Die Lebensmittelpreise sind in Österreich konstant hoch. Die Gegenmaßnahmen zweier WIFO-Experten sorgen für Verwunderung. Sie wollen niedrigere Lohnabschlüsse und mehr Lebensmittel für Sozialmärkte. Gemeinsam mit Industriellen-Lobbyisten wie Agenda Austria läuft ein Zangenangriff auf die Hauptopfer der Inflation.
Um rund 23 Prozent kosten Lebensmittel laut Arbeiterkammer in Österreich mehr als in Deutschland. Nicht nur vergleichbare Lebensmittel des alltäglichen Bedarfs, wie etwa Milch und Butter sind hierzulande deutlich teurer als im Nachbarland, sondern insbesondere Drogerieartikel. Für besondere Fassungslosigkeit sorgte ein ZackZack-Artikel über österreichische Produkte, die in Deutschland billiger sind als bei Billa und Co.
Die Äußerungen zweier Experten des wichtigsten österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts WIFO zu Maßnahmen gegen die Inflation ließ andere Ökonomen erstaunen. Auf Anfrage erklärte und bekräftigte das WIFO die Positionen der Ökonomen und stärkt damit traditionell konservative Positionen in der öffentlichen Debatte.
WIFO-Ökonomen einer Meinung mit IV und Agenda Austria
Wie WIFO-Ökonom Josef Baumgartner im Kurier darlegt, könnte die grassierende Teuerung mittels niedrigerer Lohnabschlüsse gesenkt werden. Denn höhere Löhne treiben die Inflation weiter an, so die Rechnung dahinter.
Das WIFO wollte die Aussage Baumgartners nicht als Vorschlag, sondern Erklärung verstanden wissen. Die Löhne im Dienstleistungssektor seien ein problematischer Inflationstreiber und deshalb in Abstimmung mit den Sozialpartnern nur geringfügig zu steigern, so das WIFO auf ZackZack-Anfrage. „Will man für 2026 die Inflation dämpfen, um auf 2% zu kommen, wären dafür unter anderem niedrigere Lohnabschlüsse in den großen Dienstleistungs-Branchen (Handel, Beherbergung, Gastronomie, persönliche Dienstleistungen) notwendig, damit in der Folge auch die Überwälzung auf die Preise schwächer ausfällt“, so Baumgartner.
Der zweite WIFO-Ökonom, Michael Böheim, schlug hingegen vor, die Regierung solle Lebensmittel zum Großhandelspreis an Sozialmärkte verteilen. Das sei die beste Maßnahme im Kampf gegen Armut, so Böheim. Außerdem sollten Konsumenten teurer werdende Produkte nicht kaufen, empfiehlt Böheim und gab damit den Konsumenten selbst die Schuld an den anziehenden Preisen. Angesichts der allgemeinen Teuerung ein rätselhafter Tipp.
Michael Böheim äußerte sich auf Anfrage in einem WIFO-Statement: „Im Gegensatz zu Eingriffen in die marktwirtschaftliche Preisbildung (‚Preisdeckel‘) ist die Zurverfügungstellung von Lebensmittel in Sozialmärkten seitens der öffentlichen Hand eine einfache, zielgerichtete und wirkungsvolle Maßnahme ohne unerwünschte Nebeneffekte.“
Die Teuerung betrifft nicht nur die, die jetzt schon unterhalb der Armutsgrenze leben. Viele Menschen in Österreich können sich immer weniger leisten. Geringere Lohnabschlüsse oder das Ignorieren der Lebensmittelteuerung gepaart mit Almosen an Sozialmärkte wird das Problem nicht lösen, ist sich Barbara Schuster vom Momentum Institut sicher. Sie fordert im Gespräch mit ZackZack: „Wir müssen die Kaufkraft erhalten, weil vor allem einkommensschwache Gruppen ihr Einkommen verkonsumieren. Wir müssen die Wirtschaft wieder ankurbeln und das wird mit niedrigeren Löhnen nicht funktionieren.“ Dem Vorschlag von Baumgartner, der Positionen der Industriellenvereinigung ähnelt, könne sie nichts abgewinnen.
Auch der Chefökonom des Momentum-Instituts, Oliver Picek, findet die Vorschläge der WIFO-Experten „zum Verzweifeln“:

Dass die Löhne die Inflation verursacht haben, stimmt laut der Ökonomin Schuster nicht. Vielmehr sei es umgekehrt gewesen. Aufgrund der allgemeinen Teuerung mussten auch die Löhne erhöht werden.
Trotzdem forderte der industrienahe Think-Tank Agenda Austria in Person von Jan Kluge in der ZIB2 vom Mittwoch erneut Lohnabschlüsse unter der Inflationsrate und damit einen Kaufkraftverlust der breiten Bevölkerung.
Böheim und Baumgartner verstärken damit Positionen der Arbeitgeberseite, wie ein Interview mit dem Chef der Industriellenvereinigung, Georg Knill, vom April 2025 zeigt.
Handel und Produzenten an hohen Preisen schuld
Vergleicht man die Preise in Österreich und Bayern – zwei sehr ähnlich gelagerte Wirtschaftsregionen – fällt eines auf. Hinter der deutschen Grenze sind gleiche oder gleichwertige Produkte deutlich billiger als in Österreich. Die von konservativen Stimmen oft ins Feld geführten Gründe wie höhere Löhne in Österreich, höhere Energie- und Distributionskosten können dieses Phänomen aber nicht ausreichend erklären.
Nationalbankökonom Fabio Rumler war an einer Studie beteiligt, die 2024 erschienen ist. Sie vergleicht die Unterschiede auf beiden Seiten der österreichisch-deutschen Grenze im Raum Tirol-Salzburg-Oberösterreich- Bayern. In der Studie zeigt sich, dass vor allem Produzenten und Handelsketten die Preise auf der österreichischen Seite in die Höhe treiben. „Wir haben die Bodenpreise, die Einkommen, die Wettbewerbssituation, die Präferenzen, die Steuern und die Betriebskosten der Supermärkte zwischen Bayern und Österreich verglichen und haben relativ kleine Unterschiede nur bei der Besteuerung und beim Wettbewerb gefunden, alles andere ist ziemlich gleich. Diese Unterschiede können aber nicht die beobachteten Preisunterschiede in der Größenordnung von 14% erklären“, sagt Rumler auf ZackZack-Anfrage.
Die Preise legt der Handel fest, stellt Rumler klar, weist aber auch den von den Produzenten verlangten Einkaufspreisen eine gewichtige Rolle zu.
Schuster wiederum führt höhere Nettolöhne in Österreich ins Feld. Diese würden aber nicht als Erklärung für die hohen Preisunterschiede ausreichen. Sie fordert ein Maßnahmenpaket, um die Teuerung in den Griff zu bekommen. Dieses sollte eine Senkung der Mehrwertsteuer, Preiseingriffe, Maximalgrenzen auf Gewinnmargen und eine Preistransparenzdatenbank umfassen, so die Ökonomin.
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) lehnte niedrigere Lohnabschlüsse auf ZackZack-Anfrage ebenfalls ab: „Preiserhöhungen der Unternehmen dienen als Basis für die Lohnverhandlungen. Würden die Gewerkschaften jetzt weitaus niedrigere Lohnabschlüsse oder gar eine Nulllohnrunde akzeptieren, gibt es keinerlei Garantien dafür, dass Unternehmen nicht trotzdem weiterhin ihre Preise erhöhen und die profitgetriebene Teuerung ungehindert fortschreitet.“
Der ÖGB warnt vor den Folgen einer einzigen Lohnzurückhaltung für Angestellte im Handel: „Im Beispiel der Angestellten würde sich der Verlust an Lebenseinkommen bis zur Pension bei einer Dauer von 30 Jahren auf rund 33.300 Euro brutto summieren“, rechnet man vor.
Frankreich mit Preistransparenz
Sowohl Barbara Schuster als auch der ÖGB hebt Frankreich lobend hervor. Doch was macht Paris in ihren Augen besser als Österreich? Dort wurde bereits 2010 ein staatlich kontrolliertes “Observatorium für die Entstehung von Preisen und Gewinnmargen” eingerichtet. Im Land des Baguettes ist Transparenz im Supermarkt im Gegensatz zu Österreich kein Fremdwort. Seitdem haben Konsumenten in Frankreich einen besseren Überblick über ungerechtfertigt hohe Preise.
Die Schlacht um das Supermarktregal ist auch hierzulande eröffnet. SPÖ-Finanzminister Markus Marterbauer ist Preiseingriffen nicht abgeneigt, Sozialministerin Korinna Schumann verklagte Handelsketten aufgrund intransparenter Rabatte. Von niedrigeren Lohnabschlüssen spricht man in der Politik – im Gegensatz zum WIFO – jedoch nicht.
ZackZack hat beim WIFO nachgefragt, ob die Positionen Baumgartners und Böheims die offiziellen Standpunkte des Wirtschaftsforschungsinstituts sind. In einem Antwortschreiben heißt es: „Das WIFO zeichnet sich durch eine Vielfalt an unterschiedlichen Meinungen aus und wir ermutigen unsere Mitarbeiter:innen ausdrücklich, ihre Expertise und Evidenz aktiv in den öffentlichen Diskurs einzubringen.“
Titelbild: HANS KLAUS TECHT / APA / picturedesk.com
