Samstag, Dezember 6, 2025

Vor der Machtübernahme: Linker Kickl am rechten Weg

Herbert Kickl will Österreichs Orbán werden. Auf seinem linken Weg dorthin schwächt er die ÖVP und bringt die SPÖ um.

Seit gestern steht Herbert Kickl an der Spitze einer Partei, die noch nie so erfolgreich und so geschlossen war. Zumindest sagt das Herbert Kickl. Sein persönliches Wahlergebnis scheint ihm recht zu geben. Er steht als „Chef“, wie ihn innerparteilich inzwischen fast alle nennen, außer Streit.

Was muss man über die FPÖ wissen, um sie zu verstehen? Vielleicht lohnt es sich, einfach ein paar Fragen zu stellen und darauf Antworten zu suchen.

ÖVP und FPÖ

Die erste Frage scheint vom Thema wegzuführen: Was wissen wir über die ÖVP? Mit der Antwort sind wir gleich bei der FPÖ.

Seit Wolfgang Schüssel seine ÖVP im Jahr 2000 zu Jörg Haider und seiner FPÖ gewendet hat, ist die Entwicklung der beiden Parteien der Rechten ineinander verzahnt. Unter Schüssel war die ÖVP Chefpartei und die FPÖ ihr Mitläufer. Von Europa bis Wirtschaft bestimmte die ÖVP den Kurs. Die Minister der FPÖ hielten nur viele Hände auf.

Die Folgen sind bekannt: Die FPÖ von Haider, Grasser, Rieß-Passer, Westenthaler und Scheibner begann im Strudel von Korruptionsaffären abzusaufen. Die FPÖ spaltete sich. Heinz C. Strache baute nach Haider die Partei ein zweites Mal auf und stellte ein Thema über alle anderen: Ausländer.

2017 war die FPÖ wieder stark und bekam zum zweiten Mal von der ÖVP den Vizekanzler. Aber diesmal war politisch vieles verschoben. Das Programm, mit dem Sebastian Kurz die Wahl gewonnen hatte, war von Ausländern bis Heimatkultur ein Plagiat der FPÖ. Der Kurz-Erfolg verdeckte das Wichtigste: Kurz war kein zweiter Schüssel. Er hat erstmals nicht die FPÖ, sondern die ÖVP gespalten, in eine schwarze und eine türkise Partei.

Doch es hatte sich noch mehr geändert. Mit Raiffeisen hatte sich die schwarze Finanzmacht neu positioniert. Großkoalitionäre wie Christian Konrad waren von Rechtsblock-Bankern wie Erwin Hameseder abgelöst worden. Raiffeisen begann neben der ÖVP auch die FPÖ zu finanzieren. Und Raiffeisen steckte tief im russischen Sumpf. So kam es, dass sich die Russen-Bank immer besser mit der Russen-Partei verstand.

Als Kurz 2021 auf Grasser-Art stürzte, war der Weg für die FPÖ wieder frei. Im Frühjahr 2025 war eine geschlagene ÖVP zum ersten Mal reif für die FPÖ.

Zweimal FPÖ

Aber warum, fragen sich viele, hat Herbert Kickl im Februar 2025 nicht zugegriffen? Christian Stocker buckelte vor Kickls Tür und bot der FPÖ Kanzler, Finanzminister und damit den Großteil der Macht. Kickl schlug die Tür zu.

Am 18. Dezember 2024 hatte sich Mario Kunasek von der steirischen ÖVP zum Landeshauptmann küren lassen. Die FPÖ regierte damit in fünf Bundesländern und wusste, dass ihr nach der Steiermark auch Salzburg, Niederösterreich und ein zweites Mal Kärnten in den Schoß fallen könnten.

Genau in diesem Moment sagte Kickl „Nein“. Viele außerhalb der FPÖ haben das bis heute nicht verstanden. In der FPÖ ist es kein Geheimnis, was Kickl trieb.

Zwei Motive

Eines der Motive ist persönlich. Kickl kann der ÖVP nie verzeihen, dass sie damals bei Ibiza seinen Kopf für etwas verlangte, was Strache und Gudenus hinter seinem Rücken und ohne sein Wissen angestellt hatten. Kickl hat von „Ideenschmiede“ bis Verfassungsschutz-Zerstörung viel am Kerbholz. Ibiza gehört nicht dazu. Seit damals ist die Bundes-ÖVP für ihn eine Schurkenpartei.

Das zweite Motiv ist klassisch für die FPÖ. Wie die ÖVP besteht auch die FPÖ aus zwei politischen Fraktionen. Beide haben dasselbe Ziel: die Volksgemeinschaft, in der der autoritäre blaue Staat vor Umvolkung durch kriminelle Ausländer und Umerziehung durch woke Inländer schützt.

Am Weg dahin wollen die einen am kurzen Weg mit Industrie und Banken ins klassische Geschäft der Rechtsparteien kommen. Dieser Weg führt direkt in den Rechtsblock mit der ÖVP.

Linker Kickl

Der zweite Weg führt ein Stück weiter links ans selbe Ziel. Es ist Herbert Kickls Weg. Mit „linken“, sozialen Themen werden die „kleinen“ Leute so lange mobilisiert, bis die Partei groß genug ist. Dabei weiß Kickl genau, was er tut und was er niemals tun würde. Inflation bekämpft er nicht durch Preisdeckel, sondern durch die Abschaffung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Weil sein Staat aber keine Reichen besteuern will und die FPÖ geschlossen Vermögenssteuern ablehnt, müsste er sich als Kanzler das Geld wieder bei den „Kleinen“ holen.

Gestern am Salzburger Parteitag haben es alle gespürt: Kickl ist dem blauen Ziel so nahe wie kein FPÖ-Führer vor ihm. Solange ÖVP und SPÖ miteinander regieren, wird er die beiden Parteien des alten Proporzes vor sich hertreiben – die SPÖ, indem er den Kampf gegen Preis- und Mietenwucher gegen sie führt und die ÖVP, indem er sie mit ihren Affären von Kurz bis Pilnacek öffentlich als Mutterpartei der Korruption bloßstellt.

Für die ÖVP ist das gefährlich, weil ihr Kickl noch mehr Stimmen kosten wird. Für die SPÖ ist die Gefahr weit größer. Wenn Kickl mit den Leibthemen der SPÖ erfolgreich die Regierung bekämpft und die Sozialdemokraten weiter Regierungstreue über Grundsatztreue stellen, ruiniert er die SPÖ. Vielleicht ist das ein Grund, warum viele in der ÖVP den gemeinsamen Niedergang seltsam entspannt über sich ergehen lassen.

Zahltag

Im Herbst 2025 rechnet man in der FPÖ, dass die nächsten Wahlen der letzte blaue Zahltag vor der Machtergreifung sind. Dann ist die FPÖ endlich dort, wo Orbán, Netanjahu, Erdoğan, Trump, Milei und Meloni längst zeigen, wie man Sozialstaat, Pressefreiheit, Unabhängigkeit der Justiz und damit Stück für Stück die freien Gesellschaften selbst in Trümmer legt.

In alter Tradition kümmert sich die FPÖ um die deutsche Generalprobe. Gleich nach ihr kommt die AfD und damit Deutschland. Dann wird es auch in Europa brandgefährlich.

Am Straßenrand

Jetzt marschiert die FPÖ auf der Hauptstraße zur Macht. Die Linke steht am Straßenrand und ruft „Tod dem Faschismus!“ Bis heute hat sie kein Rezept gegen die rechten Siegesmärsche von Washington bis Wien gefunden. Doch das heißt nicht, dass es keines gibt.

Morgen Fortsetzung: Kickl auf der Trump-Welle

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