Samstag, Dezember 6, 2025

Wöginger-Kniefall: Nachruf auf den Rechtsstaat

Gestern, am schwarzen Dienstag von Linz, habe ich viel von meinem letzten Glauben an den österreichischen Rechtsstaat verloren. Es wird Zeit für einen ersten Nachruf auf eine Justiz, der wir vertrauen konnten.

Die talentierte Jungrichterin, die dem Wöginger-Gericht vorsaß, dürfte das Gesetz nicht sehr wörtlich genommen haben. Dort im § 198 der Strafprozessordnung steht, wem Diversion gewährt werden darf: soweit der Beschuldigte durch die Tat keine oder eine bloß geringfügige oder sonst unbedeutende Schädigung an Rechten herbeigeführt hat“. „Geringfügig und unbedeutend“ war wohl bestenfalls die kleine Schiebung, mit der Richterin und WKStA den ÖVP-Klubobmann in die Diversion beförderten.

Die Wöginger-Diversion, so behaupten jetzt beide, diene der Generalprävention. Aber wen schreckt Wögingers Ablass-Schnäppchen ab? Nach den Freisprüchen für Brandstetter und Kurz und dem Deal mit Wöginger hat „Generalprävention“ einen neuen Klang: Wer nicht unter dem Schutz der ÖVP steht, hat mit der vollen Härte des Gesetzes zu rechnen.

Grasser und Benko

Karl Heinz Grasser hat es schon zu spüren bekommen. René Benko ist wohl der Nächste. Beide sind von der ÖVP fallen gelassen worden und auf der Schattenseite der Strafjustiz gelandet. Sie sind vor dem Gesetz gleich und erleben, was es heißt, wenn die schützende Hand fehlt.

Gefallene wie sie können nicht wie Wolfgang Brandstetter mit einem Richter, der aus einem Krankenstand einen Freispruch macht, rechnen. Sie sitzen – wenn es doch in der ersten Instanz schiefgegangen ist – bei der Berufung nicht vor einem Richter, der wie bei Kurz so lange an den Beweisen herumschnipselt, bis sie nicht mehr reichen.

Im Gegensatz zu ihnen ist Wöginger seit gestern einer der Unberührbaren der österreichischen Justiz. Sein Parteichef hat den Schlussstrich gezogen und dabei mit dem Stinkefinger nach Linz gezeigt: „Für die ÖVP ist der Fall erledigt“. Als erfahrener Rechtsanwalt weiß Christian Stocker, dass nicht nur der Fall, sondern auch der Rechtsstaat erledigt sein dürfte.

Diversion

Mit Wöginger hat auch „Diversion“ eine neue Bedeutung bekommen. Sie ist der neue Ablasshandel. Man sündigt, bereut, zahlt und die Sache ist erledigt. Mit dem Ablasshandel werden Sünde und Verbrechen zum gut kalkulierbaren Geschäft.

Den künftigen Amtsmissbraucher interessiert dabei vor allem, was das Verbrechen kostet. Seit gestern ist klar, dass es um Schnäppchen geht. Ein 44.000 Euro-Ablass entspricht knapp 0,05 Prozent der jährlichen Parteienförderung der ÖVP. Mit einem Prozent der Gelder, die der Staat der ÖVP schenkt, könnte sie jedes Jahr zwanzig Wöginger freikaufen. Das dürfte sich bei dem, wie die ÖVP nimmt, gibt und regiert, übers Jahr gerade ausgehen.

WKStA

Niemand kann mir erzählen, dass das alles nicht allen in der WKStA bekannt war. Natürlich ist die Lage der Korruptionsstaatsanwaltschaft nicht einfach. Von Justizministerinnen und der eigenen Führung im Stich gelassen, haben die besten Oberstaatsanwältinnen und Staatsanwälte dort längst ihre Hüte genommen.

Vielleicht war die Angst vor der nächsten Niederlage in Linz erstmals größer als das Vertrauen in die eigene Arbeit. Vielleicht hat man sich die Diversion zum Erfolg schöngeredet. Und vielleicht hat man schon gewusst, dass man auch diesmal von den Spitzen von Oberstaatsanwaltschaft bis Justizministerium im Regen stehen gelassen wird.

Nach Linz ist die WKStA erstmals am Boden. Sie hat nach einigen Verfahren jetzt auch ihren guten Ruf verloren. Dazu kommt der Pilnacek-Untersuchungsausschuss, der für die WKStA Schlimmes befürchten lässt.

Nach dem gestrigen Tag habe ich noch weniger Hoffnung, dass die WKStA wieder auf die Füße kommt.

Verantwortung

August Wöginger legt jetzt 44.000 Euro hin und „übernimmt“ Verantwortung. Für einen Normalbürger würde das wohl heißen, dass er nach dem Eingeständnis einer Straftat als Klubobmann und Abgeordneter zurücktritt. Aber Wöginger übernimmt nicht irgendeine Verantwortung, sondern die des Klubobmanns. Er bleibt und macht weiter.

In einem der Chats, die ihn belasten, schreibt er: „Echt super! Bin total happy. Dankeschön.“ Das könnte auch sein Linzer Schlusswort sein.

Nachsatz

Die Unabhängigkeit der österreichischen Medien steht schon längere Zeit nur noch auf dem Zeitungspapier. Jetzt ist es beim Rechtsstaat so weit, aus einem einfachen Grund: Eine Unabhängigkeit ist nur so stark wie das Vertrauen in sie. Das ist seit gestern für viele zerbrochen.

Rechtsstaat und Pressefreiheit sind die beiden Haupthindernisse am Weg zum autoritären Österreich. Die knieweichen Kommentare zum Linzer Ablass in fast allen Tageszeitungen zeigen, dass beide gemeinsam zerbröseln.

Ich stelle mich darauf ein, dass das, was ich in den letzten Jahren für einen Ausnahmezustand gehalten habe, normal wird: dass man statt der Täter die Aufdecker verfolgt. Ich finde das nicht super und bin ziemlich unhappy. Dankeschön.

Posting

Zum Schluss noch ein Standard-Posting als Beleg, wie verlogen die Rechtfertigung mit „Generalprävention“ ist:

Vor ein paar Wochen: Junger Student hat als Zeuge bei der Polizei falsch ausgesagt, weil er glaubte, es wäre etwas strafbar, was nicht strafbar ist.

Im Gerichtssaal – der Beschuldigte, der Staatsanwalt und ich als Verteidiger anwesend – erklärt die Richterin ausführlich, dass bei solchen Delikten, auch wenn kein Schaden entstanden sei, generalpräventive Gründe gegen die Diversion sprechen. Der (nicht anwesenden) Öffentlichkeit müsse vor Augen geführt werden, dass unrichtige Angaben nicht folgenlos sind.

Heute: Ein Parlamentsabgeordneter und Fraktionsobmann verschafft einem Parteifreund einen Posten. Halb Österreich schaut zu, wie eine Richterin Korruptionstatbestände bagatellisiert.

Dem ist nichts hinzuzufügen.

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