Samstag, Dezember 6, 2025

Aufrüstung in Brüssel und Wien: Alles für Rheinmetall, nichts für die Zukunft

Für Österreich war die Neutralität die beste Entscheidung. Sie nicht weiter verfolgt zu haben, war vielleicht der größte Fehler der Ukraine.

Jeder von uns kennt die Geschichte: Eine österreichische Delegation soff die Russen unter den Tisch, jubelte ihnen die Neutralität unter und die fremden Truppen verließen unser Land. Wir waren frei.

Das ist die Legende der österreichischen Auferstehung: ein Rausch, eine Neutralität, ein Staatsvertrag. Wenn man Figls Reblaus weglässt, wird man merken, dass ihr Kern wahr ist.

Am Tisch

Am 4. April 1948 war die NATO in Washington gegründet worden. In Prag und Budapest hatten Kommunisten längst die Macht übernommen. Deutschland war bereits in Ost und West gespalten. Nur in Wien saß die Sowjetunion noch am Tisch.

Bis zu seinem Tod im März 1953 war Stalin nicht bereit, Österreich gehen zu lassen. Am 8. Februar 1955 machte Außenminister Molotow dem Obersten Sowjet in einer Rede klar, dass die Sowjetunion nur eine Wahl habe: aus Österreich abziehen oder zusehen, wie der Westen Österreichs an die NATO fällt.

Die Sowjetunion formulierte Bedingungen: kein Beitritt zu einem militärischen Bündnis, keine Stationierung fremder Truppen.

Der Rest ist unsere Geschichte. Sie hätte auch anders ausgehen können.

Volksdemokratie in Kaisermühlen

Stellen wir uns vor, Raab, Figl, Schärf und Kreisky hätten Molotow mitgeteilt, dass Österreich nicht den Weg von Ungarn und der Tschechoslowakei gehen wolle und sich für den Westen entschieden habe. Bis 1989 wären Niederösterreich, das Burgenland, das Mühlviertel und die Wiener Bezirke Leopoldstadt, Wieden, Brigittenau und Donaustadt mit meinem Kaisermühlen Teile der Volksdemokratischen Republik Österreich gewesen.

Eines wäre anders gewesen als in der Ukraine: Die falsche Entscheidung in Wien hätte nicht in den Krieg geführt. Dieser Krieg war schon vorbei. Wir hätten nur das erlebt, was jetzt den Menschen im Osten der Ukraine bevorsteht.

Hätte es dort anders ausgehen können? Hätte eine militärisch neutrale Ukraine wie Österreich auch Teil der EU werden können? Die Geschichte kann uns das nicht mehr beantworten. Schon 2008 wurde der Ukraine beim Gipfel in Bukarest die NATO-Mitgliedschaft in Aussicht gestellt. Die Ukraine selbst hat ihre Status als blockfreies Land nach Putins Überfall und der Annektion der Krim 2014 aufgegeben und Schutz bei der NATO gesucht.

Eines scheint klar: Die Zeichen auf NATO-Expansion um fast jeden Preis sind weder in Kiew noch in Tiflis gestellt worden.

Unser Luftkampf

Die Folgen treffen jetzt auch uns. Österreich soll mit aufrüsten gegen die russische Gefahr. Eine Armee, die zu schwach ist, um das ukrainische Militär zu besiegen, soll Deutschland, Frankreich und Großbritannien gleichzeitig angreifen und dabei an der österreichisch-ungarischen Grenze an unseren Panzern und Kampfflugzeugen scheitern. So irgendwie sagt uns das die Verteidigungsministerin, die sich schon im Bauernbund ihren soliden Ruf als Sicherheitsexpertin erarbeitet hat.

Bei uns wird das enden, wie es sich jetzt schon bei der Leonardo-Beschaffung ankündigt: in Schiebungen, Misswirtschaft und Korruption. Der Ernstfall für unser militärisches Beschaffungswesen heißt nicht Landesverteidigung, sondern Untersuchungsausschuss.

Europa abgehängt

Für Europa kommt es schlimmer. Wer jetzt das Geld von Bildung, Forschung und Infrastruktur in Aufrüstung umleitet, führt Europa in Rückständigkeit, Bedeutungslosigkeit und letztlich in völlige Abhängigkeit von den USA. Bei der solaren Wende haben wir schon gegen China verloren, bei der digitalen Wende spielen wir keine Rolle. Für die biochemische Revolution, die sich dahinter als dritte Welle aufbaut, haben wir noch nicht einmal ein europäisches Surfbrett.

Glaubt jemand ernsthaft, dass Rheinmetall, Leonardo und Thales Europas Zukunft sind? Wer mit großen Dieselautos die Mobilitätswende verschlafen hat, wird auch in der Rüstung feststellen: China baut längst die besseren Autos und die besseren Kampfflugzeuge.

Russland zur regionalen Kleinmacht degradiert; Europa hochgerüstet und abgehängt – damit ist der Weg zu einem neuen bipolaren System frei. Auf der einen Seite steht das China der dortigen KP, auf der anderen Seite das Regime „Trump“. Österreich schwimmt mit, irgendwie neutral, aber nicht so genau.

Wer das will, soll es sagen.

p.s.: Ja, ich war seit dem russischen Überfall für die militärische Unterstützung der Ukraine und bin es nach wie vor. Aber jetzt geht es längst um mehr. Und darüber sollten wir rechtzeitig offen reden.

Kommentar ergänzt um 10.10 Uhr.

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