Mittwoch, Dezember 31, 2025

Pilnacek-Zensur: in guter Gesellschaft

Florian Scheuba, Die Tagespresse – ich bin in guter Gesellschaft. Karikaturisten und Journalisten verlieren immer öfter vor Gericht, weil sich die Strafjustiz geändert hat. Wie vor 40 Jahren gefährdet sie wieder Meinungsfreiheit und Pressefreiheit.

Im Fall „Pilnacek“ gibt es zwei neue Urteile. Eines stammt von einem Richter, das zweite von Tausenden Leserinnen und Lesern. Sie sehen alles wie Bryan Adams: Bücher soll man nicht verbieten – man soll sie lesen.

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Bundespolizeidirektor Takacs vertritt die andere Ansicht: Bücher wie das über Pilnacek liest man nicht, man lässt sie verbieten. Seit Donnerstag wissen wir, dass der Polizeichef dafür einen Richter gefunden hat.

Richter im Trend

Hätte Richter Potmesil anders entscheiden können? Die Antwort auf diese Frage ist ganz einfach: Ja. Aber Potmesil liegt im Trend. Und der ist gefährlich, weil er eine unserer wichtigsten Freiheiten bedroht: die Pressefreiheit.

Vor rund vierzig Jahren war es so wie letzten Donnerstag im Wiener Landesgericht. Dem Richter reichte kein gut begründeter Verdacht. Man musste beweisen können, dass der, über den man recherchiert hatte und jetzt schrieb, eine Straftat begangen hatte. Man musste also zur Arbeit des Journalisten noch die Arbeit von Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft machen.

Vier Schritte

Ich beschreibe in vier Schritten, wie das ablief, was man vor Gericht „freibeweisen“ nennt:

Schritt 1: Der Richter erklärt sich zum „durchschnittlichen Leser“ und stellt fest, wie das, was man geschrieben hat, verstanden wird. Das klingt dann so: “Der durchschnittliche Leser versteht das so, dass Takacs und die anderen ihr Amt missbraucht hätten, um den Mordfall ´Pilnacek´ im Interesse der ÖVP zu vertuschen.“

Schritt 2: Der Richter fordert mich auf, das zu beweisen. Das geht nicht, auch, weil ich das nie behauptet habe.  Ich habe Mord im Fall „Pilnacek“ immer für unwahrscheinlich gehalten.  Mein Originalsatz auf Seite 207 des Buches lautet: Es „kann nicht ausgeschlossen werden, dass Christian Pilnacek in den frühen Stunden des 20. Oktober 2023 ermordet worden ist“. Aber für den Richter geht es nicht um Tatsachen, sondern um seinen „Eindruck“.  Er ist ja der durchschnittliche Leser.

Schritt 3: Nun stellt der Richter fest, dass ich das, was ich nie gesagt habe, nicht beweisen konnte. Damit ist er gleich bei

Schritt 4: dem Schuldspruch.

So einfach geht das und so einfach ist das bis letzten Donnerstag gegangen.

Für mich ist das nichts Neues. Als junger Abgeordneter habe ich erlebt, wie Kritik genau auf diese Art kriminalisiert wurde. Wir waren viele, als wir uns dagegen gewehrt haben, weil wir wussten, dass in Europa längst ganz andere Regeln galten. Dort hatten Richter entschieden, dass die Pressefreiheit wichtiger war als das österreichische Richter sahen.

Stück für Stück setzten wir uns mit Hilfe des Verfassungsgerichtshof auch in Österreich durch – und gewannen plötzlich Prozesse, die wir früher sicher verloren hätte.

Jetzt genügte ein ausreichendes „Tatsachensubstrat“, also der Beweis, dass das, was wir sagten oder schrieben, gut begründet war. So konnten wir Affären wie „Eurofighter“, „BUWOG“, „Baukartell“ und „Noricum“ aufklären.

Das scheint mit dem Pilnacek-Urteil vorbei. Die Uhr der Strafjustiz ist in einigen Verfahren um vierzig Jahre zurückgestellt worden.

Zuerst Kabarettisten, dann wir

Als Ersten traf es Florian Scheuba. Der Kabarettist erlebte, was passiert, wenn man der Spitze der ÖVP-Kriminalpolizei den Vorwurf der „Untätigkeit“ macht. Heuer im August hat das Oberlandesgericht Wien das Urteil gegen Scheuba bestätigt. Jetzt muss er wie damals vor vierzig Jahren den weiten Weg zum Obersten Gerichtshof und von dort vielleicht weiter nach Straßburg gehen.

Die Tagespresse war schon beim Obersten Gerichtshof. Sie hat auch dort verloren.

Mit unserem Buch geht die Strafjustiz einen entscheidenden Schritt weiter. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, wissen in Zukunft alle, dass sie vor Gericht denjenigen, über den sie kritisch berichtet haben, einer Straftat überführen müssen. Wir müssen also zur Arbeit der Journalisten auch die Arbeit der Ermittler in Staatsanwaltschaft und Polizei miterledigen.

WKStA und Amtsmissbrauch

Ich erkläre das an unserem Beispiel: Als ich das Pilnacek-Buch schrieb, ermittelte die WKStA gegen den Chefinspektor, der die Ermittlungen leitete, wegen Amtsmissbrauchs. Ich ging im Buch nicht so weit und schrieb nicht, dass er sein Amt missbraucht hätte. Aber ich stellte ihn als Teil einer „türkisen Polizeikette“, die nach Datenträgern statt nach Todesursachen gesucht hätte, vor.

Dafür präsentierte ich zahlreiche Beweise. Aber der Richter verlangte einen Beweis, der niemals erbracht werden kann: dass im Auftrag der ÖVP ein Mord vertuscht worden sei. Dass ich das nie behauptet hatte, störte ihn nicht.

Menschenrechte

Alles geht jetzt von vorne los: unser Kampf gegen Zensur und Rückfall in Polizeijustiz; unser Versuch, den Artikel 10 der Menschenrechtskonvention gegen ÖVP und ihre Richter zu verteidigen; und das alles im Bewusstsein, dass wir nicht viel Zeit haben.

Die aktuelle Regierung hat nicht vor, den Rechtsstaat anzugreifen und entscheidend zu schwächen. Das erledigen schon Kräfte in Polizei und Justiz, die man gewähren lässt.

Dahinter steht mit dem Rechtsblock von ÖVP und FPÖ etwas anderes vor der Tür. Deren Vorbilder Orbán und Trump zeigen, wie man es macht, wenn man die Macht hat. Darauf müssen wir uns gefasst machen.

Bis dahin geht es um unser Recht, beschreiben, was passiert ist, am Altarm und in der ÖVP-Polizei. Daher geht es weiter, in der nächsten Instanz, dem Oberlandesgericht, das entscheidet, ob die Beschlagnahme meines Buchs rechtskräftig wird; im Untersuchungsausschuss, dem ich als Auskunftsperson mit allen meinen Informationen zur Verfügung stehe; und mit meinem neuen Buch „Pilnacek – Spuren im Schlamm“.

Wenn ich damit wieder vor einem Richter stehe, werde ich noch einmal versuchen, ein einfaches Recht zu verteidigen: dass die Wahrheit nicht verboten werden darf. Denn genau das ist das Wesen der Zensur.

p.s.: Am Ende hat Richter Potmesil ein Fehlurteil gefällt. Das Verfahren davor hat er beeindruckend offen und fair geführt. Dadurch ist vieles ans Tageslicht gekommen, was uns bei der Berufung gegen sein Urteil hilft. Auch das ist ein Grund für Zuversicht.

Kommentar ergänzt um 10.20 Uhr.

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