Samstag, Dezember 6, 2025

Kaputtsparen, nein danke!

Eine „Regierung der Vernünftigen“ darf nicht nur einseitig die Budgets zusammenstreichen.

Unsere Gegenwart erinnert ein wenig an eines dieser Wimmelbilder von Pieter Bruegel, die wir aus den Kunstmuseen kennen – Bilder, auf denen sich viel zu viel tut. Man weiß ja schon nicht mehr, wo einem der Kopf steht, wenn man die Nachrichten verfolgt: Ein Defizit des Bundesbudgets, das bei weit über fünf Prozent gelandet wäre, wenn der Finanzminister kein Sparpaket geschnürt hätte; dafür laufen Ländern und Gemeinden die Kosten davon, ihnen steht allen das Wasser bis Oberkante Unterlippe, und jetzt streichen sie panisch Ausgaben oder erhöhen Gebühren, um an Geld zu kommen.

In Wien wird der U-Bahn-Ausbau auf die längere Bank geschoben, bei der Mindestsicherung wird weggestrichen, in Salzburg werden Pflegerinnen und Pflegern die Euros weggenommen, selbst die Kinderpflege wird zusammengestrichen; in der Steiermark wollen die Kunasek-Leute Arbeitslose im Extremfall sogar einsperren, wenn sie nicht fleißig genug mit dem AMS kooperieren.

Exporte brechen ein, die Investitionen in der Industrie fallen in den Keller, die Metallergewerkschafter haben eine Kollektivvertragsrunde unter der Inflationsrate akzeptiert, um die Wettbewerbsfähigkeit der Branche irgendwie wiederherzustellen. Hohe Energiepreise und sonstige gestiegene Kosten lasten wie Blei auf der Konjunktur. Die Wirtschaft in der Eurozone wächst um schlappe 1,2 Prozent, so die Prognose. Deutschland kommt aus der Stagnation nicht heraus, Friedrich Merz‘ Regierung wankt, kaum dass sie überhaupt zu regieren begonnen hat; Österreichs Wachstum wird mit 0,9 Prozent veranschlagt. Die chinesische Wirtschaft ist jetzt auch bei den High-End-Produktionen, bei der Autoindustrie etwa, ein mächtiger Wettbewerber. Deswegen werden bei uns Jobs gestrichen. Die europäische Autoindustrie, die zu lange auf den Verbrennermotor gesetzt hat und dachte, sie kann von ihrem Qualitäts-Image ewig leben, hängt in den Seilen.

Diagnose: Ein „perfekter Sturm“

Dazu Handelskriege, Donald Trumps erratische Zollpolitik, die den Welthandel schwer in Mitleidenschaft zieht. Dazu alternde Bevölkerungen, die steigenden Ausgaben für das Rentensystem, für das Gesundheitssystem, das die positive Eigenschaft hat, mit Spitzenmedizin uns ein längeres Leben zu garantieren, aber die damit verbundene unschöne Eigenschaft, einfach teurer zu werden (weil raffinierteste Geräte und Therapien einfach teurer sind als die paar Tabletten, mit denen man unsere Eltern oder Großeltern medikamentierte…). Und die Notstände der Zukunft winken auch schon – die Folgen der Klimakrise, die, neben der Malaise für Leben und Lebenswelt ja einfach auch furchtbar teuer wird. Zur Draufgabe führt der Trottelpopulismus dazu, dass Politik handlungsunfähiger wird, weil die einen mit ihren Parolen herumfuchteln und die anderen nicht wissen, wie sie den Parolendreschern Herr werden sollen.

Manche sagen schon, es ist so etwas wie der „perfekte Sturm“. Alles bricht gleichzeitig aus und wirkt aufeinander ein. An welchem Faden man zieht: Jede Lösung produziert zugleich das nächste Problem.

Europa taumelt

Konsolidiert man die Staatsfinanzen, würgt man die Konjunktur ab. Die ökonomische Stagnation reißt dann gleich noch größere Löcher in die Finanzen. Konsolidiert man die Finanzen nicht, explodieren die Defizite über jedes Maß an Nachhaltigkeit hinaus. Staatsschulden lassen sich nicht ewig finanzieren, und wenn dann auch noch die Zinsen steigen, dann wird es schwierig. Wer glaubt, das ist ein exklusiv österreichisches Problem, eine Folge davon, dass irgendjemand etwas ganz krass falsch gemacht hat (etwa Gernot Blümel oder Magnus Brunner), der schaue sich in Europa um. Überall die gleichen Probleme. In Deutschland haben sie die Schuldenbremse Gott sei Dank aufgeweicht, stellen aber jetzt fest, dass deswegen das Geld dennoch nicht auf den Bäumen wächst. In Frankreich kriegen sie wegen all der Malaise kaum mehr eine Regierung zusammen. „The Coming Debt Emergency“, titelte der „Economist“ im Oktober, „Der kommende Schulden-Notfall“.

Im Grunde wäre die Leitschnur für ein nachhaltiges Wirtschaften in dieser Lage: Die Staaten müssten sich eigentlich in einem solchen Augenblick mehr verschulden, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die grobe Regel müsste lauten: Alles, was nachhaltig in Modernisierung der Wirtschaft gepumpt wird, ist eine Investition, die künftige Erträge bringt: Also die Modernisierung der Industrie, der Umbau des Energiesystems Richtung billigen Strom, die Digitalisierung, Investitionen in das Bildungssystem, in die Integration usw. werden über Kredite finanziert; alles was nur „konsumtiv“, aber absolut notwendig ist für eine gute Gesellschaft (der Sozialstaat, das Rentensystem, das Gesundheitswesen, die Pflege usw.) muss aus den laufenden Steuer- oder Sozialversicherungseinnahmen finanziert werden. Der soziale Wohnungsbau wird angekurbelt (dafür braucht es nicht einmal Kreditaufnahme, sondern nur die zweckmäßige Verwendung der Mittel aus der Wohnbauförderung). Aber für eine kräftige Kreditaufnahme fehlt der Spielraum, weil die Defizite jetzt schon an der Grenze der Nachhaltigkeit sind.

Gefragt sind Pragmatismus und Vernunft

Das ist alles nicht unlösbar, aber es ist eine höchst unbequeme Lage, eben weil – Stichwort: „perfekter Sturm“ – verschiedene Krisen aufeinander einwirken und sich verschärfen. Im Grunde bräuchte es einen realistischen, unideologischen Pragmatismus. Nur ein paar kleine Exempel: Wir bräuchten Erbschafts- und/oder Vermögenssteuern. Dass die Reichen und Superreichen ein Freispiel haben, lässt sich einfach nicht mehr länger finanzieren. Aber damit löst man natürlich nicht alle Probleme, damit nimmt man vielleicht eine Milliarde Euro (bei einer moderaten Erbschaftssteuer) oder zwei oder drei Milliarden Euro ein (bei etwas weniger moderaten Vermögenssteuern). Um die Rentensysteme zu entlasten und Altersarmut zu vermeiden, wäre eine Erhöhung des Pensionsantrittsalters auf 67 Jahre nicht die unsozialste Idee.

Leute wie ich, die meisten Angestellten, die meisten Leute aus der Mittelschicht könnten an sich problemlos länger arbeiten. Um hier keine unschönen sozialen Gemeinheiten herzustellen, müsste man gleichzeitig ein bisschen großzügiger bei der Frühpensionierung jener sein, die einfach nicht mehr können, die schon mit 63 ausgelaugt sind oder sogar früher. Wenn wir die strukturellen, also langfristigen konsumtiven Ausgaben ein wenig reduzieren, können wir auch mehr Kredite für die absolut notwendigen produktiven Investitionen aufnehmen. Es braucht weniger an Regulierungen, die Abläufe erschweren und jahrelange Genehmigungsverfahren nach sich ziehen, und es braucht mehr Regulierungen, die für mehr Gerechtigkeit sorgen – etwa, indem die Bodenspekulation bekämpft und damit die Kosten für den sozialen Wohnungsbau reduziert werden.

Im Grunde kann man nämlich auch Budgetdefizite von fünf Prozent oder mehr einige Jahre hinnehmen. Man kann es nur dann nicht, wenn einem die Kosten auf lange Sicht davonlaufen. Deswegen ist es aber auch kurzsichtig, sich bloß auf die kurzfristige Konsolidierung der Haushalte zu konzentrieren. Wenn wir uns einfach kaputtsparen, ist nichts gelöst.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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