Bis kurz vor Schluss war die WKStA gegen jede Diversion für Wöginger. In der Mittagspause des Prozesses kippte alles.
ZackZack liegen Ermittlungsakt und Strafantrag der WKStA gegen August Wöginger vor. Die Anklageschrift beweist, dass auch am Dienstag, den 7. Oktober 2025, für die WKStA eine Diversion im Fall „Wöginger“ völlig ausgeschlossen war. Der Strafantrag wurde von zwei erfahrenen Oberstaatsanwälten verfasst und trägt die Unterschrift von Ilse Maria Vrabl-Sanda, der Leiterin der WKStA.
Ab Seite 133 erklärt Vrabl-Sanda, dass „eine allfällige diversionelle Erledigung“ für die WKStA aus drei Gründen noch am Tag der Hauptverhandlung in Linz undenkbar war.
Grund 1: grundsätzlich
Vrabl-Sanda stellt klar: „Gemäß § 198 Abs 3 Strafprozessordnung darf im Fall des Missbrauchs der Amtsgewalt nur dann mit Diversion vorgegangen werden, wenn der Beschuldigte durch die Tat keine oder eine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung an Rechten herbeigeführt hat.“
Aber genau das ist laut WKStA nicht der Fall: „Im vorliegenden Fall wurden durch die Tathandlungen nicht nur mehrere Mitbewerber:innen von Mag. L., sondern auch der Bund an konkreten Rechten geschädigt.“
Damit kommt Diversion nicht in Frage: „Angesichts dieser mehrfachen Rechtsschädigungen durch das Handeln der Angeklagten, die dem Postulat einer „sauberen Verwaltung“, bei der es auf die Eignung eines/r Bewerber:in ankommen soll, also was ein:eine Kandidat:in für eine leitende Position kann, und nicht, „wen er oder sie kennt“ oder welche Weltanschauung er hat, widersprechen, liegt keine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung von
Rechten vor. Schon die Voraussetzungen einer diversionellen Erledigung nach § 198 Abs 3 StPO liegen daher nicht vor.“
Grund 2: Spezialprävention
Für Vrabl-Sanda ist auch klar, „dass für ein diversionelles Vorgehen eine gewisse Unrechtseinsicht oder eine partielle Übernahme der Verantwortung für das Bewirken der eine strafrechtliche Haftung begründenden Tatsachen erforderlich ist. Fehlt eine solche Bereitschaft, Verantwortung für das zur Last gelegte Tatgeschehen zu übernehmen, so scheidet eine Diversion aus spezialpräventiven Gründen aus.“
Hier hat sich am Tag der Hauptverhandlung scheinbar etwas geändert. August Wöginger hat plötzlich behauptet, er wolle „Verantwortung übernehmen“. Aber sein Verhalten direkt nach der Diversion hat genauso wie die Erklärungen seiner Parteifreunde Stocker und Fasslabend gezeigt, dass davon keine Rede sein kann. Wöginger bleibt im Amt und macht weiter. Seine kurze Einsicht fällt unter untätige Reue.
Grund 3: Generalprävention
Gerade in prominenten Fällen geht es auch um „Generalprävention“, also die abschreckende Wirkung für andere.
Hier wird Vrabl-Sanda besonders deutlich: „Angesichts der allgemeinen Wahrnehmung in der Bevölkerung und der Erfahrung mit Postenbesetzungen im öffentlichen Bereich, wonach parteipolitische Erwägungen und Motive dabei eine sehr große Rolle spielen (zahlreiche Entscheidungen der Bundes-Gleichbehandlungskommission und des BVwG haben Diskriminierungen von Bewerber:innen festgestellt), sprechen auch generalpräventive Gründe gegen ein diversionelles Vorgehen.“
Für die WKStA war damit auch zu Beginn der Hauptverhandlung in Linz klar: Diversion ist ausgeschlossen.
Mittagspause
Damit bleibt die Frage: Was ist in Linz passiert? Warum hat die WKStA jahrelang in akribischer Arbeit schwerwiegendes Belastungsmaterial gegen Wöginger gesammelt und dann, im letzten Moment, zurückgezogen.
Am Beginn der Ermittlungen fiel eine Entscheidung: Man wollte erstmals zeigen, dass der ÖVP-Postenschacher kein Kavaliersdelikt, sondern ein schweres Verbrechen ist.

Durch Tausende Seiten kann man verfolgen, wie genau und konsequent alle Spuren verfolgt wurden. In der WKStA wusste man, dass die ÖVP mit allen Mitteln zurückschlagen würde. Das ist auch der Grund, warum mit 135 Seiten eine ungewöhnlich umfangreiche Anklageschrift am Prozessbeginn in Linz am Tisch lag.
Wöginger dealt
Zu Mittag wurde der Prozess für eine Stunde unterbrochen. Als das Gericht wieder zusammentrat, hatte die WKStA ihre Haltung auf den Kopf gestellt. Plötzlich war Wöginger im Geschäft und eine Diversion zum Schnäppchenpreis auch für ihn im Angebot. Was war passiert?
ZackZack fragte nach:
- Die WKStA begründete in ihrem Strafantrag mehrfach, wieso keine Diversion in Frage kam. In der HV am Dienstag wurde diese Meinung nach einer einstündigen Bedenkzeit geändert. Gab es in dieser Stunde eine Kontaktaufnahme der WKStA-Vertreter mit der OStA?
- Gab es in diesem Zusammenhang eine Weisung der OStA?
Von der WKStA kam eine Nicht-Antwort: „Ich verweise diesbezüglich auf die Stellungnahme der WKStA in der öffentlichen Hauptverhandlung.“ Mehr war offiziell nicht zu erfahren.
Inoffiziell erfährt man in Justizministerium, Oberstaatsanwaltschaft Wien und WKStA mehr. Die Oberstaatsanwaltschaft Wien als übliche Verdächtige bei politischen Interventionen zugunsten der ÖVP soll diesmal keine Rolle gespielt haben. Das Angebot von Wöginger in den ersten Stunden des Linzer Prozesses stellte die WKStA vor eine Entscheidung: Sollte sie sich diesmal für den Spatz in der Hand oder den Wöginger auf dem Dach entscheiden?
Entmutigt
Jahrelang ist die WKStA von korrupten Politikern und Parteien öffentlich geprügelt worden. Nicht einmal die Justizministerin der Grünen hatte ihr den Rücken gegen die Attacken durch der Kanzlerpartei ÖVP gestärkt.
Auf den Wöginger-Prozess war die WKStA mit einer 135-seitigen Anklageschrift perfekt vorbereitet. Am Ende war es trotzdem nur noch eine Entscheidung zwischen Wöginger und Spatz. Die WKStA hat sich für den Spatz entschieden. Wögingers sicheres Schuldeingeständnis war ihr im Zweifel mehr wert als ein Verfahren, in dem es immer Reste an Unsicherheit gibt.
Eine WKStA, der Oberstaatsanwaltschaft und Ministerin den Rücken gestärkt hätten, wäre wahrscheinlich zu einer mutigeren Entscheidung gekommen. Aber wenn man von oben jahrelang entmutigt wird, ist es schwer, allein gegen alle den Mut zu behalten.
Typen wie dich!
Im Burgenland wandte sich der neugewählte ÖVP-Landeschef Christoph Zarits inzwischen direkt an seinen Nationalratskollegen Wöginger: „Wir brauchen Typen wie dich!“ Der Zarits-Wunsch ist bereits erfüllt, weil die ÖVP längst aus Typen wie ihm besteht. Das ist das Problem – und nicht die WKStA.
Titelbild: GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com / Christopher Glanzl
