Von einer österreichischen Medienkrise und dem Aussterben der Printzeitung ist viel die Rede. Dem gedruckten Buch hat man schon vor zwanzig Jahren sein Ende vorausgesagt. Es kam nicht. Können sich auch die Zeitungen wehren?
In der November/Dezember-Ausgabe der Zeitung Das Feuilleton beschäftigen sich Christina Böck und Bernhard Baumgartner auf Seite 3 mit der österreichischen Zeitungslandschaft und möglichen Zukunftsszenarien. Und sie zeichnen ein düsteres Bild dieser Zukunft:
Droht nun also endgültig das Aussterben der Zeitung? Es sieht leider danach aus, obwohl man den einen oder anderen Zeitungsschnipsel wohl auch noch 2030 und 2035 ausschneiden wird können. Aber die meisten Printprodukte sind dann Geschichte. Und wer jetzt denkt: „Mir egal, wir lesen sie halt online“, könnte überrascht werden. Denn auch für die meisten Online-Pendants der Zeitungshäuser droht existenzielle Härte, denn Online-Journalismus ist leider noch schwerer zu refinanzieren. Denn online wollen die Leute schon erst recht nichts bezahlen. Nicht umsonst verschenkt die „New York Times“ momentan Jahresabos für einen Dollar.
Die zwei Sätze mit gleich drei „Denn“ hintereinander beleuchten einen Teil der Krise. Ich möchte zwei Antithesen wagen: 1,5 bis 2 Millionen Menschen in Österreich lesen täglich Druckmedien. Natürlich hat die Gratis-Unkultur deren Niveau weiter heruntergezogen. Aber liegt es nicht auch daran, dass Österreich ein großes Medium mit kritischem, progressiven und investigativem Journalismus fehlt? Es gibt keinen Guardian und keine Süddeutsche in Österreich. Es gibt aber 300.000 bis 400.000 Menschen, die eine solches Pendant abonnieren und lesen und – behaupte ich – auch ordentlich dafür zahlen würden.
Wenn ich zu einer Veranstaltung fahre und mich vorher sammeln und entspannen muss, nehme ich mir im Railjet einen Platz in der ersten Klasse. Ich habe einen Traum, nein, drei Träume: dass der Railjet pünktlich ist, dass die Menschen in der Ruhezone ruhig sind und dass man dort eine ordentliche Zeitung angeboten bekommt. Ersteres und Zweiteres kommt hin und wieder vor. Dritteres nicht.
Was bleibt einem über, wenn man die ausschließlich verbliebenen konservativen und rechten Tageszeitungen nicht lesen will? Nischenmedien. Böck und Baumgartner dazu:
Diese Nischenmedien werden oft eine politische Schlagseite oder direkte Parteinähe haben. Um sich gegen digitale Konkurrenz durchzusetzen werden sie auf den Algorithmus setzen. Der wird populäre Inhalte vorreihen, mögliche unangenehme Fakten werden sich schwer durchkämpfen können. Außerdem werden dadurch vor allem emotional und politisch aufgeladene Themen bevorzugt werden.
Ich verstehe, was hier gemeint ist. Aber ehrlich gesagt: Es ist kein Algorithmus. Ausländerfeindlichkeit, Sozialisten- und Ökologiebashing, Ad-Hominem-Attacken, Human-Interest-Stories, Oligarchen-Brown-Nosing und Propaganda – um sie vorzureihen, braucht man keinen Computer. Man braucht ihn nur, um das Papier auszurotten. Denn mit der reinen Onlinepräsenz sind Manipulation und Revisionismus ganz einfach möglich.
Papierloser Revisionismus
Unsere Gedächtnisorganisationen und Bibliotheken sind weitgehend auf das Sammeln von Physischem aus. Suchen Sie einmal einen Staberl-Artikel aus den 1980er-Jahren über den Steyrer-Waldheim-Wahlkampf. Sie werden sehen, wie viel Arbeit es ist, ihn überhaupt aufzutreiben. Die schlimmsten Zeitungen sind die, die kein Online-Archiv anbieten. Uns droht nicht nur die papierlose Diktatur, sondern auch der papierlose Revisionismus.
Es ist eine Entwicklung, die durch ständige Vorhersagen zur Wirklichkeit wird. Im Kulturbereich, in dem ich tätig bin, erlebe ich seit fünfundzwanzig Jahren die sich selbst erfüllende Prophezeiung des Niedergangs. Böck und Baumgartner dazu:
Eine Tendenz, die sich bereits andeutet, ist die Ausdünnung von Kulturressorts – in einem Kulturland wie Österreich bisher eine unhinterfragte journalistische Disziplin.
Meine Anmerkung zu dieser heftigen Untertreibung: Die Kündigung von Kulturjournalisten und die Streichungen von Kulturberichterstattung ist in vollem Gang. Böck und Baumgartner weiter:
Literaturrezensionen werden ebenso aus den paar noch vorhandenen klassischen Medien verschwinden. Dafür wird man Blogs oder Soziale Medien aufsuchen müssen. Da wird aber Unterhaltungsliteratur dominieren, denn auch dort wird das gebracht, was Klicks erzeugt.
Frisierte Klicks
Meine Randnotiz: Die „Anzahl der Klicks“ wird von jeher vom Medieneigentümer selbst frisiert, um Argumentationsbasen für Streichungen und Kündigungen zu schaffen. Und die „Anzahl der Klicks“ wird von Konzernen wie Amazon, das selbst einen riesigen Hörbuchverlag betreibt, benutzt, um mit ihrer Verkaufsplattform die Konkurrenten in der Hörbuchverlagslandschaft hinter sich zu halten. Auch das ist längst so. Bald werden Original-Hörbücher produziert werden (also Texte, die nicht vorher oder gleichzeitig als Buch erscheinen), die von vornherein darauf ausgelegt sind, Autorinnen und Autoren, Lektorinnen und Lektoren und Übersetzerinnen und Übersetzer weitgehend aus dem Geschäft zu verdrängen und ihnen höchstens eine Einmalabgeltung zu bezahlen (was in Europa illegal ist, aber bereits tägliche Praxis bei Vertragsabschlüssen ist). Tja, die Konzerne der Oligarchen halten sich nicht nur nicht an Steuergesetze, ihnen sind alle Gesetze egal.
Nur große Medien mit Redaktionen und nur eine Pflege des öffentlichen Diskurses können uns vor der Ausschaltung der Kultur retten. Christina Böck und Bernhard Baumgartner abschließend:
Der kulturelle Diskurs, ein Trainingsplatz der Gesellschaft für Demokratie, wird verflachen und letztlich – bis auf unsichtbare Splittergruppen in Nischenmedien – verschwinden.
Titelbild: Manon Véret
