Vor zehn Jahren erfuhren österreichische Behörden von Folter-Vorwürfen gegen einen Assad-General – jetzt gibt es Anklagen. BMI-Beamte verschafften dem Syrer einst aktiv Asyl. Auch Christian Pilnacek war früh in den fragwürdigen Fall involviert. In U-Haft ist indessen nur einer von zwei angeklagten Syrern.
Unter den vielen bizarren Geheimdienstcausen der letzten Jahre ist der Fall “White Milk” eine Nummer für sich: Im Jahr 2015 holten hochrangige Beamte des BVT (Anm.: das mittlerweile aufgelöste Bundesamt für Verfassungsschutz im Innenministerium) auf Wunsch des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad einen syrischen Assad-General aus Frankreich nach Österreich.
In Österreich erhielt General Al-H. im Herbst 2015 unter Einflussnahme der BVT-Beamten Asyl und eine Unterkunft. Kurz darauf klopfte eine auf Kriegsverbrechen spezialisierte NGO bei der österreichischen Justiz an und machte auf mutmaßliche Verbrechen des Mannes aufmerksam. Der Geheimplan des BVT drohte aufzufliegen, ab 2018 ermittelte schließlich die WKStA gegen die Verfassungsschützer – ein Prozess endete mit Freisprüchen. Was aus dem syrischen General selbst wurde blieb seit Jahren unbeleuchtet.
Am Donnerstag gab die Staatsanwaltschaft Wien nun bekannt, dass gegen zwei frühere “Amtsträger des syrischen Regimes” Anklage erhoben wird, einer davon ist Al-H. Die Vorwürfe betreffen “Vergehen der schweren Körperverletzung, der Verbrechen der schweren Nötigung, des Verbrechens der geschlechtlichen Nötigung sowie hinsichtlich eines Angeklagten auch wegen des Verbrechens der Folter” aus den Jahren 2011 bis 2013. Es gebe laut Anklage bislang 21 Opfer.
Schwere Anschuldigungen und ein international bedeutsamer Fall, der in Wien bald vor Gericht landen soll – brisant sind allerdings auch die Vorkommnisse, die das Verfahren seit rund zehn Jahren begleiteten.
Besprechung mit Pilnacek
Wie ein ZackZack vorliegendes Sitzungsprotokoll vom 29. Jänner 2016 zeigt, trat in der Causa sehr früh auch Christian Pilnacek auf den Plan. Als mächtiger Sektionschef unter Justizminister Wolfgang Brandstetter empfing Pilnacek zwei Vertreter der NGO
“Commission for International Justice and Accountability” (CIJA), die den General in Österreich lokalisiert hatte. Anwesend waren bei der Besprechung neben einem Oberstaatsanwalt und einer Richterin auch zwei BVT-Beamte – ausgerechnet konkret jene Männer, die den Aufenthalt des Generals in Wien kurz zuvor organisiert hatten.
Während die Runde den Vorwürfen der CIJA-Vertreter lauschte – die Rede war damals schon von “Folter und sexuelle Gewalt an Gefangenen” – hüllten sich die Beamten vor Ort über ihre Rolle in Schweigen. Man einigte sich darauf, dass das BMI die Identität und den Aufenthalt des Mannes klären- und das BMJ in der Folge wieder an das CIJA herantreten würde.
Ein Austausch fand in den darauffolgenden Wochen auch statt. Ein involvierter BVT-Mann wandte sich per Mail etwa an die Justiz, mit der Bitte um “einen möglichen Besprechungstermin”, an der explizit auch wieder Pilnacek teilnehmen sollte. Dieser winkte allerdings ab und brachte zunächst die “Einleitung eines Ermittlungsverfahrens” ins Spiel.

Ob der Sektionschef und die Justiz zu diesem Zeitpunkt im Bilde waren, dass im BVT die fragwürdige Geheimdienstoperation lief, ist offen – auch, wann genau dies sonst passiert ist und wie.
Kritik am Verfahren
Kritik am anfänglichen Verlauf des Verfahren findet sich jedenfalls in einem umfangreich recherchierten Beitrag des renommierten US-Journalisten Ben Taub im Magazin New Yorker, der im September 2021 erschien.
Darin kritisierte das CIJA, dass für den fallführenden Wiener Staatsanwalt “die Beweise zunächst als unzureichend” zurückgewiesen worden seien. “Später stellte er klar, dass die Qualität der Beweise für Kriegsverbrechen unerheblich sei; er könne schlichtweg nicht weiter vorgehen“, schrieb Taub. Zudem zitierte er eine Nachricht des Staatsanwaltes von Ende 2016 an einen involvierten BVT-Mann: „In Österreich sind keine Ermittlungsschritte erforderlich, und es wird kein konkreter Ermittlungsbefehl an das BVT erlassen.“
Erst im Frühjahr 2018 nahm der Fall des Generals in Österreich laut New Yorker Fahrt auf. Nun hatten nämlich auch die französischen Behörden Unterlagen zum Mann an das BVT übermittelt, wiederholten die Vorwürfe des CIJA und brachten den Verfassungsschutz damit in Zugzwang – aber auch die Justiz. Wie der Kurier damals berichtete, wurde im Sommer 2018 die Aktenzahl des Falls, der ja schon 2016 seitens der Staatsanwaltschaft Wien eröffnet wurde, “auf das Jahr 2018 abgeändert.”
All das wirft Fragen rund um die frühe Phase des Verfahren und mögliche Verzögerungen auf. Gleichzeitig startete die WKStA 2018 Ermittlungen wegen Amtsmissbrauch gegen die involvierten Verfassungsschützer.

WKStA zog Anklage gegen Martin Weiss zurück
Eingefädelt hat die Aktion “White Milk” mit den Israelis ursprünglich Martin Weiss – jener einst mächtige BVT-Abteilungsleiter, der sich 2021 nach Dubai absetzte und gegen den wegen Russland-Spionage, spät aber doch, mittlerweile international gefahndet wird. Weiss war es auch, der seinen untergeordneten BVT-Beamten im Februar 2016 beauftragte, um ein weiteres Treffen mit Pilnacek und Justizvertretern zu ersuchen.
Als die WKStA wiederum ihr Amtsmissbrauch-Verfahren gegen die BVT-Beamten 2023 zur Anklage brachte, tauchte Weiss als Einziger der fünf Beschuldigten nicht vor Gericht auf, entzog sich dem Verfahren. Für die restlichen Beschuldigten setzte es Freisprüche. Es habe “keinen Beweis für einen Tatplan, keinen Schädigungsvorsatz und kein erkennbares Motiv” in der Causa “White Milk” gegeben, schrieben Medien zum Urteil.
Wie ZackZack-Recherchen zeigen, bleibt dem weiterhin flüchtigen Weiss ein Prozess in der Sache auch erspart – die WKStA zog ihre Anklage im November 2024 zurück. “Angesichts der Freisprüche wurde die Verurteilungswahrscheinlichkeit hinsichtlich des flüchtigen Angeklagten neu bewertet, und zwar mit dem Ergebnis, dass keine hinreichende (die Wahrscheinlichkeit eines Freispruchs überwiegende) Verurteilungswahrscheinlichkeit mehr bestand“, schreibt eine Sprecherin der WKStA auf Anfrage.
Das Zurückziehen sei “auf Basis eines Vorhabensberichts nach Genehmigung durch die Oberstaatsanwaltschaft Wien und das Bundesministerium für Justiz” erfolgt.

Ein Angeklagter in U-Haft
Zurück zur Staatsanwaltschaft Wien und der nun erhobenen Anklage gegen den früheren syrischen Geheimdienst-General sowie einen ehemaligen Oberstleutnant des Assad-Regimes.
Dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Wien über neun Jahre lang dauerten, begründet man seitens der Behörde mit der Komplexität des Falles. Eine Sprecherin führt den Auslandsbezug, Rechtshilfeersuchen, Zeugenbefragungen in verschiedenen Ländern und letztlich auch die Covid-Pandemie als Verzögerungseffekte an. Einwänden dazu, dass in den ersten beiden Jahren ab 2016 zu langsam ermittelt worden sei und sich dazu laut New Yorker auch fragwürdige Zitate von Beteiligten finden, widerspricht die Staatsanwaltschaft am Freitag. Man habe von Beginn an auch zum Vorwurf der Folter ermittelt worden, das Aktenzeichen habe sich beim Erstangeklagten nie geändert.
Zur Frage des Verbleibs der beiden angeklagten Syrer bestätigt die Staatsanwaltschaft Wien, dass sich einer der beiden seit Dezember 2024 in Untersuchungshaft befindet. Als Haftgrund wird “Fluchtgefahr” angeführt. Nach ZackZack-Informationen dürfte die Haft den General Al-H., den Betroffenen aus der Operation White Milk, betreffen. Er hat die Vorwürfe stets vehement bestritten, seine Anklage ist nicht rechtskräftig, es gilt vollumfänglich die Unschuldsvermutung.
Begrüßt wird die nunmehrige Anklageerhebung von der NGO CEHRI (Centre for the Enforcement of Human Rights International), die neben CIJA über die Jahre aufseiten von Opfern am Verfahren beteiligt gewesen ist. Einer der Angeklagten sei „der bislang ranghöchste ehemalige syrische Geheimdienstoffizier, der in Europa festgenommen wurde“, heißt es in einer Aussendung. „Die Anklagen sind das Ergebnis einer neunjährigen intensiven Arbeit syrischer und internationaler Gruppen.”
Bleibt noch eine Nachfrage im BMI: Beamte des Innenministeriums haben den nun angeklagten General ja einst selbstständig ins Land geholt und ihm Asyl verschafft. Wie es um den Asylstatus des Mannes mittlerweile steht, will man jedenfalls nicht verraten. Man versichere, dass jeder “Einzelfall einer sehr genauen und objektiven Prüfung des relevanten Sachverhaltes” unterzogen werde.
Update 17:45: Ergänzung Statement CEHRI
14.11.: Ergänzung StA Wien
