Samstag, Dezember 6, 2025

“Freier Mitarbeiter des FSB”: Die brisante Spionage-Anklage gegen Egisto Ott

ZackZack liegt die neue, 172-seitige Anklage gegen Egisto Ott vor. Sie schildert einen internationalen Geheimdienst-Krimi rund um Peilsender, Auftragsmorde und Schulfotos. Ott bestreitet die Spionage-Vorwürfe, wichtige Hintermänner bleiben flüchtig.

Eines steht fest: Die vor kurzem eingebrachte Spionage-Anklage gegen Egisto Ott würde wohl Stoff für gleich mehrere Serienstaffeln zwischen Agentenkrimi und Politthriller bieten. Es geht um flüchtige Milliarden-Betrüger, Auftragsmorde, Peilsender, versenkte BMI-Handys und Oligarchen-Freundinnen; mit dazugehörigen Schauplätzen zwischen London, Moskau, Wien, Palmyra und Spittal an der Drau.

Ob das 172 Seiten starke Werk der Staatsanwaltschaft Wien zu entsprechenden Verurteilungen führen- und – ganz aktuell – der Prüfung durch das Oberlandesgericht Wien standhalten wird, bleibt offen.

Fast acht Jahre lang hat die Staatsanwaltschaft jedenfalls gegen den renitenten Ex-Verfassungsschützer ermittelt und nun einen Großteil der gesammelten Vorwürfe zur Anklage gebracht: Ott werden zwischen 2015 und 2022 verschiedene Straftaten wie Amtsmissbrauch, Bestechung, Bestechlichlichkeit und – besonders brisant – “Geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreich” vorgeworfen. Dieses selten angewandte Spionage-Delikt ist auch der Grund dafür, dass sich der Kärntner wohl vor einem Geschworenen-Gericht verantworten wird müssen, der Strafrahmen beträgt fünf Jahre. In einem kleineren Prozess (es ging um Verletzung von Amtsgeheimnissen) war Ott heuer im März bekanntlich freigesprochen worden.

Ott und ein nun ebenfalls angeklagter, mit ihm gut bekannter Ex-BVT-Mann bestreiten die Vorwürfe nachdrücklich, es gilt die Unschuldsvermutung. Weil Einspruch gegen die Anklage eingelegt wurde, ist diese zudem noch nicht rechtswirksam. ZackZack liegt das umfangreiche Papier vor und veröffentlicht die wichtigsten Vorwürfe der Staatsanwaltschaft Wien.

Peilsender und Familienfotos

Kernstück des Spionage-Komplexes sind dreizehn Personen, die Ott zwischen April 2017 und März 2021 in Datenbanken abgefragt- und zu ihnen bei europäischen Polizei-Kollegen Informationen eingeholt haben soll. Den ausländischen Kollegen habe Ott etwa vorgegeben, dass es sich dabei um mögliche Terrorismus-Fälle in Österreich handeln würde. Laut Anklage seien die Abfragen jedoch ohne dienstlichen Auftrag und “zum Zweck der Übermittlung an Jan Marsalek und an unbekannte Vertreter des russischen Nachrichtendienstes” passiert.

Wichtig ist hier der Fall des früheren FSB-Offiziers Dmitry Senin. Dieser setzte sich Anfang 2017 aus Russland ab und suchte in Montenegro um Asyl an. Russland verlangte erfolglos Senins Auslieferung, weil ihm eine angebliche Involvierung in einen Korruptionsfall vorgeworfen wurde. Ab Juli 2017 wurde Ott jedenfalls zu Senin aktiv: Er erkundigte sich zu Visa-Ersuchen in der EU, glich Fingerabdrücke und Alias-Identitäten ab und sammelte Infos zu Reisebewegungen in Italien oder einer kroatischen Yacht.

Grundlage dafür sollen Unterlagen gewesen sein, die Ott laut Staatsanwaltschaft nur von Russlands Behörden bekommen hätte können, etwa Fingerabdrücke oder Flugregistrierungen. Als Detail wird sogar ein Familienfoto vom Schulstart Senins Tochter angeführt, das sich Ott auf seine private Mailadresse geschickt haben soll: “Das von einem professionellen Fotografen geschossene Foto der Einschulungszeremonie bewahrte Dmitry Senin in seiner Moskauer Wohnung auf, bis es bei der Durchsuchung seiner Wohnung durch den russischen Bundessicherheitsdienst zwischen 25.2. und 28.2.2017 sichergestellt wurde.”

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Der Fall Senin: Ott sammelte Informationen zum Ex-FSB-Mann. Später wurde ein Peilsender an dessen Auto gefunden.

Senins weiterer Verbleib in Europa gestaltete sich bedenklich: Anfang 2024 meldete sich der Ex-FSB-Mann aus Montenegro bei österreichischen Ermittlern der Causa Ott, nachdem in einer KFZ-Werkstatt in Budva ein Peilsender an seinem Auto gefunden worden war. Auch geisterten Berichte durch russische Medien, wonach der Ex-FSB-Mann am Balkan getötet worden wäre (ZackZack berichtete). Mittlerweile soll der Russe Montenegro verlassen haben, belastet Ott jedenfalls in Einvernahmen.

Unter den von Ott abgefragten Personen ist außerdem German Gorbuntsov, ein in England lebender russischer Banker. Der wegen Geldwäschevorwürfen Gesuchte überlebte 2012 knapp ein Schussattentat in London, das organisierter Kriminalität zugeschrieben wurde. Zu zwei Geschäftspartnern Gorbuntsovs, die sich im Sommer 2017 in Zypern aufhielten, soll Ott Kennzeichen-Datenbanken abgefragt haben. Brisant: Auch unter ihren Autos seien damals GPS-Tracker gefunden worden.

Bereits bekannt ist der Fall des Investigativjournalisten Christo Grozev, zu dem Ott im März 2021 eine Meldeabfrage in Spittal an der Drau tätigte. Ein Jahr später brachen bulgarische Handlanger Jan Marsaleks in Grozevs Wohnung ein; der von Putin zum Feind erklärte Aufdecker musste Wien aus Sicherheitsgründen verlassen und lebt nun in New York. Ähnlich wie bei Grozev soll Ott im Fall eines Russen vorgegangen sein, zu dem er im April 2018 eine Meldeabfrage in Kärnten tätigte – der Mann wird von den russischen Behörden gesucht und gelte als “nationaler Verräter”, eine Auslieferung nach Russland wurde verweigert.

Das Marsalek-Netzwerk

Ott soll aber nicht nur mutmaßlich Dissidenten ausgespäht- sondern auch Personen abgeklärt haben, die dem Putin-Regime nahestehen. Hier könnte es darum gegangen sein, deren Bewegungsfreiheit in Europa zu prüfen.

Genannt wird dazu Stanislav Petlinsky, ein früherer russischer Elitesoldat mit guten Verbindungen zum Kreml und Geheimdiensten. Eine besondere Freundschaft verbindet “Stas” mit dem flüchtigen Wirecard-Manager Marsalek, beide reisten im Mai 2017 ins syrische Palmyra, um dort mit Wagner-Soldaten Krieg zu spielen.

Zu Petlinsky bat Ott im August 2020 einen italienischen Kollegen um Abklärung, ob zum Russen Eintragungen im Schengener Informationssystem (SIS) bestanden hätten. Im September 2019 war Ähnliches mit Pass-Screenshots zweier russischer Schwestern passiert. Auch diese waren wohl ursprünglich von “Stas” übermittelt worden, der wissen wollte, warum die zwei Russinnen bei Grenzübertritten “immer wieder Probleme hätten.” Eine der Damen hätte einen “really rich boyfriend“. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass damit Putins Oligarchen-Freund Arkady Rotenberg gemeint war.

Der italienische Polizist meldete zurück, dass die Schwestern tatsächlich in der EU-Datenbank “SIS II” zur verdeckten Kontrolle ausgeschrieben wären. Zu Petlinsky erhielt Ott 2020 dann keine Antwort mehr, “weil der neue Chef die Zugriffe auf die Datenbanken kontrolliere”, heißt es in der Anklage.

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Jan Marsalek und Stanislav Petlinsky. Egisto Ott soll im Sinne der beiden Männer mit russischer Geheimdienst-Connection spioniert haben.

Ein nachweislich direkter Draht zwischen Petlinsky und Marsalek mit Egisto Ott findet sich in der umfangreichen Anklage nicht. Vielmehr dürften die Anfragen über den flüchtigen, ehemaligen BVT-Abteilungsleiter Martin Weiss an Ott gelangt sein. “May be Martin can help”, hieß es in den bei Ott gefundenen Screenshots von Petlinsky.

Weiss, der seinem Bekannten Marsalek im Juni 2020 zur Flucht über Österreich verholfen haben soll, war wiederum einst Otts Vorgesetzter, ging 2016 in Krankenstand, später in Karenz. 2021 kam Weiss kurzzeitig in U-Haft, gestand dort auch ein, Abfragen im Sinne von Marsalek bei Ott in Auftrag gegeben zu haben, belastete diesen somit auch. Im Gegensatz dazu hält Ott seinem früheren Chef bis heute die Stange. Während Weiss nach Dubai türmte und bis heute flüchtig ist, stellt sich Ott zumindest bislang seinem Verfahren.

Die Staatsanwaltschaft hält die Rolle der Ex-BVT-Beamten in dem Netzwerk jedenfalls so fest: “Neben Personen wie Alexander Wassiljewitsch BORTNIKOV, der als Direktor des FSB die Behörde nach außen vertritt, oder Stanislav PETLINSKY, der zwar mittlerweile öffentlich bekannt, aber ebenso für die Durchsetzung von operativen Interessen des russischen Nachrichtendienstes tätig ist, bedient sich der FSB im Geheimen auch „freier Mitarbeiter“ wie ChefInsp Egisto OTT, Jan MARSALEK oder Mag. Martin WEISS.”

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Martin Weiss (rechts) war mächtiger BVT-Abteilungsleiter. Heute wird er wegen Russland-Spionage gesucht, soll sich in Dubai aufhalten. Foto: Alexander Tuma, https://fm4v3.orf.at/stories/1741343/index.html

“Empfehlungen” nach Geheimdienst-Mord

Besonders verstörend erscheint ein Schriftstück, das Ott am 4. September 2019 unter „20190903-Mord in Berlin-Info.pdf“ auf seinem Handy speicherte. Das Dokument wird als “Fehleranalyse” des sogenannten Tiergarten-Mordes beschrieben. Der russische FSB-Agent Vadim Sokolov hatte am 23. August 2019 bei einer Berliner Parkanlage den Tschetschenen Zelimkhan Khangoshvili erschossen, der Täter wurde in der Nähe des Tatortes festgenommen.

In dem Schreiben, das die Anklage wörtlich und vollständig ausführt, ging Ott von einem “Verrat” der russischen Mord-Operation aus, westliche Geheimdienste seien involviert gewesen. Der Ex-BVT-Mann soll in seiner Analyse dann auch explizit “Empfehlungen” abgegeben haben: “Sofortige Einstellung aller geplanten Operationen, bis Maulwurf oder Überläufer nicht unschädlich gemacht worden sind” lautet eine davon. “Weiterreise mit Fernbus (FLIXBUS oder EUROBUS) zum Zielort besser als mit Zug, Flugzeug überhaupt vermeiden (zu viele Kontrollen und Registrierungen)“, eine weitere.

Dazu auch eine politische “Einordnung”: “Ziel ist die Desavouierung von Präsident Vladimir PUTIN, man will PUTIN und Russland weiterhin schwächen und mit Sanktionen belegen, die USA wollen den europäischen Markt für seine Wirtschaft und insbesondere auch das eigene Flüssiggas“, soll Ott geschrieben haben. Das Schreiben könnte als bislang stärkstes Indiz für eine weltanschauliche Komponente in Otts Tätigkeiten gesehen werden. In erster Linie geht die Staatsanwaltschaft Wien als Motiv jedoch von “finanziellen Gründen und einer Frustration gegenüber der Führungsebene des BVT”.

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Vadim Sokolov und Zelimkhan Khangoshvili. Täter und Opfer des sogenannten Tiergarten-Mordes.

Fünf Spionage-Verurteilungen in letzten zehn Jahren

Ob die bedrohlich klingenden, umfangreichen Ausführungen der Wiener Staatsanwaltschaft in einer Spionage-Verurteilung münden werden, wird sich zeigen. Österreich haftet historisch das Image eines Tummelplatzes verschiedenster Geheimdienst-Tätigkeiten und Interessen an, inklusive derer Russlands; die Strafjustiz bot lange Freizügigkeiten, die es anderswo nicht gibt.

Auf Nachfrage im Justizministerium heißt es, dass es nach §256 “Geheimer Nachrichtendienst zum Nachteil Österreichs” seit 2015 zu zwölf Anklagen kam, die Ott-Anklage ist demnach die dreizehnte. Zu Verurteilungen kam es in dieser Zeit hingegen nur fünfmal. Als juristisch haarig gilt etwa der zu erbringende Nachweis, dass explizit zum “Nachteil” Österreichs spioniert wurde. Im Fall Ott argumentiert die Staatsanwaltschaft deshalb beispielsweise damit, dass mit der “Fehleranalyse” zum Tiergartenmord (von der nicht bekannt ist, dass sie je einen Empfänger erreichte) das Ansehen Österreichs gegenüber Deutschland geschädigt worden sei.

Einen gewissen Rückenwind bekam Ott letztes Jahr zudem mit einer Entscheidung des OLG Wien, welche zu seiner Enthaftung führte. Hier meinte das Gericht, dass bei zwei der Spionage-Vorwürfen der dringende Tatverdacht fehlte. Gemeint waren die Weitergabe von BMI-Diensthandies, die 2016 bei einem Kanu-Ausflug in der Donau versenkt worden waren und später mutmaßlich in Moskau landeten. Auch den Verkauf sogenannter SINA-Laptops klassifizierte das OLG damals nicht als “dringend tatverdächtige” Spionage-Handlung. Erinnert sei aber, dass Ott abseits des Spionage-Deliktes auch Amtsmissbrauch vorgeworfen wird, ebenfalls mit Strafrahmen bis fünf Jahren.

Ott selbst wollte auf ZackZack-Anfrage nicht zu den Vorwürfen sagen. Seine Verteidiger Joseph Philipp Bischof und Jürgen Stephan Mertens äußerten sich gegenüber der APA zuletzt so: „Als unbequemer Akteur, unbeugsamer Aufklärer von Missständen ist er ins Fadenkreuz politischer Polizeikreise geraten, die ihn seit Jahren ins schiefe Licht rücken.” Sie seien zuversichtlich, dass ein Prozess “gut ausgehen” werde. Und während Ott für die Staatsanwaltschaft Wien ein freier Mitarbeiter des FSB ist, sieht sich dieser nach wie vor als “verdienstvoller Verfassungsschützer.”


Titelbild: APA / EVA MANHART / picturedesk.com

Update 17.9.: Beim erwähnten Berliner Tiergarten handelt es sich selbstverständlich um eine Parkanlage; Ergänzung im Fall Senin; Ergänzung zur Meldeabfrage eines Russen 2018;

Autor

  • Thomas Hoisl

    Ist seit April 2024 bei ZackZack. Arbeitete zuvor u.a. für "profil". Widmet sich oft Sicherheitsthemen oder Korruptionsfällen.

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