Im Fall „Pilnacek“ hat die Staatsanwaltschaft Krems alles verschlafen. Jetzt verpfuscht sie gerade die Prüfung der Wiederaufnahme der Ermittlungen. Bisher sieht die Justizministerin tatenlos zu.
In der Josef Wichner-Straße in Krems steht ein Gebäude, das dem Rechtsstaat dient. Die Einheimischen haben sich daran gewöhnt, dass während der Amtsstunden sägende und pfeifende Geräusche aus dem Gebäude dringen. Sie wissen, dass dort eine besondere Behörde zu Hause ist: die Schlafanwaltschaft Krems.
Bald nach dem Auffinden des toten Sektionschefs in einem Altarm der Donau bei Rossatz landete der Fall am 20. Oktober 2023 in Krems. Die Schlafanwaltschaft erfuhr, dass die Notärztin vor Ort eine Obduktion wollte, legte einen Akt an, beauftragte einen Wiener Gerichtsmediziner mit dem Gutachten und legte sich nieder.
Inzwischen hatte längst die Polizei den Fall übernommen. Ein Polizist aus Mautern, der als Feuerwehrmann dabei war, hatte mit zwei anderen die Leiche des Sektionschefs auf einer Bahre durch das seichte Wasser zum Ufer getragen. Dort schüttete ein Bagger die Böschung auf, damit die Feuerwehrmänner mit Bahre und Pilnacek gut hinaufkamen. So begann die Tatortarbeit.
Schachteln und Stummeln
Kurz darauf übernahm die Postenkommandantin aus Mautern. Später gab sie unter Wahrheitspflicht an, dass sie nicht zwischen Zigarettenstummeln im Wasser und einer Zigarettenschachtel am Ufer unterscheiden konnte. Pilnaceks Spuren, beteuerte sie, habe sie nur von oben am Treppelweg aus der Distanz gesehen. Aus ihrer Höhe erkannte sie sofort, dass es Selbstmord gewesen sein musste.
In ihrem Anfallsbericht, den sie gemeinsam mit einem gewichtigen Ermittler aus St. Pölten der Schlafanwaltschaft schickte, kam das Wort „Selbstmord“ nicht vor. Vielleicht wollte man einfach nicht stören.
Der gewichtige Ermittler war der Chef der Mordkommission. Er fuhr direkt nach Mautern. Den Tatort sah er sich nicht an. Auch für ihn war der Selbstmord sonnenklar. Dafür vererbte er wenige Stunden später Pilnaceks Handy. Warum an die Witwe, die Grazer Gerichtspräsidentin, wo sich doch Pilnaceks Bruder aus dem weit näheren Wien gemeldet hatten, fragten sich viele. Vielleicht war es nur, weil das Handy in Graz weiter weg war und weniger störte.
Die Schlafanwaltschaft erfuhr nichts vom Handy und lange auch nichts vom Laptop, den die Polizisten für die Witwe suchten.
Drei Datenträger
Am 21. November 2023 lag das Gutachten des Gerichtsmediziners endlich in Krems. Auch hier stand das Wort „Selbstmord“ nicht drin. Aber das machte nichts, weil die Polizisten zwei Wörter des Gutachters weggelassen hatten und damit jedes Fremdverschulden ausschließen konnten.
Neben Handy und Laptop gab es noch einen dritten Datenträger: die Smartwatch, die Pilnacek bei seinem Tod am Handgelenk getragen hatte. Mithilfe des bewährten Bundeskriminalamts suchte der Chefermittler nach Gesundheitsdaten, vergeblich. In seinem „Dienstakt“ in St. Pölten fand die WKStA mehr als 1.200 Seiten der Smartwatch-Auswertung, inklusive „Samsung Health“ und „Health Monitor“.
So wie ein großer Teil der Bilder vom Tatort wurde auch die Smartwatch-Auswertung nicht nach Krems übermittelt. Vielleicht wollte man auch im Jänner 2024 nicht stören.
Christina Pilnacek
Am 1. März 2024 war die Schlafanwaltschaft wach und nützte das, um die Ermittlungen einzustellen. Im Akt hielt sie kurz und präzise fest: „Betrifft Ableben von Mag. Christina Pilnacek. Die Erhebungen ergaben keine Hinweise auf ein Fremdverschulden.“ Am Ende kam es auch auf das Geschlecht nicht mehr an.
Wenn man heute „Selbstmord“ oder „Suizid“ in die Suchfunktion eingibt, erhält man beim Kremser Pilnacek-Akt eine Leermeldung. Nicht einmal die Veraktung der eigenen Selbstmordlegende hat man in der Josef Wichner-Straße geschafft.
Staatsanwaltschaft
Aber, so lautet ein formal berechtigter Einwand, das in Krems ist keine Schlafanwaltschaft, sondern eine Staatsanwaltschaft. Das stimmt, und das macht die Sache so schlimm. Wäre es eine Schlafanwaltschaft, dann wäre der Schlaf der Gerechten wohl ihre Aufgabe gewesen. Aber als Staatsanwaltschaft war es ihre Pflicht, mit allen Mitteln des Rechtsstaats wegen des Tötungsdelikts, das vorne auf ihrem Aktendeckel stand, zu ermitteln.
Das hat sie bekanntlich nicht getan, und dafür wird sich nicht nur ihre Leiterin im kommenden Untersuchungsausschuss verantworten müssen.
Bock und Gärtnerei
Einige der unterlassenen Ermittlungen und Untersuchungen haben inzwischen andere übernommen: die WKStA, zwei Gerichtsmediziner in Innsbruck und Berlin und Medien wie Der Standard, die Dunkelkammer, Kronen Zeitung und wir mit ZackZack. Vieles von dem, was die Staatsanwaltschaft verschlafen und verschlampt hat, haben wir gefunden und gesichert. Einiges scheint verloren, aus Schuld von Staatsanwaltschaft und Landeskriminalamt.
Jetzt haben wir erzwungen, dass vom Amts wegen geprüft wird, ob die Ermittlungen im Tötungsfall „Pilnacek“ wieder aufgenommen werden. Die Oberstaatsanwaltschaft, die von Anfang an die Fachaufsicht innehatte, verlässlich wegsah und Persilscheine ausstellte, hat damit die Schlafanwaltschaft in Krems beauftragt. Sie soll prüfen, ob sie gemeinsam mit ihren Polizisten aus St. Pölten alles verpfuscht hat. Damit wird der Bock nicht nur zum Gärtner, er übernimmt auch gleich die ganze Gärtnerei.
Justizministerin
In diesem Zusammenhang werden wir morgen über einen der größten Kremser Böcke, mit dem sich die Staatsanwaltschaft Krems weit über die Landesgrenzen hinaus zur Lachnummer gemacht hat, berichten. Heute schließe ich mit einer einfachen Frage: Wie lange sieht die Justizministerin noch zu?
Im Gegensatz zu ihrem Regierungskollegen im Innenministerium hat Anna Sporrer hier nichts und niemanden zu decken. Sie hat nur eine Aufgabe: dass die Prüfung der Wiederaufnahme einer ebenso befangenen wie unfähigen Staatsanwaltschaft abgenommen wird.
Es wird Zeit, dass sie sich persönlich um ihren wichtigsten Fall kümmert.
