Wie Radikalisierung gelingt, wie das Fehlen freier Medien in den humanistischen Untergang führt, wie Entmenschlichung erneut salonfähig gemacht wird, mit Zuckerbrot – für die Willfährigen – und Peitsche – für die Aufmüpfigen.
Wer der russischen Sprache kundig war, hat schon über eine erschreckend lange Zeit mitverfolgen können, auf welcher Eskalationsstufe sich die Staatsmedien unter Putin befinden. Feixend wurde da von Mord und Totschlag gesprochen, täglich wurden die Grenzen des Sagbaren überschritten, jedes Mal eine weitere kleine Verschiebung zum verhetzten Ganzen, hin zu einem Allgemeinzustand, der Vernichtung und Vertreibung als etwas nicht nur Duldbares, sondern sogar als passable, wenn nicht sogar perfekte Lösung für alle möglichen Ansprüche des Möchtegerngroßreiches betrachtet. Tag für Tag wird so jede menschliche Regung ausgemerzt, die dem großen Schlachten entgegenstehen könnte.
Das Problem ist, dass nicht allzu viele Menschen diese Radikalisierung live mitverfolgt haben. Deswegen dauerte es auch ziemlich lange, bis Europa begriff, mit was für Kräften, Ansichten und Ansprüchen man es in Putins Russland zu tun hatte. Alle, die irgendwie mit Menschen in Russland verbunden waren, die diese Sendungen des Hasses richtig einzuschätzen wussten, die wunderten sich weniger. Man hätte daraus lernen können auf vielerlei Art: Wie Radikalisierung gelingt, wie das Fehlen freier Medien in den humanistischen Untergang führt und wie Entmenschlichung erneut salonfähig gemacht wird. Mit Zuckerbrot (für die Willfährigen) und Peitsche (für die Aufmüpfigen).
Darum ist es ein Rätsel, wieso so viele dieselbe Lektion, diesmal sich in den USA manifestierend, schon wieder nicht ganz verstanden haben.
Wenn ein Medium nach dem anderen aus Angst vor dem orangen Diktator kippt, wenn ihm Zugeständnisse gemacht werden, wird dasselbe sich wiederholen, was man schon aus Russland kennt. Die Grenzverschiebung. Die Legitimierung von Monstrositäten. Die Entmenschlichung.
Die Entmenschlichung auf jeder Ebene- und in Folge auch die Vernichtungsphantasien wider das Entmenschlichte. Wenn also ein Moderator auf Fox News problemlos sagen kann, dass man Obdachlose und psychisch Kranke mittels Giftinjektion ermorden sollte, und der Rest der Talkenden ihm nicht einmal widerspricht, ist es die Rückkehr zu jener Euthanasie, die die Nazis im Dritten Reich so salonfähig gemacht haben- und ein Anschluss an Putins Russland, in dem ebensolche Aussagen beinahe täglich getätigt werden.
In der Zwischenzeit fiebert Elon Musk einem Bürgerkrieg entgegen und heizt seine Meute an, dass es jetzt um Leben und Tod ginge, „ihr“ oder „die“.
Europa steht dazwischen und hat sich – so ist jedenfalls zu befürchten – nicht wirklich als Gegengewicht definiert. Konservative Politiker und Politikerinnen kuscheln flirty mit Rechtsradikalen, statt jenes Bollwerk zu sein, das jede demokratisch gesonnene Partei allerspätestens in diesen Zeiten sein sollte. Und Musks Twitter ist immer noch salonfähig. Aber das sind Rechtsradikale ja auch.
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Titelbild: Miriam Moné
