Samstag, Dezember 6, 2025

Acht Fragen

Für die ÖVP mag die Causa Wöginger abgeschlossen sein, in der Bevölkerung schlägt sie weiterhin hohe Wellen. Autor und Kolumnist Daniel Wisser stellt dazu acht brennende Fragen. Eine bleibt unbeantwortet.

Sie fordern »Null Toleranz« für jene, »die unsere freie Gesellschaft ablehnen« (Text einer Presseaussendung der ÖVP). August Wöginger lehnt unsere freie Gesellschaft ab. Er will ÖVP-Mitglieder statt Bestqualifizierte in öffentlichen Ämtern. In einem Fall hat er das zugegeben. Daher meine erste Frage.

Erste Frage: Sollen die, die von »Null Toleranz« betroffen sind, der ÖVP beitreten, damit auch ihnen Toleranz entgegengebracht wird?

Mit unendlichen Mühen und zwei Zeugen ist es nach Jahren gelungen, einen Fall von Postenschacher offenzulegen und zu beweisen. Vermutlich gibt es Hunderte oder Tausende weitere. August Wöginger sagte in seiner Erklärung: »Das Politikverständnis damals war ein anderes.«

Zweite Frage: Bedeutet das, dass unter Parteichef Kurz der Postenschacher systematisch betrieben wurde?

Zu August Wöginger fällt mir nicht mehr viel ein. Außer, dass ich jetzt sicher bin, dass es mir lieber ist, wenn Kinder, die nach Wien gehen, als Grüne zurückkommen, als wenn sie als Türkise nach Wien ziehen und dort in die Spitzenpolitik gehen. August Wöginger ist ein mächtiger Mann. Er ist seit fast einem Vierteljahrhundert Parlamentarier und langjähriger Klubobmann. Er hat viele Bundesvorsitzende, Namensänderungen der Partei und Farbänderungen der Partei überlebt. Und er ist jedes Mal auf die Butterseite gefallen. Auch vor Gericht. Was macht er nur richtig?

»Die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet«, sagte August Wöginger am 11. November 2022 der Tageszeitung Der Standard in einem Interview. August Wöginger hat einen Eid auf die Verfassung abgelegt, in der die Menschenrechtskonvention verankert ist.

Dritte Frage: Sieht Wöginger heute auch die Sache »die Sache mit anderen Augen«? Oder gibt es jetzt wieder ein »anderes Politikverständnis«, das »unzeitliche Werte« verändert?

In der Broschüre von Elisabeth Mayerhofer mit dem Titel Werte und Grundsätze der Volkspartei, herausgegeben von der Politischen Akademie der Volkspartei, heißt es auf Seite 26: »Um das Gute in einer Gesellschaft zu erhalten, müssen die politischen und gesellschaftlichen Strukturen an die jeweiligen Erfordernisse der Zeit angepasst werden, damit das Volk davon profitieren kann. Konservativ sein heißt aber auch, an überzeitlichen Wahrheiten und Geboten (Nächstenliebe, Anerkennung der Zehn Gebote) festzuhalten und diese zu verteidigen. Als Gegenposition zum Werterelativismus glauben Konservative an gewisse Regeln und Wahrheiten, die es zu verteidigen gilt.«

Im zweiten Buch Mose 20,16 heißt es: »Du sollst nicht falsch gegen deinen Nächsten aussagen.« Ich nehme an, das ist eine der angesprochenen »überzeitlichen Wahrheiten«, die Elisabeth Mayerhofer meint; jedenfalls aber eines der Zehn Gebote.

Im Februar 2022 sagte Wöginger zur Bestellung der Leitung des Finanzamts Braunau: »Die anderen Bewerber kenne ich nicht und habe auch zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf die unabhängige Kommission, die entschieden hat, genommen.« Thomas Schmid schrieb nach erfolgter parteipolitischer Besetzung trotz besser qualifizierter Kandidatin an Wöginger: »Wir haben es geschafft :-)). Der Bürgermeister schuldet dir was!« Wöginger antwortet: »Echt super! Bin total happy. Dankeschön.«

Im Oktober 2025 sagt Wöginger dazu: »Es tut mir wirklich leid.«

Vierte Frage: Anerkennt August Wöginger die Zehn Gebote? Und, wenn ja, welche Gebote hat er sich ausgesucht?

Bis heute und bis in die Gerichtsbarkeit wird die ÖVP exkulpiert, die Straftaten, die ihre Parteimitglieder begehen, um am achten Tag eine Welt zu erschaffen, die nur mehr von ÖVP-Bürgermeistern verwaltet wird, werden bagatellisiert. Strafrahmen (bis zu fünf Jahre für Amtsmissbrauch wären für Wöginger möglich gewesen) werden nicht ausgeschöpft. Die Prävention, die Urteile haben sollten, wird damit nicht ausgestrahlt. Bis heute heißt es, die ÖVP wäre die weniger gefährliche Partei als die FPÖ. Denn die FPÖ wolle »den Staat umbauen«.

Fünfte Frage: Hat die ÖVP den Staat nicht schon umgebaut?

Der ÖVP-Bundeskanzler, ein promovierter Jurist, Doktor der Rechtswissenschaften, findet in seinem Statement keine Worte zu Moral, Verfehlungen in seiner Partei, dem Schaden, den Postenschacher und Korruption, für die ÖVP, ja für das Ansehen der Politik bedeuten. Nein, Stocker denkt nicht an das Land, sondern ausschließlich an seine Partei und seine Freunde, wenn er sagt: »Dass August Wöginger den Gerichtssaal heute als unbescholtener Mann verlässt und das Strafverfahren damit beendet ist, freut mich nicht nur als sein Freund, sondern auch als Bundesparteiobmann der Volkspartei sehr.«

Sechste Frage: Leben wir in einem Land, in dem Klassenjustiz herrscht? Und, wenn ja, ist die Klassenjustiz eine Grundforderung der ÖVP?

In der bereits oben zitierten Broschüre Werte und Grundsätze der Volkspartei heißt es auch: »Wir bekennen uns zum Leistungsprinzip.« Ja, die besten Köpfe, die Tüchtigen. Und: Leistung muss sich wieder lohnen.

Siebente Frage: In welcher Form wurde das Leistungsprinzip bei der Bestellung der Leitung des Finanzsamts Braunau berücksichtigt?

Die ÖVP wird – angespornt durch erfolgte De-facto-Legalisierung von Postenschacher – weitermachen wie bisher. Sie wird auch innerhalb der Ministerien, von denen sie manche seit Jahrzehnten führt, ihre »Freunde« für ihre Arbeit abstellen. Und sie arbeitet in folgendem binären Modus: Manchmal erklärt sie den Österreicherinnen und Österreichern, dass eine Koalition mit der FPÖ »alternativlos« ist. Dann wieder erklärt sie, die FPÖ und Herbert Kickl seien jene böse Kraft, die für Russland spioniere und das österreichische Recht ignoriere. In Wahrheit aber ignoriert auch ihr Innenminister Karner das österreichische Recht (sogar gültige Rechtssprüche); in Wahrheit ist Wolfgang Sobotka neben Jan Marsalek in Moskau gesessen; in Wahrheit macht die Raiffeisen-Bank in Russland Milliardengeschäfte.

Achte Frage: Welche Partei ist gefährlicher für die Demokratie: Die FPÖ oder die ÖVP?

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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