Fast sieben Jahre lang hatte Harald Mahrer die Ämter inne und erhielt die Bezüge, die ihn nun zum Straucheln bringen. Aber warum geschieht das jetzt? Die Anzeichen eines Machtkampfs in der ÖVP sind unübersehbar.
Österreich hat endlich wieder einmal ein Nummer-Eins-Thema gefunden: Harald Mahrer. Ein Nummer-Eins-Thema ist es vor allem deshalb, weil alle Kommentatoren, egal welcher politischen Richtung, sich auf Mahrer eingeschossen haben. Es sieht so aus, als hätte die Partei diesen Mann fallen gelassen. Denn eine Frage bleibt unbeantwortet: Warum passiert das alles jetzt?
Wäre es die Anhäufung von Ämtern, so hätte das alles längst diskutiert werden müssen: Mahrer war seit Dezember 2017 Präsident des Wirtschaftsbundes der ÖVP, seit 2018 Wirtschaftskammerpräsident und seit 1. September 2018 ist er zudem Präsident der Österreichischen Nationalbank. Warum ist in der Zeit der ÖVP-Vorsitzenden Sebastian Kurz und Karl Nehammer ein Aufschrei in heutiger Dimension ausgeblieben?
Den Wirtschaftsbund auf Distanz halten
Es gab in der Vergangenheit genug Berichte über den Ämtersammler Mahrer. Vielleicht geben ja jene Berichte mehr Aufschluss, die aus ÖVP-nahen Medien kamen? Denn es hat den Anschein, dass Harald Mahrer innerhalb der ÖVP benutzt wurde. Zum einen gilt er dort als politisch ungefährlich. Er wird in jeder Position stillhalten und keinen Parteiobmann und keine Regierung gefährden. Und er hatte zumindest für Kurz und Nehammer eine weitere wichtige Funktion: Er hielt ihnen unliebsame innerparteiliche Feinde aus dem Wirtschaftsbund vom Leibe.
Am 23. August 2018 berichtete der KURIER über Mahrers Besetzung in der ÖNB: »Im Gespräch für den Posten war auch Ex-ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner. Nach seinem Ausstieg aus der Politik habe ihm Kurz das Amt zwei Mal angeboten, sagte er der Presse. Er selbst habe nach der Nationalratswahl Interesse bekundet, im Mai von Kurz aber die Information bekommen, dass die Sache „schwierig“ sei, weil die FPÖ auf den Präsidentenposten beharre. Umso erstaunter war Mitterlehner, als er vom Kanzler erfuhr, dass die ÖVP nun doch den Posten bekomme – und Mahrer zum Zug kommt. „Eine eigenartige Entscheidungskultur, aber sie passt stimmig zur Gesamtentwicklung“, so Mitterlehner mit einem Seitenhieb auf Kurz.«
Bezahlte Meinungsmache
Klarer könnte es nicht sein: Mahrer war ein Dummy. Für ÖVP-Chef Stocker scheint er es nun nicht mehr zu sein. Die türkise ÖVP, die vor Stocker das Sagen hatte, ist nervös geworden. Ob das damit zu tun hat, dass man Gerald Fleischmann zwar noch »privatwirtschaftlich« als Kanzlerberater anheuert, ihn aber aus der Kommunikationszentrale der Partei entfernt hat?
Die Unruhe, mit der sich die früheren Türkisen zu Wort melden, ist bemerkenswert. Da ist das vermutlich von irgendeinem Ghostwriter hingefetzte Buch von Karl Nehammer, das zwar kaum jemand gelesen hat, das aber durch alle Medien ging. Da ist die jüngste »Israel-Reise« von Sebastian Kurz, der mit seiner Dream Group die ihn begleitenden Journalisten finanziert hat. Jeder Cent, den sie von Dream angenommen haben, ist Medienkorruption. Gefälligerweise schrieben sie Hymnen auf den Altkanzler, der angeblich ein »Rock Star« in Tel Aviv ist. Die Meldungen der Boulevardpresse sind peinlich wie immer, doch mit Oliver Pinks Artikel in Die Presse macht auch eine Qualitätszeitung bei der bezahlten Lobhudelei mit. Das ist kein Journalismus – kein guter, kein schlechter, sondern gar keiner.
Warum jetzt?
Doch warum passiert es jetzt? Ein Rechtsruck der ÖVP und damit wieder ein Schielen auf eine Koalition mit der FPÖ wird jederzeit erwartet. Freilich ist die Lage wesentlich schwieriger als noch vor acht Jahren, denn bei der heutigen Zusammensetzung des Nationalrats ist die ÖVP in dieser Koalition der Junior-Partner. Und die FPÖ unter Kickl scheint nicht bereit zu sein, einen weiteren Schüssel-Coup mitzumachen; das heißt der ÖVP den Kanzler zu überlassen.
Immerhin bewirkte die Mahrer-Debatte einen weiteren Rechtsruck der Medien. Mit dem bisher nur von der FPÖ verwendeten Begriff der »Zwangsmitgliedschaft« in der Wirtschaftskammer machen nun viele ÖVP-nahe Medien für eine Abschaffung der Kammern mobil. Eine deutliche inhaltliche Annäherung an die FPÖ.
Welche Krise?
Ob Christian Stocker diesen Rechtsruck überleben wird? Immerhin legt Harald Mahrer seine Ämter nun eines nach dem anderen zurück. Warum konnte man August Wöginger nicht zu einem Ausscheiden aus dem Parlament bewegen?
Die Kurz-treuen Journalistinnen und Journalisten machen kein Geheimnis aus ihrer Ablehnung Stockers. Anna Thalhammer schreibt im profil: »In der größten Krise seit dem Rücktritt von Sebastian Kurz scheint die Partei führungslos. Ist sie noch zu retten?«
Unpopuläre Maßnahmen
Tatsächlich ist es umgekehrt: Die größte Krise haben Kurz und Nehammer der Partei beschert. Rock Star oder Wirtschaftskompetenz. Beides geht nicht. Unter der Diktatur des ÖAAB und der Niederösterreichischen Landespartei sollte niemand anderer neben deren Kandidaten groß werden. Man fand in fünfundzwanzig Jahren nicht einen fähigen Finanzminister und hat das Budget des Landes mit einer Rekordinflation nachhaltig und für lange Zeit geschädigt. Stephan Koren muss im Grab rotieren.
Den angerichteten Schaden zu beheben dauert und bedingt unpopuläre Maßnahmen – denn es ist wirkliche Politik. Die Kurz-treuen Ex-Politikerinnen und Ex-Politiker und vor allem die Kurz-treuen Journalistinnen und Journalisten wie Thalhammer kümmern sich um Sachpolitik freilich wenig. Zudem ist die aktuelle Medienpolitik der Regierung und das Sparen bei Regierungsinseraten sehr löblich, aber ein Stachel im Fleisch der Medieninhaber, die nun gegen die SPÖ und die Stocker-ÖVP mobilisieren; und zwar täglich und sehr aggressiv.
Sie sind nervös geworden
Es ist die Bewährungsprobe für eine demokratische Volkspartei, die nach Jahren wieder versuchen könnte, die schwierige Balance zwischen ihren Bünden herzustellen. Dass Harald Mahrer eine Katastrophe für diese Partei ist, weiß jeder. Nur: Es ist schon seit vielen Jahren so. In den Ländern gäbe es bei Ämterkumulation, Machtmissbrauch und Korruption noch weit mehr zu tun. Und wenn man es nicht angeht, dann droht dort das zu passieren, was in der Steiermark und im Bund bereits geschehen ist: die ÖVP wird von der FPÖ überholt.
Die Antwort des rechten Flügels der ÖVP ist einfach: Wir müssen die FPÖ imitieren, sagen sie. So hat Kurz einst seinen Durchmarsch begonnen. Doch heute ist es nicht mehr so einfach wie damals. Die ganze westliche Welt zeigt den neo-konservativen Demokratiefeinden, dass sie die Großstädte nicht erobern werden. Wenn ihre Korruptionsaffären ihnen auch noch empfindlich schaden, werden sie es nicht so leicht haben wie früher. Trump und Orbán sind beide nervös geworden. Sie bringen die Wirtschaften ihrer Ländern immer stärker ins Straucheln und ihr permanentes »Ausländer«-Bashing ist so offensichtlich bigott und so langweilig geworden, ihre diesbezüglich kolportierten falschen Zahlen und Fake-News sind so augenscheinlich, dass sie sich etwas anderes einfallen lassen müssen.
Jahre der Destablisierung
In Österreich hängt die Frage nach dem Erhalt der Demokratie leider an der ÖVP. Fällt sie um, so blühen uns weitere Jahre der Destabilisierung, die Kurz, Schallenberg und Nehammer betrieben haben. Es gibt nur mehr wenige Medien der Mitte und gar keine großen linken Medien, sodass das Land ohnehin keine balancierte vierte Kraft hat.
Christian Stocker sollte sich mehr zutrauen und auch mehr nach innen fordern. Noch ist Zeit für unpopuläre Maßnahmen in der Regierung und unangenehme parteiinterne Aufräumarbeiten. Diese Zeit sollte er nutzen.
Titelbild: Miriam Moné
