Die Washington Post deckt massenhafte, militärrelevante Glasfaser-Lieferungen von China nach Russland auf. Der Exportboom begann kurz nachdem die von der Knill-Gruppe errichtete Glasfaserfabrik von der Ukraine zerstört worden war.
In den frühen Morgenstunden des 5. April gelang der Ukraine eine spektakuläre Militäraktion mitten in Russland: Mehrere Drohnen attackierten eine Industrieanlage rund 900 Kilometer hinter der russisch-ukrainischen Grenze. Das konkrete Ziel: Russlands einzige staatliche Glasfaserfabrik, betrieben von der Firma Optic Fiber Systems.
Keine fünf Wochen später griffen ukrainische Drohnen dasselbe Werk in Saransk erneut an. Ukrainische Militärvertreter sprachen von Angriffen auf „Schlüsselelemente der russischen Rüstungsindustrie“. Glasfaser-gesteuerte Drohnen spielen im Krieg gegen die Ukraine eine essenzielle Rolle – ganze Landstriche sind mittlerweile von den verbrauchten Glasfasern übersät.
Errichtet wurde die zweifach attackierte Fabrik von der steirischen Knill-Gruppe, die die Anlage 2015 als „schlüsselfertiges Werk“ fertigstellte, 2018 weiter belieferte und noch Ende 2021 ausbauen wollte. Vielbeachtete ZackZack-Recherchen zeigten bereits Wochen und Monate vor den Angriffen, dass das belieferte Werk über Jahre hinweg durch Verbindungen zum russischen Militärapparat auffiel. Georg Knill, Firmenvorstand und gleichzeitig Präsident der österreichischen Industriellenvereinigung, wies einen militärischen Nutzen des Werks stets pauschal zurück.
Glasfaser-Importboom seit Sommer
Am Montag veröffentlichte die Washington Post einen Bericht, der neue Informationen zur russischen Glasfaser-Strategie offenbart – und damit indirekt auch die Fabrik in Saransk ins Spiel bringt. So konnte das Medium chinesische Zolldaten auswerten und eine Verzehnfachung (!) der Glasfaserexporte nach Russland seit dem Sommer feststellen.
Auffällig: Dieser Export-Boom begann just in den Wochen und Monaten, nachdem das Werk in Saransk durch die Ukraine zerstört worden war – und damit die einzige in Russland befindliche Produktionsstätte zum Erliegen kam. „Die chinesischen Lieferungen von Glasfaserkabeln nach Russland haben sich zwischen Juli und August fast verzehnfacht, nachdem sie laut Angaben der chinesischen Zollbehörde bereits im Mai und Juni Rekordhöhen erreicht hatten“, schreibt das renommierte US-Medium.

Die Washington Post kommt außerdem zu dem Schluss, dass der jüngste Export von insgesamt 500.000 Kilometern Glasfasern allen voran der russischen Drohnenproduktion dient. „Diese Drohnen werden von Moskau zunehmend eingesetzt, da sie weniger anfällig für Abfangmaßnahmen sind“, schreibt das Medium. Gleichzeitig exportiert China Glasfasern in nur viel geringerem Ausmaß an die Ukraine.
Experte Karner: “Potenziell Kapazitäten kompensiert”
Militärexperten wie der in Oslo forschende Fabian Hoffmann oder der ehemalige österreichische Generalstabsoffizier Gerald Karner hatten das jahrelange Engagement der Knill-Gruppe in Russland gegenüber ZackZack kritisch bewertet.
Angesichts der neuen Recherchen der Washington Post kommentiert Karner:
„Wenn die Enthüllungen bedeuten, dass die sprunghafte Steigerung der Belieferung Russlands mit chinesischer Glasfasertechnologie mit der Zerstörung entsprechender Produktionskapazitäten von Unternehmen der Knill-Gruppe in Russland zusammenhängt, deutet das darauf hin, dass damit potenziell der Ausfall dieser Kapazitäten kompensiert werden sollte.“
Damit würde erneut feststehen, „wie wichtig die Produktion dieses Unternehmens für die russische Kriegsführung gegen die Ukraine zuvor war“.
Knill-Gruppe: “Halten uns an geltendes Recht”
Klar: Glasfaser-gesteuerte Drohen sind ein neues Phänomen, das erst im vergangenen Jahr am Schlachtfeld auftauchte. Mit Beginn der Ukraine-Invasion 2022 hatte sich die Knill-Gruppe aus Russland zurückgezogen.
Doch schon in den Jahren davor sei die Relevanz der Glasfaser-Technologie für militärische Zwecke auf der Hand gelegen, wie Experten betonen; etwa in der Vernetzung von Kommandostrukturen. Die gelieferten Produkte fielen zudem auch unter regulierte Güter mit “doppeltem Verwendungszweck” für die man nach Russland ab 2014 Ausfuhrgenehmigungen benötigte, welche die Knill-Gruppe für Exporte im Jahr 2018 auch erhielt. Bei Hinweisen auf mögliche, militärische Endverwendung waren die Lieferungen jedoch streng verboten.
ZackZack fand in bisherigen Recherchen eine ganze Reihe öffentlicher, russischer Quellen, in denen Firmenvertreter von Optic Fiber System aus dem militärischen Nutzen ihrer Güter keinen Hehl machten. 2019 ging das Unternehmen mit dem russischen Verteidigungsministerium auf einer Armee-Messe sogar eine schriftliche Vereinbarung ein. Das warf drängende Fragen auf, wie der in Russland tätigen Knill-Gruppe diese Vorgänge entgangen sein sollen.
“Wie bereits mehrfach geantwortet, haben und halten wir uns bei all unseren Exporten an geltendes Recht und sind in enger Abstimmung mit den Behörden“, teilt ein Sprecher der Knill-Gruppe auf eine neuerliche ZackZack Anfrage mit. Auf die Attacken ukrainischer Drohnen im Frühjahr geht man nicht ein. Das für Exportkontrolle zuständige, österreichische Wirtschaftsministerium hat ZackZack bislang keinerlei Auskünfte erteilt. Gegenüber dem STANDARD sprach man im März von einer “laufenden Sachverhaltsklärung” mit dem Unternehmen. Was daraus wurde, ist unklar.
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