Rasende Wut und Zerstörungslust: Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey haben mit den Fußtruppen der Rechtsparteien gesprochen.
Die meisten Menschen, die mit Büchern nicht beruflich zu tun haben, sondern nur als Leserinnen und Leser, wissen von den mysteriösen Eigenheiten des Buchmarktes wenig, deshalb hier ein kleiner Einblick. Jedes Jahr erscheinen hunderttausende Bücher. Die meisten finden wenig Beachtung, die meisten Autoren freuen sich über ein bisschen Wahrnehmung. Und dann gibt es ein paar, die einschlagen, und manchmal wissen auch alle vorher schon, dass sie einschlagen werden. Bei diesen Büchern wird nicht um jede Wahrnehmung gekämpft, sondern verhindert, dass ein Hype entsteht, bevor sie überhaupt in den Buchläden sind. Da gibt es dann „Sperrfristen“, vor denen beispielsweise keine Rezension zulässig ist. Mit Sperrfrist 13. Oktober, also vorgestern, erschien ein solches Buch. Es heißt „Zerstörungslust. Elemente des demokratischen Faschismus“ und ist von den Wissenschaftlern Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey.
Ein „neuer Antifaschismus“
Amlinger ist Literaturwissenschaftlerin, Nachtwey Soziologe. Mit ihren Forschungsergebnissen haben sie im vergangenen Jahrzehnt mehrmals dem Nachdenken über unsere Zeit das Gepräge gegeben. Vor drei Jahren haben sie gemeinsam „Gekränkte Freiheit“, vorgelegt, darin geht es um die seltsame Allianz von Libertären und Autoritarismus, also dem daueraggressiven Sound des „Nicht mit mir!“, dem Dagegensein gegenüber einem angeblich übergriffigen Staat, dem Schwinden von Solidaritäten und dem entgleisten Ego-Individualismus. Schließlich kommt Autoritarismus heutzutage nicht mehr immer im Gleichschritt daher, sondern mit „Freiheit“-Parolen und dem Jargon der Selbstverwirklichung. Ausgangspunkt der Untersuchung waren die Nachwehen der Corona-Pandemie, wo sogar Post-Hippies, Esoteriker und freundliche Wirrköpfe gemeinsam mit Nazis zu Kundgebungen marschierten, bei denen Herbert Kickl die Leute aufhusste. Einige Jahre vorher hatte Oliver Nachtwey in „Die Abstiegsgesellschaft“ die Leiden an einer neoliberalen Gesellschaft beschrieben, in der es für Wenige bergauf geht, und die Vielen gegen den Abstieg strudeln.
Jetzt also „Zerstörungslust“. Es ist „das Buch der Stunde“ (ARD), eine „Mentalitätsgeschichte der Gegenwart“ (Süddeutsche), schon vor Erscheinen mit dem „Geschwister Scholl Preis“ nobilitiert. Die beiden werfen einen sehr beunruhigenden Blick auf unsere Gegenwart. Am Ende plädieren sie für einen „neuen Antifaschismus“, der die Herausforderungen rechter Gefühlspolitik versteht und ernst nimmt.
„Zerstörungslust…“
Wir erleben den Aufschwung eines Rechtsextremismus, mit Massenhysterien und Freude an der Grausamkeit, die USA versinken rasant in autoritäre Tyrannei – aber es ist, trotz vieler Laufmeter an Schrifttum zum Thema, noch nicht einmal Allgemeingut, was diesen neuen Faschismus für die Menschen so attraktiv macht. Gewiss, es gibt berechtigte Wut über Ungerechtigkeiten, es gibt auch viel medial geschürten Zorn. Aber was richtet das in Hirnen und Seelen der Menschen an, und welche Dispositionen – also Anlagen – finden sich bei vielen unserer Zeitgenossen, dass der autoritäre Reflex aktiviert wird? Es gibt auch eine Lust an der Grausamkeit, die von der Wut und den Ressentiments befeuert wird. Ist das Leiden – oder das empfundene Leiden – an der Gegenwart drückend genug, dann regt sich die Zerstörungslust.
Es entsteht die Sozialfigur oder der Charaktertyp von Menschen, voller „rachsüchtiger Destruktivität“, die Autoren sprechen auch von „ekstatischer Destruktivität“, einem Außer-Sich-Sein, Raserei, es grassiert ein eigentümlicher Nihilismus. Menschen sind bereit, alles kaputt zu schlagen, sich die Zerstörung einer Welt zu wünschen, wenn sie sie nur als ausreichend unbefriedigend wahrnehmen – sogar dann, wenn sie wissen, dass sie sich damit selbst schaden. Wer etwa die demokratischen Institutionen als unfair erlebt, will sie irgendwann nur mehr in Flammen aufgehen sehen, auch dann, wenn er insgeheim weiß, dass es sich in rauchenden Ruinen noch weit unbequemer leben lassen wird. Was sie beschreiben, ist der „Wunsch, alles in Trümmer zu legen“ (Süddeutsche).
…und Lust an der Grausamkeit
Es ist eine „Politik der Gefühle“ und die Verwandte dieser Zerstörungsgier ist die Lust an der Grausamkeit, also das Ausmalen allerlei Schrecklichkeiten, die den „Anderen“ angetan werden sollen, seien das „die Linken“, „die Woken“, „die liberalen Eliten“, „die Ausländer“, „die Afghanen“, die „Transideologen“. Für ihre Studie haben die Wissenschaftler tausende Menschen befragt und in der Folge auch einige Dutzend Tiefengespräche mit Bürgerinnen und Bürgern geführt, in der ihnen so manche „brutale Fantasie“ entgegenschlug, eine „lustvolle Grausamkeit“, die Gewaltsprache. Aufbrausend ist der Ton, über einen Gesprächspartner schreiben sie, „sein Zorn scheint sich im Gespräch zu verselbständigen, von ihm Besitz zu ergreifen“.
Das Resümee der Autoren: „Nahezu alle interviewten Personen würden sich selbst nicht als faschistisch bezeichnen, aber die Interviews waren oft bevölkert von faschistischen Fantasien der Zwangsdeportation, der rachsüchtigen Strafsucht, der Gewalt gegen soziale Minderheiten oder eines Führers, der durchgreift und für Ordnung sorgt.“
Rachsüchtige Destruktivität
Diese „rachsüchtige Destruktivität“ nennen Amlinger und Nachtwey eine „faschistische Fantasie in der Demokratie“. Sie sprechen vom „demokratischen Faschismus“, weil diese Parteien, die faschistische Fantasien verbreiten, erstens in der Demokratie existieren (was freilich fast alle Faschisten der Geschichte taten, bevor sie in der Lage waren, die Demokratie und Freiheit abzuschaffen), und zweitens weil sich der zeitgenössische Faschismus mit der Sprache der Demokratie schmückt, indem er fordert, die „Mehrheit der Normalen“ solle anschaffen, wo es langgeht. Freilich: Auch der klassische Faschismus erklärte sich zum Sprachrohr gesunden Volksempfindens der Mehrheit – insofern kann man sich schon die Frage stellen, ob das heute wirklich so signifikant anders ist als früher. Die paradoxe Formel vom „demokratischen Faschismus“ ist nicht völlig überzeugend, auch wenn Amlinger und Nachtwey präzisieren, dass der Faschismus gar nicht notwendigerweise als politische Gewaltherrschaft wiederkehren wird, aber als faschistische Fantasie in der Demokratie längst wieder zurück ist.
Man würde besser nicht wetten wollen, dass aus dem „demokratischen Faschismus“ nicht doch recht schnell wieder eine Terrorherrschaft wird.
