ZackZack hat den Beschluss des Linzer Landesgerichts, mit dem August Wöginger eine Diversion zugeschanzt wurde. Verfassungsrechts-Professor Heinz Mayer erklärt, warum die Diversion der Anfang vom Ende der Korruptionsbekämpfung sein kann.
Ein Satz im Diversionsbeschluss sorgt für Kopfschütteln. Für die Republik, so Richterin Halbig, entsteht kein Schaden, wenn man nicht die Beste nimmt. Der durch die Schiebung Bestellte war laut Halbig im Vergleich zur übergangenen Besten „nicht bestgeeignet, aber als Vorstand dennoch geeignet, weshalb der Republik Österreich im Hinblick auf die Qualitätssicherung durch die Tat, also durch die vorgeworfene missbräuchliche Bestellung des Zeugen zum Vorstand kein unmittelbarer Schaden entstanden ist.“


Mit ihrer letzten Begründung setzt Melanie Halbig ein Signal: „Bei einer rigorosen Verfolgung derartiger Verstöße samt Sanktionierung eines strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens durch eine intervenierende Diversionsmaßnahme ist darüber hinaus auch von einem ausreichenden Abschreckungseffekt gegenüber potentiellen Tätern auszugehen.“
Das Halbig-Signal an künftige kriminelle Politiker scheint klar: Wenn ihr erwischt werdet, könnt ihr euch freikaufen – und es ist gar nicht teuer. So wird aus Abschreckung eine Einladung, es wie Wöginger zu machen.
ZackZack hat dazu Verfassungsrechts-Experten Heinz Mayer befragt.
ZackZack: Warum interessiert sich ein Verwaltungs- und Verfassungsrechtler für diesen Beschluss eines Strafgerichts?
Heinz Mayer: Im vorliegenden Fall geht es um das Delikt des Amtsmissbrauchs. Für dieses Delikt ist charakteristisch, dass der Täter Vorschriften des Verfassungs- oder Verwaltungsrechts verletzt. Der Amtsmissbrauch ist eine besonders strenge Folge einer solchen Rechtsverletzung.
Das Delikt des Amtsmissbrauchs kann daher nicht ausschließlich nach strafrechtlichen Kriterien beurteilt werden, sondern bedarf einer Expertise aus dem Bereich des Verfassungs- oder Verwaltungsrechts.
Nach § 198 Abs 3 StPO darf mit einer Diversion nur dann vorgegangen werden, „soweit der Beschuldigte durch die Tat keine oder eine bloß geringfügige Beschädigung an Rechten herbeigeführt hat“. Das Gericht sieht das so. Zurecht?
Nein. Dem Gericht unterlaufen hier mehrere Fehler. Wenn der Gesetzgeber darauf abstellt, dass durch die Tat “keine” oder eine bloß “geringfügige Beschädigung an Rechten” herbeigeführt wird, dann kann das Wort “geringfügig” nur so verstanden werden, dass eine geringfügige Schädigung nur dann vorliegt, wenn sie im wesentlichen unbedeutend ist.
Im vorliegenden Fall wurde der bestgeeigneten Bewerberin ein Schaden von jedenfalls mehreren Tausend Euro zugefügt. Unverständlicherweise sucht das Gericht den Schaden als unbedeutend zu qualifizieren, weil der übergangenen Bewerberin Entschädigung geleistet wurde. Darauf kommt es aber nicht an.
Nach dem Gesetzeswortlaut und der Lehre ist ein tatsächlicher Schadenseintritt nicht erforderlich; es genügt alleine der auf eine objektiv mögliche Schädigung gerichtete Tätervorsatz. Nach dem Strafantrag kann am Vorliegen dieser Voraussetzung nicht gezweifelt werden; es liegt also eine nicht bloß geringfügige Schädigung von Rechten der bestgeeigneten Bewerberin vor.
Ist dem Staat wirklich kein Schaden entstanden?
Auch der Staat wurde geschädigt. Er hat das Recht, dass bei einer Stellenbesetzung der “objektiv bestgeeignete Bewerber” bestellt wird. Richtig sagt das Gericht in seiner Begründung, dass dies vor allem der Qualitätssicherung der öffentlichen Verwaltung dient. In den nächsten Sätzen versucht das Gericht darzutun, dass die Bestellung eines nur “geeigneten” Bewerbers keinen Schaden darstellt, weil er eben geeignet ist.
Das ist ein offener Widerspruch zum Gebot, den “bestgeeigneten Bewerber” zu bestellen. Ein “Geeigneter” ist eben nicht der “Bestgeeignete” und der Staat hat das Recht, dass der Bestgeeignete bestellt wird.
In diesem Zusammenhang widerspricht sich das Gericht selbst innerhalb weniger Sätze.
Eine Diversion ist auch dann ausgeschlossen, wenn die Schuld des Beschuldigten nicht als schwer anzusehen ist. Auch das sieht das Gericht so. Ist Wögingers Schuld wirklich nicht schwer?
Bei einer Bestimmung der Schwere der Schuld ist auch das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit des Täters relevant. Herr Wöginger ist als Klubobmann der stärksten Regierungspartei maßgeblich an der Gestaltung der Politik der Republik beteiligt. Er trägt damit eine hohe Verantwortung.
In dieser Situation ein Korruptionsdelikt zu begehen, bedeutet jedenfalls ein schweres Verschulden. Der OGH hat im Jahr 2014 klar darauf hingewiesen, dass es zur Stärkung des Vertrauens in demokratische Institutionen erforderlich ist, Straftätern vor Augen zu führen, dass Korruptionsdelikte in diesem Bereich Sanktionen nach sich ziehen.
Dazu kommt, dass Wöginger nachhaltig und mehrmals auf die Bestellung des von ihm gewünschten Bewerbers Einfluss genommen hat und dabei sogar im Bundesministerium für Finanzen erfolgreich interveniert hat. Das Gericht versucht in der Begründung seiner Entscheidung in geradezu geschwätziger Weise diese Zusammenhänge zu verwischen.
Eine Diversion ist nach § 198 Abs 1 StPO nur zulässig, wenn weder generalpräventive noch spezialpräventive Bedenken dagegen sprechen. Was ist die generalpräventive Wirkung, wenn man sich als Spitzenpolitiker einfach freikaufen kann.
Nach der bisherigen Rechtsprechung hat der Strafzweck der Generalprävention bei Korruptionsdelikten eine besondere Bedeutung zum Schutz des Vertrauens in demokratische Institutionen. Wenn ein führender Parlamentarier seine hohe Funktion dazu benützt, um ein Korruptionsdelikt zu begehen – und dies noch dazu mit Nachdruck betreibt – dann steht einer Diversion die Generalprävention entgegen
Was ist Ihr Resumee?
Wenn man die Begründung dieses Beschlusses genau liest, so könnte man den Eindruck haben, dass man den Schriftsatz eines Verteidigers vor sich hat. Das Gericht ist sichtlich bemüht, dem Angeklagten eine Diversion zu gewähren, ignoriert dabei die restriktive und strenge Judikatur sowie klare Aussagen der Lehre.
Wenn die von diesem Gericht eingeschlagene Vorgangsweise in Zukunft bei Korruptionsdelikten zum Maßstab wird, ist das das Ende der Korruptionsbekämpfung in Österreich.
