Über Zwischenhändler in Kasachstan und Kirgisistan gingen bis mindestens Ende 2022 Gewehr-Zielfernrohre von Swarovski-Firmen nach Russland. Der Tiroler Konzern verrät nicht, wann die Waffenteile Österreich verließen. Die Grünen fordern Aufklärung im Nationalen Sicherheitsrat.
Ein umfangreiches Leak russischer Zolldaten liefert brisante Einblicke in Zielfernrohr-Lieferungen europäischer Hersteller rund um die Ukraine-Invasion 2022. Die Daten zeigen, wie die bei Spezialeinheiten begehrten Waffenteile noch etliche Monate nach dem Überfall Russland erreichten.
Über das Datenleak hatte als erstes die russische Investigativplattform iStories berichtet; hierzulande konnte ZackZack die Daten exklusiv im Detail auswerten – immerhin sind zentral zwei heimische Unternehmen betroffen: Swarovski Optik und Kahles.
Schon die bisherigen Enthüllungen zwangen das für Exporte zuständige Wirtschaftsministerium Stellung zu nehmen. In einer parlamentarischen Anfragebeantwortung erklärte das Ressort kürzlich, dass man bereits 2021 eine erhöhte Nachfrage österreichischer Zielfernrohre in Russland bemerkt hätte und feststellte, dass Modelle von Kahles bei Putins Militär landeten. Kahles wurde daraufhin aber bloß angewiesen, “leistungsschwächere” Modelle zu liefern. Passiert ist das noch bis zwei Tage vor der Invasion.
Erst mit 8. April 2022 sei ein generelles Verbot von Zielfernrohr-Exporten in Kraft getreten, danach seien dem Ministerium – auch über Drittstaaten – keine Exporte nach Russland mehr bekannt. Wie ZackZack-Recherchen nun zeigen, wurde Russland aber weiterhin mit den österreichischen Produkten beliefert.
Umgehungsgeschäfte? Lieferungen über Kasachstan bis mindestens Ende 2022
So listet der geleakte Datensatz nicht nur Direktexporte aus Europa, sondern zeigt auch Lieferungen aus den sogenannten GUS-Staaten, die mit Russland einen gemeinsamen Wirtschaftsraum bilden. Der heimischen Wirtschaftskammer ist das Risiko von Geschäften mit diesen Ländern bekannt – sie warnt ausdrücklich vor Umgehungskonstruktionen:
“Bestehen Verdachtsmomente, dass die gelieferten Güter/Leistungen im Endeffekt an sanktionierte Personen/Unternehmen geliefert/geleistet werden oder einem militärischen Verwendungszweck zugeführt werden sollen, so unterliegen die Lieferungen und Leistungen mit sehr großer Sicherheit dem Sanktionsregime und sind gesetzlich untersagt“, heißt es auf der Website.
Wie die Analyse der Zolldaten zeigt, erreichten 2022 via Kasachstan und Kirgisistan nach dem Exportverbot noch acht, teils umfangreiche Lieferungen der Swarovski-Produkte die russischen Einfuhrbehörden. Der damals berechnete statistische Gesamtwert betrug insgesamt 610.329,23 Dollar. Konkret wurden Swarovski- und Kahles-Zielfernrohre am 1. Juni, 1. Juli, 6. Juli, 3. August, 2. November und 8. November 2022 vom russischen Zoll via Kasachstan erfasst. Über Kirgisistan kamen die österreichischen Produkte am 16. Juni und 3. September 2022 ins Land.

In Kasachstan wickelten die Lieferungen die Firmen “PRO HUNT” und “TOO INTERNET SALES SOLUTIONS” ab, sie landeten in Russland bei der “Levsha-Group” und dem Händler “Navigator.” Hier fällt auf, dass die “Levsha-Group” bis vor der Invasion noch direkt von Swarovski aus Österreich beliefert wurde (ZackZack berichtete), was ein Indiz für Umgehungsgeschäfte sein kann. Zum russischen Empfänger “Navigator” recherchierte iStories wiederum, dass dieser Händler mit der Söldnertruppe Wagner in Geschäftsbeziehungen stehen soll.
Auch zu den beiden kirgisischen Unternehmen, die die Swarovski-Produkte an die russischen Händler “Arsenal” und “Kolchuga” lieferten, gibt es Auffälligkeiten: Die Firmen “Vintr” und “Alpha” konnten im Kriegsjahr 2022 einen regelrechten Boom in ihren Einnahmen verbuchen, wie Unternehmensdatenbanken zeigen. Auch das könnte auf eine damals entstandene Umgehungskonstruktion hinweisen.
Konfrontiert mit den vorliegenden Daten weist man seitens Swarovski Optik und Kahles eine bewusste Umgehung von sich: “Allfällig stattfindende Umgehungsgeschäfte werden mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln verhindert. Bislang sind uns keine derartigen Abläufe unserer Geschäftspartner bekannt, andernfalls würden wir jedenfalls alles daransetzen, diese zu unterbinden. Wir beobachten sämtliche Märkte diesbezüglich“, heißt es in einem Statement an ZackZack. Die beiden Hersteller weigern sich jedoch zu sagen, wann genau die Produkte damals Österreich verließen und die zentralasiatischen Zwischenhändler beliefert wurden.
Kahles-Zielfernrohre bei russischen Spezialeinheiten
Wie begehrt Kahles-Zielfernrohre bei russischen Streitkräften sind, zeigen Fotos aus sozialen Medien. Analysten entdeckten bereits im Februar 2021, dass Spezialeinheiten (“Spetsnaz”) der 41. Gardearmee mit den Geräten aus Guntramsdorf bei Novosibirsk trainierten.

Ziemlich genau ein Jahr später startete Russland schließlich seinen Großangriff auf die Ukraine. Beim Einfall in Hostomel nahe Kiew hantierten die “Spetsnaz” der 45. Garde-Spezialaufklärungsbrigade ebenfalls mit den Kahles-Zielfernrohren.

Wie berichtet hat das Wirtschaftsministerium bereits eingestanden, dass man schon im Jahr 2021 bemerkt hatte, dass Kahles-Zielfernrohre mitunter beim Militär landeten. Danach sei ein Export-Verbot bestimmter Typen vereinbart worden. Um welche Modelle es sich handelte, wollte Kahles auf Nachfrage nicht beantworten.
Doch auch hier gibt es Hinweise von Experten im Netz: Schon 2019 wurden etwa Zielfernrohre der “K-Series” bei russischen Snipern entdeckt, etwa konkret die Typen K525i oder K624i. Von einem anderen Typ dieser Serie – dem K312i – heißt es auf Händlerseiten in Russland: “Es ist kein Geheimnis, dass die Kahles K312i-Visiere unter anderem bei den russischen Streitkräften im Einsatz sind.”

Ein Blick in die Zolldaten zeigt, dass die oben beschriebenen Lieferungen via Kasachstan und Kirgisistan eben diese Modelle enthielten: Kahles-Zielfernrohre vom Typ K525i, die bei russischen Scharfschützen gefragt und nachgewiesen sind, erreichten noch im Juni, Juli und November 2022 Russland. Modelle vom Typ K312 finden sich zumindest bis Februar 2022 in den Lieferungen über Zentralasien.
Die Hersteller bleiben dabei: “Wie bereits mehrfach kommuniziert wurden sämtliche Lieferungen an Russland mit Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 umgehend gestoppt. SWAROVSKI OPTIK und KAHLES halten sich ausnahmslos an alle geltenden nationalen und international geltenden Gesetze und Ausfuhrbestimmungen.”
Grüne wollen Recherchen im Nationalen Sicherheitsrat thematisieren
Die Grünen fordern indessen Aufklärung in der Causa. David Stögmüller, Sprecher für Landesverteidigung, kündigte weitere parlamentarische Anfragen an, um den vermuteten Umgehungsgeschäften und Fehlern im Sanktionsregime auf den Grund zu gehen. Außerdem sollen die ZackZack-Recherchen im Nationalen Sicherheitsrat thematisiert werden, dessen Einberufung die Grünen am Donnerstag nach den jüngsten Drohnenabschüssen in Polen forderten: “Wir werden dazu auch Aufklärung im Nationalen Sicherheitsrat verlangen. Es beschädigt unser internationales Ansehen und gefährdet uns ja auch”, so Stögmüller.
