch seine Zielkonflikte. Wenn man alles in Brand steckt, lodert zwar das verhasste System, aber hinterher sitzt man in rauchenden Ruinen, und das ist meist auch kein großer Spaß. Zielkonflikte liebt die wissenschaftliche Forschung von der Politikwissenschaft über die Nationalökonomie bis zur Soziologie (wir wollen gern individualisiert sein, schätzen aber dennoch menschliche Gemeinschaft und sind kooperative Wesen, ein ganz großer Zielkonflikt!), in der wirklichen Welt sind sie aber kein so großes Drama. Man löst sie mit schlauen Balancen, dem faden, aber weltklugen „Einerseits, andererseits“, das leider in den Schreiformaten des Fernsehens selten Platz hat.

Die Zielkonflikte der Regierung: Man muss das Budget konsolidieren, will aber auch Wirtschaftswachstum ankurbeln, ohne das sich sowieso nie ein Budget konsolidieren lässt. Man will die Inflation bekämpfen, zugleich müssen aber auch Länder und Gemeinden ihre Haushalte im Auge behalten, was sie unter anderem mit Gebührenerhöhungen versuchen, die aber wiederum zur Inflation beitragen. Andererseits kann sich auch niemand kommunale Haushalte wünschen, die praktisch zum Bankrott führen. Immer mehr Gemeinden können nicht mehr ausgeglichen bilanzieren. Zugleich kann man nicht wollen, dass alles, was das Leben lebenswert macht, von der Kunstförderung bis zum städtischen Schwimmbad, zusammengestrichen wird. Alles Zielkonflikte, die eine kluge Balance erfordern, die man aber vor allem mit keinem Populisten-Zauberstab aus der Welt bekommt.

Nützliche Idioten der Trumpisierung

Oder, anderes Beispiel: Man deckelt die Mieten, um das Leben leistbar zu halten, aber natürlich haben sich alle Kosten – Baukosten, Renovierungskosten, Energiekost – für alle Arten von Bauträgern erhöht, auch für die Gemeinnützigen, die unser weltweit gefeiertes System des sozialen Wohnbaus tragen. Mietpreisbremsen können daher natürlich den Neubau drosseln. Welchen Weg geht man in einem solchen Fall? Genau: Den vernünftigen Mittelweg. Aber nichts hassen die berufsmäßigen Nörgler so sehr wie den faden Mittelweg, der gern als halbe Sache niedergemacht wird.

Schlau daherreden wie ein keppelnder Kommentator vom Spielfeldrand können viele; blöd daherreden wie ein FPÖ-Generalsekretär kann überhaupt ein jeder, dafür braucht man weder Intelligenz noch Sachkenntnis, dafür reicht die Kenntnis von fünf Kraftausdrücken. Aber im Grundrauschen unserer Diskurse hat sich ein Ton eingeschliffen, bei dem selbst Leute, die keine Rechtsextremisten sind, sich der Narrative und Framings der Rechtsextremisten bedienen. Sie stellen Vizekanzler, Minister und andere als Trotteln hin, sind in Wirklichkeit aber nichts anderes als nützliche Idioten der Trumpisierung unserer Welt.

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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