Samstag, Dezember 6, 2025

Schöne Welt – Schöne Weihnachten

Die kommerzielle Vermarktung von Weihnachten hat analoge und digitale Wüsten geschaffen: Unorte, die keiner haben will. Pseudo-Rabatt-Terror im Internet, den keiner haben will. Wie kommen wir wieder aus der Wüste heraus?

Keines der Weihnachtssymbole und keiner der Weihnachtsbräuche ist christlich. Begonnen beim Christbaum, der im 18. Jahrhundert in Deutschland »erfunden« wurde, bis zu Ochs und Esel in der Weihnachtskrippe, die kein einziges Mal in einem der Evangelien vorkommen.

Unsere Weihnachtswelt ist ein Spektakel kommerzieller Erfindungen, die nicht christlich sind. Angesichts der bei Markus, Lukas und Johannes vorkommenden Stelle, in der Jesus Händler und Käufer aus dem Tempel treibt und die Tische der Geldwechsler umwirft, können wir wohl davon ausgehen, dass der Kommerz nicht seine Zustimmung gefunden hat.

Das politische Christentum

Doch der Kapitalismus und damit das politische Pseudochristentum – denn das zur Schau gestellte Christentum der Kapitalisten, Konservativen und Rechten verstößt beständig gegen die christliche Ethik – ist nur auf eines bedacht: Expanison.

Fast liebevoll muss man daran zurückdenken, wie einst die Frage der Ladenöffnung am 8. Dezember die Gemüter erhitzte. 1984 begann diese Auseinandersetzung damit, dass der Salzburger Landeshauptmann Wilfried Haslauer senior mit einer Weisung das Öffnen am 8. Dezember in Salzburg erlaubte. Das war rechtswidrig, wie der Verfassungsgerichtshof nach einem Prozess, in dem Wilfried Haslauer senior von seinem Anwalt, Wilfried Haslauer junior, vertreten wurde, feststellte. Haslauer ging straffrei aus.

Es wird keine Ruhe sein

Das bürgerlich-konservative Lager – halb christlich, halb kapitalistisch – konnte die Vereinbarkeit des Unvereinbaren nur dadurch beweisen, dass es sich in diesem Konflikt nicht spaltete. Es müsste wohl heißen: halb katholisch, halb kapitalistisch. Und katholisch ist eben in Wahrheit nicht christlich.

Es siegte die normative Kraft des Faktischen. Heute wirkt der Streit um den 8. Dezember wie eine Lappalie – angesichts von Cyber Monday, Cyber Week und Black Friday. Angesichts der Tatsache, dass die Advent- und Weihnachtsmärkte heute von Anfang November bis Mitte Januar geöffnet sind. Es wird keine Ruhe sein, bis Advent, Weihnachten, Wies’n und Oktoberfest das ganze Jahr lang andauern. Aber sie werden der Wirtschaft in einer Situation, in der Löhne und Einkommen sinken und die Ausgaben für die Lebenserhaltung drastisch ansteigen, immer weniger Gewinne bringen.

Weihnachtsverwüstung

Die Verweihnachtung der Welt schafft Unruhe und schafft Wüsten. Wüsten der analogen Welt. Trotz permanenter »Überfremdungsdebatten« verkauft man Weihnachtsmärkte in Wien, auf denen Händler, die nicht aus Wien kommen, Waren, die nicht aus Wien kommen, an Kunden, die nicht aus Wien kommen, verkaufen, als »Tradition« und »Heimatliches«. Das zeigt nur, dass der politische Kampfbegriff »Heimat« wie das politische Christentum ein zeitgenössisches Kontrukt ist – ein verlogenes Konstrukt. Und in allen anderen Städten der Welt ist es genauso: Weihnachtsmärkte sind Unorte.

Die Verweihnachtung schafft Wüsten. Wüsten der digitalen Welt. Die Vernichtung des World-Wide-Web durch Shopping, künstlich generierten Output und Informationsmanipulation ist in vollem Gange. Zwei der großen Machtkomplexe der Welt (Russland samt Satellitenstaaten und China) restringieren es ohnehin; wenn die USA dazukommen, wird das WWW aufhören world wide zu sein und nur mehr ein W sein. Oder es ist ohnehin schon so weit. Was bleibt: ein Shop, der keiner ist – mit Rabatten, die keine sind.

Rabatte, die keine sind

Was die digitalen Wüsten des Cyber Monday und Black Friday betrifft: Man ist damit heute schon unzufrieden. Nicht nur die Käufer, sondern auch die Händler, die Jesus Christus erfolgreich von Weihnachten vertrieben haben. Unter dem Titel Die Händler haben es mit ihren Scheinrabatten völlig übertrieben schreibt Michael Kläsgen in der Süddeutschen Zeitung:

Zwar kennen 98 Prozent der Deutschen das globale Rabatt-Event, aber laut einer Yougov-Umfrage wollten viel weniger als in den Jahren zuvor sicher am Black Friday etwas kaufen – nur 13 Prozent. Die allermeisten winken also ab, nicht wegen quälender Sparnöte, sondern aus Skepsis vor leeren Rabattversprechen und weil sie nicht zu überhasteten Käufen verleitet werden wollen. Immerhin ein Drittel der Befragten begründet seine Abkehr von der Schnäppchen-Jagd mit mangelndem Bedarf, also dem Unwillen, beim Überkonsum mitzumachen, und dem Misstrauen vor Rabatten, die in Wahrheit keine sind.

Engmaschig kontrolliert

Dabei geben Menschen ihre Existenz dafür. Wie Anne From am 4. Dezember in der TAZ berichtete, starb im größten Logistikzentrum von Amazon in Erfurt-Stotternheim am 17. November ein 59-jähriger Mitarbeiter in einem Amazon-Lager. Obwohl Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Logistikzentrum bei der Arbeit »engmaschig kontrolliert« würden, »lag der Mann nach seinem Zusammenbruch für rund zwei Stunden auf der Toilette, bevor er gefunden wurde.«

Geben wir es doch zu: Es ist uns egal. Es ist uns längst egal wie Arbeitende leben, wie Zuwanderer leben, wie Arme leben – und wie sie sterben. Es ist uns längst egal wie es den Menschen in Krisengebieten und Kriegsgebieten geht. Wir stellen fest, dass ein Krieg, auch wenn er nicht weit von uns entfernt, für uns in wenigen Wochen »normal« wird. Und damit egal.

Sie irren

Ich bin kein Christ. Das heißt nicht, dass ich die Evangelien nicht lese. Ich sehe in ihrer Botschaft die Botschaft eines radikalen Gleichheitsgedankens. Dass dieser Gleichheitsgedanke nicht in Politik und Handeln der Kirchen und Religionsvertreter umgesetzt wurde und wird, sondern das Gegenteil davon passiert ist und passiert, spricht nicht gegen die Botschaft selbst, sondern ihre Scheinvertreter, die für sich die einzige gültige Auslegung dieser Botschaft in Anspruch nehmen.

Wenn Konservative glauben, Christentum und Kapitalismus seien in einer Bewegung mit einer kohärenten Ethik vereinbar, irren sie. Wenn Sozialdemokraten glauben, Christentum und Sozialdemokratie seien in einer Bewegung mit einer kohärenten Ethik vereinbar, irren sie. Jede und jeder irrt, der glaubt, dass Kapitalismus ohne Regeln und klare Grenzen mit einer kohärenten Ethik vereinbar ist.

In einer schönen Welt

Nur die von einer organisierten demokratischen Öffentlichkeit regulierte Wirtschaft kann jene Grenzen setzen, die das Negieren und Überschreiten einer solchen Ethik verhindern. Nur in einer solchen Gesellschaft mit einer so regulierten Wirtschaft kann es Prosperität geben, die nicht auf dem Elend und dem Tod von Menschen gegründet ist.

Dann vielleicht kann es auch ein Weihnachten geben, wie man es sich vorstellt. Schöne Weihnachten – was auch immer das sein könnte. Die Menschen meines Alters schieben ja für die Art, wie sie Weihnachten feiern, immer andere vor. Sie sagen: »Wir tun das für die Kinder.« Oder: »Wir tun das für die Eltern oder Großeltern.« Ich glaube, ein wenig wollen wir das auch alle für uns selbst: Schöne Weihnachten. Aber schöne Weihnachten gibt es halt nur in einer schönen Welt.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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