Rechte Agitatoren geben uns vor, unterdrückt zu sein. In Wahrheit unterdrücken sie alles, was ihnen nicht passt. Wie weit wollen wir den neuen Tyrannen eigentlich noch nachgeben?
Zu den krassesten Betrügereien in unserer an Gaunern nicht armen Zeit gehört die Behauptung der verrückten Rechten, sie würden für die „Freiheit“ einstehen. Sie wollen sich als arme Hascherln darstellen, die so furchtbar verfolgt seien. Dieser Trick mit der „Freiheit“ ein wesentliches Bindeglied, das die extremistische Rechte – also die neuen Faschisten – und die radikalisierten Konservativen sowie die autoritären Neoliberalen zusammenhält. Sie phantasieren eine linke oder „woke“ Hegemonie herbei und behaupten, dass man ihnen, den angeblich „Normalen“, Vorschriften macht, wie sie zu denken, zu fühlen, zu sprechen hätten.
Wie verrückt das ist, zeigt sich, sobald sie auch nur ein wenig zu sagen haben: Dann greifen sie die Freiheit mit allen Mitteln an. In den USA etwa gab es bisher Universitäten, an denen die unterschiedlichsten Dinge unterrichtet wurden, an denen hartgesottene Wirtschaftsliberale lehrten, dass es super sei, wenn sich immer der Stärkste durchsetzt und alle anderen unter die Räder kommen, zugleich wurde an anderen Departements Gender Theory oder Kolonialismus-Kritik durchgenommen und manchmal sogar progressive Wirtschaftspolitik. Ihre „Freiheit“ sahen die Rechten dadurch bedroht, dass auch Andersdenkende Forschungsergebnisse oder Gesellschaftsanalyse vortragen konnten.
Und das wollen sie jetzt verbieten. Oder besser: Sie tun es mit einer autoritären Brutalität, die man bis vor wenigen Monaten kaum für möglich gehalten hätte.
Kurzum: Sie sahen ihre „Freiheit“ durch die Tatsache bedroht, dass auch Andere vorkamen. Das unterdrücken sie jetzt. Und das nennen sie „Freiheit“.
Was sie stört, soll ausgemerzt werden
Forscherinnen werden fertig, kritische Theoretiker mundtot gemacht. Aufmüpfige Studierende von den Unis relegiert. Ausländische Studierende verlieren ihre Visa, oft ohne jeden Grund. Manchmal auch, weil sie einmal etwas auf Social Media gepostet haben, was den rechten Neo-Autokraten nicht passt. Einwanderer werden von der Straße weggefangen, einfach so. Aber all das passiert nicht nur in den USA. Die AfD in Deutschland kämpft gegen die Kunstfreiheit, verklagt dauernd etwa Theater, wenn die Stücke auf die Bühne bringen, die ihnen nicht passen. Und das, obwohl sie noch in Opposition ist. Man kann sich vorstellen, wie das wird, wenn sie einmal in der Regierung sind.
Der ultrakonservative Flügel der CDU/CSU macht mit. Die Bundestagspräsidentin hat jetzt das Aufhängen der Regenbogenfahne am Parlament, aber auch in Büros von Parlamentariern verboten, sofern diese nach außen sichtbar sein könnte, etwa am Fenster. Sie reden von „Freiheit“, aber meinen: Was uns nicht passt, darf nicht mehr vorkommen. Der Kunststaatsminister hat dekretiert, dass niemand in seinem Amt mehr gendern darf. Im nächsten Schritt wird schon diskutiert, dass niemand eine Subvention bekommt, der es dennoch tut, etwa Kunstinstitutionen oder auch Vereine, die sich um Brauchtum oder sonst etwas kümmern. In Niederösterreich ist das längst Regierungspolitik. In der Steiermark hat ein FP-Abgeordneter ein Blasmusikfestival missbraucht, um gegen Schwule und Lesben zu hetzen. Die Blasmusiker fanden das gar nicht gut, dass sie für diese Aufganselei missbraucht werden. Herbert Kickl fordert sogar „ausländerfreie“ Schwimmbäder. Was kommt als Nächstes? Der Vorschlag, die Ausländer sollen die Schwimmbäder mit Zahnbürsten schrubben?
Totalideologisierung des Alltags
Verbieten, fertigmachen, niedermachen, einsperren, Zugangsbeschränkungen – das ist das Betriebsklima dieses autoritären Wahns. Aber ein Charakteristikum davon ist auch eine „vollständige Ideologisierung des Alltags“, wie das der Kulturwissenschaftler Simon Strick nennt. Denn es geht nicht nur um die Themen, die man früher im engeren Sinne als „Politik“ bezeichnet hätte. Jedes Thema ist davon berührt: Wie man spricht, wie man schreibt, wie man liebt, wie man isst (Schnitzel gut, Gemüse böse, weil vegetarisch, also woke…), ob man Zug fährt oder Fahrrad oder mit dem Auto, was man trinkt (Bier gut, Aperol nur was für „liberale Eliten“). Windkraftanlagen, wie man heizt, es ist absurd. Zum Glück gab es diese verrückten Rechten noch nicht, als man hierzulande Staukraftwerke baute oder die Kohleöfen durch Zentralheizungen ersetzte, wir würden heute noch am Wintermorgen mit klammen Fingern die Allesbrenner befeuern müssen.
Alles kann zum Kulturkampf werden. Es scheint schlechterdings kein noch so abseitiges Thema zu geben, das sich nicht für die Totalideologisierung und Polarisierung missbrauchen lässt.
Sie lieben diese Kulturkämpfe, denn diese „sorgen für Polarisierung, die keine Differenzierung erlaubt“, erklärte Extremismus-Forscher Peter R. Neumann dieser Tage in der Süddeutschen Zeitung: „Kulturkämpfe sind ein ideales Terrain zur Dämonisierung und Verhöhnung des politischen Gegners.“
Politik der Angst
Jede Pore des Alltagslebens soll politisiert, zum Schlachtfeld des Kulturkampfes werden. Erst sagen sie, sie seien für Freiheit. Und gleich danach befehlen sie euch, wie ihr zu leben habt, ja, sogar wie ihr zu fühlen habt, wollen euch bis tief in den Alltag nachstellen.
Solange sie in Opposition sind, tun sie so, als wären sie unterdrückt. Aber wie man in der Psychologie von „Projektion“ spricht, ist es auch hier: Was sie zu bekämpfen vorgeben, ist in Wirklichkeit ihre eigene Sehnsucht. Sie unterstellen anderen, dass sie täten, was sie in Wahrheit planen. Sobald sie können – also auch nur einen Zipfel der Macht haben – befehlen sie euch, was ihr zu tun habt. Und vor allem, was ihr zu lassen habt.
Es ist eine „Politik der Angst“, und zwar in zweifachem Sinn: Erst schüren sie die Angst – vor Flüchtlingen, vor Zuwanderung, vor dem kulturellen Wandel, im Grunde vor allem – um an die Macht zu kommen. Und wenn sie an der Macht sind, verbreiten sie Angst und Schrecken. Eingebildete Verfolgte, die flugs zu Verfolgern werden.
Durch diese Totalideologisierung des Alltags und die tägliche Agitation wird ihre Anhängerschaft in eine aufgepeitschte Masse verwandelt. Kommentatoren und Analytiker aus der betulichen Mitte haben eine endlose Geduld mit diesen Erregten.
Sie grübeln darüber, welche Entfremdungsgefühle sie in Parteigänger des Hasses verwandelt haben. Häufig ist zu hören, wir müssten den Zorn und die Angst dieser Leute verstehen, und auch, warum sie voller Bitterkeit sind. Das ist ja auch in Ordnung, aber manchmal denke ich, ich möchte eigentlich nichts mehr von der Bitterkeit aufgehusster Leute verstehen müssen. Manchmal denke ich, diese Engelsgeduld ist selbst das Problem. Ich möchte vielmehr umgekehrt, dass sie unsere Bitterkeit verstehen. Ich möchte, dass sie begreifen, dass es jetzt schon längst reicht. Ich möchte nicht in vollendeter Zärtlichkeit die Quellen ihres Zornes diskutieren, ich möchte, dass sie unseren Zorn spüren.
Unseren Zorn darüber, dass sie die freie Gesellschaft und die Demokratie zerstören. Dass sie unsere Angst zu spüren bekommen, dass die Trumps und Kickls und wie sie alle heißen, unsere Welt kaputt machen, im Auftrag ihrer superreichen Gönner. Ich will die Reden nicht mehr hören, über Herbert, den Rächer der Enterbten, der so viel auf sich nimmt, um die Stimme der Wütenden zu sein, die gar nicht so wütend wären, wenn er und seinesgleichen sie nicht einer permanenten Gehirnwäsche unterziehen würden.
Die aufgepeitschte Anhängerschaft
Unsere Diskurse, das mediale Geschrei unserer Gegenwart ist im Grunde fest im Griff von Mafiaclans mit sadomasochistischem Anhängermob, der vorsätzlich in Raserei getrieben wird durch die Medien, die die Strippenzieher und Milliardäre kontrollieren. Und man erklärt uns auch noch, man muss sich in diese Leute einfühlen.
Eine Faschisierung der Sprache hat die öffentliche Sphäre im Griff, die absolute Unterwerfung fordert. Wer ohnehin unten ist, der wird noch getreten und dessen Sorgen und Bedrohtheiten kommen sowieso nie vor. Für den Rest gilt: Wenn du nicht ihre Sprache sprichst, ihre Rituale nachlebst, ihre Grundannahmen akzeptierst, ihren Befehlen gehorchst, dann wirst du zensuriert, erpresst, an den Pranger gestellt, vom Shitstorm-Mob verfolgt.
Die Wut muss die Seiten wechseln.
Wie weit wollen wir diesen Tyrannen noch nachgeben?
