Samstag, Dezember 6, 2025

Erbschaftssteuer jetzt!

Die Demokratie leidet, wenn die Leute das Gefühl haben, dass es nicht gerecht zugeht. Es gibt ein Modell, dem auch die ÖVP zustimmen sollte.

Die Zustimmung zur Demokratie sinkt, wenn immer mehr Menschen das Gefühl haben, dass es um ihre Zukunftsaussichten trüb steht. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie auf einer Rolltreppe stehen, die nach unten fährt, und sie sich abstrampeln müssen, um nicht abzusteigen. Die Zustimmung zum demokratischen System sinkt aber vor allem dann signifikant, wenn viele Leute das Empfinden haben, dass es nicht gerecht zugeht. Dass sie die Lasten tragen, andere sich aber um ihren Beitrag herumschummeln.

Österreich ist gerade in keiner einfachen ökonomischen Situation. Ja, man soll auch nicht in allzu großen Alarmismus und Negativismus verfallen. Wir sind und bleiben eines der reichsten Länder der Welt, mit hohem Wohlstand. Wir sind weder „Schlusslicht“ noch ein Failed State, auch wenn das Wachstum seit Jahren um die Null schlingert. Was den erreichten Wohlstand betrifft, sind wir hier immer noch ein Paradies, verglichen mit den meisten Nationen.

Dennoch ist die ökonomische Situation nicht einfach, das wissen alle. Die Regierung konnte gar nicht anders, als das Budget mit einem Sparpaket sanieren. Das kostet allen, zumal es ja nicht nur um das Bundesbudget geht, sondern auch um die Finanzen von Ländern und Gemeinden, um die es teilweise noch viel schlechter steht. Nimmt man alles in allem, dann kosten Sanierung und Konsolidierung die Bürger und Bürgerinnen viel Geld: Kürzungen bei den Staatsausgaben, Pensionserhöhungen nicht über – und für viele: unter  der Inflationsrate. Kürzungen bei Künstlern und Subventionen. Preis- und Gebührenerhöhungen, vom Klimaticket bis zu den kommunalen Gebühren. Das läppert sich.

Ein Gesetz der Ökonomie: Die Reichen werden reicher

Nicht unmittelbar mit der Budget- und Regierungspolitik verbunden, aber für das Empfinden der Menschen doch in einem Gesamtzusammenhang mit der trüben ökonomischen Situation ist die Krise der Industrie, die jetzt dazu geführt hat, dass die Metallergewerkschaft Gehaltserhöhungen unterhalb der Inflationsrate zugestimmt hat. Das ist bitter, aber angesichts der Strukturkrise der Industrie auch richtig so, sonst würden noch mehr Arbeitsplätze verschwinden. Während aber die Gewerkschaften „Lohnzurückhaltung“ üben, um den Kostenauftrieb zu bremsen, ist von „Preiszurückhaltung“, etwa bei den Lebensmittelkonzernen und im Dienstleistungssektor, eher wenig zu merken, um das nobel auszudrücken. Auch die Mieten wären noch einmal deutlich nach oben geschossen, wenn die Regierung hier nicht die Handbremse gezogen hätte. Lohnzurückhaltung, während die Preise weiter nach oben schießen, das kann auf Dauer nicht gut gehen. Dann ächzt nämlich bald auch die Mittelschicht, weil sie die Rechnungen nicht mehr bezahlen kann.

Zugleich aber stehen die Superreichen immer noch unter Welpenschutz, haben ihre Schäfchen im Trockenen. Wir haben ein ökonomisches System, das sowieso nach dem Motto funktioniert: Wer hat, dem wird gegeben. Und: Der Teufel scheißt immer auf den größten Haufen. Während die kargen Ersparnisse der einen schrumpfen, wachsen die Vermögen der anderen weiter. Es ist fast ein Gesetz der Ökonomie, das der Starökonom Thomas Piketty empirisch über Jahrhunderte nachwies: die Rendite großer Vermögen ist stets höher als das Wirtschaftswachstum, oder, in der Eleganz mathematischer Formeln: r > g.

Was banal klingt, hat einen dramatischen Effekt: Wenn das Wachstum der großen Vermögen in privaten Händen stets größer ist als das Wachstum des Wohlstands der ganzen Gesellschaft, dann geht die Schere der Ungleichheit zwangsläufig immer mehr auf und dann gibt es auch immer mehr Vermögenskonzentration an der Spitze, solange man dagegen nichts unternimmt.

Das Gefühl, dass es nicht gerecht zugeht

Deswegen ist es so notwendig, dass Vermögens- oder Erbschaftssteuern eingeführt werden, wobei Erbschaftssteuern praktisch viel einfacher sind: Da muss man nicht jährlich das Vermögen berechnen, das ja auch sehr schwankend sein kann – man denke nur an das Zickzack bei Aktienkursen aber auch bei Immobilienwerten. Erbschaften fallen üblicherweise nur einmal im Leben an und werden dann sowieso bewertet. Sie sind nötig, damit die Tendenz zu immer mehr Ungleichheit ein wenig abgemildert wird, aber sie sind auch notwendig für die Psychohygiene einer Gesellschaft: Wenn die Lasten von Kleinverdienern, Alleinerziehenden, Öffi-Benutzern, Kleinhäuslern und Durchschnittspensionisten alleine getragen werden, die frivolen Champagnisierer aus den Edelrestaurants und Luxusressorts aber ein Freispiel haben, dann zerstört das das Gerechtigkeitsempfinden. Außerdem ist es ökonomisch widersinnig, wenn nur der Massenkonsum beschnitten wird, weil die normalen Leute weniger Geld haben, aber die Leute verschont bleiben, die sowieso nicht wissen, wohin mit ihrem Geld.

Markus Marterbauer, der Finanzminister, weiß das alles natürlich ganz genau, ist aber auch ein Finanzminister einer Koalitionsregierung, der neben der SPÖ auch die ÖVP und die NEOS angehören, und vor allem die ÖVP stemmt sich mit Zähnen und Klauen gegen eine Erbschaftssteuer. Sie hat sich in dieser Position eingemauert, und selbst wenn sie ahnen würde, dass sie aus dieser Sackgasse herausmuss, würde sie nicht wissen, wie. Marterbauer sagt gerne, Erbschaftssteuern wird es in dieser Legislaturperiode nicht geben, da er an den Koalitionsvertrag gebunden ist. Womit er ja auch völlig recht hat.

Wirklichkeitssinn und Sachlichkeit sagen ihm: Erbschaftssteuern wären sinnvoll, aber eine Koalition ist eben ein Kompromiss, und solange man als Sozialdemokratie kaum mehr als 20 Prozent der Wählerstimmen gewinnen kann, wird es sie nicht geben. Die Analyse der politischen Kräfteverhältnisse zeigt: Geschwächte Parteien sind immer weniger in der Lage, etwas durchzusetzen, aber stets in der Lage, alles zu verhindern, was ihnen nicht passt. Auch das untergräbt übrigens die Zufriedenheit mit der Demokratie, weil die Bürger und Bürgerinnen das vielleicht nicht ganz exakt wissen, aber atmosphärisch fühlen, und an der Fähigkeit des real existierenden demokratischen Systems zweifeln, Probleme zu lösen. Man sieht das sogar in großen Studien: die Zustimmung „zur Demokratie“ ist hoch, die Zustimmung zur „Demokratie, wie sie bei uns praktiziert wird“, ist markant niedriger.

Versuchs mal mit Vernünftigkeit!

Man könnte sich freilich auch zusammentun, vernünftig auf die Lage blicken, und einfach anpacken, was richtig ist – statt immer nur auf Parteilogik zu achten und darüber zu grübeln, wie man die Vorschläge der anderen verhindern kann. Ja, eine Erbschaftssteuer steht nicht im Koalitionsvertrag. Aber im Koalitionsvertrag steht auch nicht so explizit, dass nur die normalen Leute brennen sollen, und die anderen ein Freispiel haben. Die Budgetsituation ist schwierig, wir haben viele Probleme, man denke nur an Bildung, Pflege, Integration, Kinder in verwahrlosten Verhältnissen, den Gesundheitssektor. Es sollte doch jedem klar sein, dass wir künftigen Generationen nicht die Zukunft wegsparen dürfen, indem wir sagen: Wir wissen zwar, was notwendig wäre, aber dafür haben wir kein Geld.

Wer sagt denn, dass das die ÖVP nicht auch verstehen könnte? Klar, wir wissen alle wie Politik funktioniert, die übrigens auch nicht so viel anders funktioniert als das normale Individuum. Wir kennen das aus dem privaten Leben: Wenn wir wollen, dass der Peppi-Onkel, der sich leider in einer krassen Haltung einbetoniert hat, von dieser abgeht, dann tun wir auch gut daran, dem Peppi-Onkel Brücken zu bauen, die das für ihn leichter machen. Die ÖVP hat nun seit Jahren getrommelt, dass Erbschaftssteuern und überhaupt jede Beteiligung des Obersten einen Prozent ein böser „Kommunismus“ wäre oder ein fürchterlicher „Bolschewismus“, der darauf abzielt, diejenigen zu „enteignen“, die täglich „Leistung“ bringen. Klar wissen sie selbst, dass das verrückter Blödsinn ist – aber von dem Baum müssen sie erst einmal runter.

Wolfgang Schäuble, der Lenin der CDU

Dabei hilft vielleicht, dass es in anderen Ländern natürlich fast überall Erbschaftssteuern gibt. In Deutschland etwa gibt es eine sehr milde. Eingeführt hat sie der sehr konservative, sehr wirtschaftsliberale CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der damals Finanzminister war. Schäuble ist jetzt nicht unbedingt das gewesen, was man unter einem Kommunisten versteht. Lenin der Unionsparteien hätte ihn sicher keiner genannt. Es geht aber noch weiter: Selbst Jens Spahn, der Anführer des rechtskonservativen Flügels der Union prangert jetzt schon die ungleiche Vermögensverteilung an und will einige Schlupflöcher stopfen, die Schäubles mildes Modell offengelassen hat. Das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer betrug in Deutschland zuletzt 8,5 Milliarden Euro. Würde man einfach das gleiche Modell in Österreich einführen, wäre man Schätzungen zufolge bei einem jährlichen Betrag von knapp unter einer Milliarde Euro. Hätte man die zur Verfügung, würde das unsere Budget-Kalamitäten nicht beenden, aber doch merklich mildern. Rentner mit 2.800 Euro brutto müssten dann etwas weniger bluten, wenn Leute, die Vermögen im Umfang von zwanzig Millionen erben, ein paar zehntausend Euro beitragen, die ihnen in aller Regel nicht wehtun. Es ist doch einfach nur vernünftig. Es hätte nicht nur positive Auswirkungen auf Staatshaushalt und Wirtschaftswachstum, die meisten Bürger würden dann auch das Gefühl haben, dass es bei uns gerecht zugeht: Wenn es Probleme gibt, dann lösen wir sie gemeinsam und teilen uns die Lasten.

Und ja, ich weiß schon, es steht in keinem Koalitionsvertrag, aber es steht auch nicht im Koalitionsvertrag, dass man nicht klüger werden darf, und dass es verboten ist, seine Meinung zu ändern, wenn zwingende Argumente dafürsprechen. Ein kluger Spruch besagt: Wenn sich die Umstände ändern, ändere ich meine Meinung.  


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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