In Deutschland hat es ein Troll bis ins Bundeskanzleramt geschafft. Mit seinem xenophoben „Stadtbild“-Sager hat sich Friedrich Merz als tollpatschige Kopie eines gewissen österreichischen Altbundeskanzlers erwiesen.
Es hat sie immer gegeben: Die Philosophen. In den Cafés und Gasthäusern sitzen sie an ihrem Tisch, bewaffnet mit ihrem Getränk und einer Tageszeitung und holen gegen die Welt aus. Thematisch immer auf der Höhe der Zeit, genau genommen auf der Höhe der Tageszeitung, ist ihr Raunzen und Stänkern karthatisch – zumindest für sie selbst. Die unfreiwilligen Zuhörer müssen selbst entscheiden, wie wertvoll das Gehörte für sie ist.
Schlimm genug, dass mit Social Media eine Möglichkeit aufgetaucht ist, die ganze Welt zu einer Echokammer des Jammerns, Raunzens und Besserwissens geworden ist. Die unsäglichen Bewertungstools im Netz, wo Eltern mit vielen Rechtsschreib- und Grammatikfehlern den Deutschlehrer ihres Kindes an den Pranger stellen können, haben aus den Stammtischraunzern Trolle gemacht. Das World Wide Web ist die Echokammer ihres Wehklagens und ihres selbstverliehenen Expertentums. Der nächste Schritt des Trolls ist der aus der virtuellen Welt auf die politische Bühne.
Ohne nachzudenken
In Deutschland hat es ein solcher Troll ins Bundeskanzleramt geschafft. Friedrich Merz. Ein Mensch, der die anderen zwingt, nach seinen Äußerungen das zu tun, was er weder vor noch nach seinen Äußerungen tut: nachdenken. Merz ist quasi ein Naturtalent, ein Medium, durch das ungefiltert der Desinformationsmüll des Zeitungsboulevards strömt: »Wir sind bei der Migration sehr weit.« Man habe die Asylzahlen um 60 Prozent nach unten gebracht. »Aber wir haben im Stadtbild immer noch dieses Problem.«
Friedrich Merz wurde in Brilon im Sauerland geboren, einem Städtchen mit 25.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Der Caritasverband Brilon bietet eine Migrationsberatung für erwachsene Zugewanderte an, in deren Rahmen Migrantinnen und Migranten drei Jahre lang begleitet werden. Der Bevölkerungsanteil zugewanderter Menschen beträgt in Brilon elf Prozent. Was Friedrich Merz am Stadtbild seines Heimatorts stört, wird er uns nicht sagen.
Das Niveau senken
Friedrich Merz ist Jurist. Er weiß genau, wie Asyl rechtlich geregelt ist. Er weiß genau, dass ein Migrant nicht notwendigerweise ein Asylant ist. Er weiß, welchen Anteil zugewanderte Arbeitskräfte in Pflege, Gesundheitswesen, Gastronomie, Transport und Logistik haben.
Umso schlimmer ist die Tatsache, dass Merz aus politischem Kalkül ein rechtspopulistischer Schreihals geworden ist. Seine Berater sagen ihm, dass er das Publikum der AfD anlocken soll. Und er tut es. Erstaunlich wie weit das Niveau eines angeblichen bürgerlichen, konservativen Menschen gesenkt werden kann. Es wäre auch schon egal gewesen, wenn er es so gesagt hätte: »Die Ausländer sind schuld. Sie sind dreckig, sie stinken und sie arbeiten nicht.«
Umkehrung der Ethik
Wohin auch die Reise der ständigen Radikalisierung der angeblich konservativen Parteien führt – sie entledigt sich jedenfalls zu allererst ihrer Ethik, die ja angeblich in christlichen Werten wurzelt. Wir haben es ja jüngst in Österreich erlebt, dass ein »Ethikrat« einer angeblich christlichen Partei nicht höhere Werte als die Einhaltung des Strafrechts fordert, sondern niedrigere. Es ist eine faszinierende Umkehrung einer selbstauferlegten Moral, die nun die Amoral nicht im Handeln der Menschen sucht, sondern in ihrer Herkunft.
Friedrich Merz ist ein Rassist. Und es macht ihm nichts aus. Im Gegenteil: Er meint damit auf Stimmenfang zu gehen. Die Frage ist nur: Warum sollte jemand, der mit der diffusen »Meinung«, dass die »Ausländer« (wer auch immer das ist), an allen Missständen (welche auch immer gemeint sind) »Schuld« sind (hier wenigstens kommt zumindest das katholische Schuldbekenntnis zur Anwendung, wird aber umgekehrt: nicht meine Schuld, sondern die der anderen) – warum also sollte dieser jemand die CDU wählen?
Das Sickern des Rechtsextremismus
Merz ist ein tollpatschiger Nachfolger eines österreichischen Altkanzlers, der es zwar in der Rechtswissenschaft nicht so weit gebracht hat wie der deutsche Kanzler, der aber bei seiner Wortwahl niemals so tief in den Schlamm gegriffen hat: Sebastian Kurz. Kurz versuchte, den Rechtsruck, den er vorgenommen hat, durch eine andere Umkehrung zu relativieren: »Vieles von dem, was ich heute sage, ist vor drei Jahren noch massiv kritisiert und als rechtsradikal abgetan worden, das hat sich geändert.«
Natürlich hat sich die Definition des Rechtsradikalismus nicht verändert. Doch die xenophoben Begriffe des Rechtsextremismus sickern heute in die Standardsprache. Die Talkshows und Diskussionsformate der deutschen und österreichischen Medien (auch der öffentlich-rechtlichen) kommen nicht mehr ohne rechtsradikale Politiker aus. Es gibt in Österreich Politiker, die nie irgendeinen relevanten politischen Posten besetzt haben, aber davon leben, durch diese Formate zu tingeln und ihre Bekanntheit in der Bevölkerung den Medien verdanken.
Gefühle statt Gedanken
Der neue Rechtsradikalismus – auch der des Friedrich Merz – ist eine Self-Fulfilling-Prophecy der Massenmedien. Der Ungeist, sich durch die scheinbare Antizipation dessen »was die Menschen hören wollen« zum Anstifter der Barbarei gegen seinen Nächsten zu machen, ist unchristlich, unanständig und undemokratisch.
Der vielbeschworene »Wutbürger« – und mit diesem Begriff hat man die politische Motivation vom Intellektuellen ins Emotionale verschoben – ist nicht mehr antastbar. Denn die »Wut« ist sein Gefühl. Er kann aber das Gefühl nicht so schnell abstreifen wie seine christliche Gesinnung. Er hat ein Problem. Er geht über eine Straße einer kleinen Stadt im Sauerland, sieht einen dunkelhäutigen Menschen und fühlt, dass dieser Mensch an seinem Problem schuld ist.
Ein moderner »Konservativer«
Das ist es, was Friedrich Merz den Medien verkaufen will. Er wird sich nicht dafür entschuldigen, weder bei Jesus Christus, noch irgendjemand, von dem er glaubt, dass er ein Problem für das Stadtbild ist. Er glaubt damit, einen Treffer gelandet zu haben. Doch alles, was er getan hat, ist, dass er uns klargemacht hat, dass er vor billigster und abgeschmackter Hetze und Menschenverachtung nicht zurückschreckt.
Friedrich Merz gibt exakt das Bild des modernen »Konservativen« und »christlichen Politikers« ab: Er redet zu uns ohne Anstand, ohne Moral, ohne Gewissen und ohne eine politische Überzeugung, der er verpflichtet wäre.
