Razzien im Nazi-Netzwerk: Gewalttäter können sich im verrohten Klima wie der Fisch im Wasser fühlen.
Dienstagmorgen wurden wir mit der Nachricht geweckt: Razzias im Neonazi-Milieu, Hausdurchsuchungen bei Gottfried Küssel, dem Nationalsozialisten, der viele Jahre im Gefängnis gesessen und sich ganz offenbar doch nicht vollends aufs Nazi-Rentnerteil zurückgezogen hat. Ob die Gruppe um Küssel noch eine zentrale Rolle im Neonazi-Untergrund spielt und sogar an Gewaltvorbereitungen beteiligt war, werden die Ermittlungen zeigen. Es gilt, wie man so schön sagt, die Unschuldsvermutung – selbst bei mehrfach vorbestraften Neonazis. Was durchsickerte: 17 verdächtige Personen, Durchsuchungen an 24 Standorten in mehreren Bundesländern. Genaueres ist noch nicht bekannt.
Fakt ist freilich: Der rechtsextreme Terrorismus zieht eine Blutspur durch Europa. Alleine in Deutschland geht man heute von rund 300 Todesopfern rechtsextremer Gewalt in den vergangenen Jahrzehnten aus, aber man muss Dunkelziffer und hunderte Verdachtsfälle noch hinzuzählen, die früher als “normale” Tötungsdelikte aus der Statistik gerutscht sind. Einige spektakuläre Bluttaten haben wir alle noch im Kopf: Die Massenmorde von Hanau, der Anschlag von Halle, die Serienkiller der NSU (“Nationalsozialistischer Untergrund”). Oder in Norwegen die Blutorgie von Anders Behring Breivik, der 77 Menschen an einem Tag zum Opfer fielen.
Eine Blutspur durch die Welt
Was heute aber noch einmal besonders brisant ist, ist das, was man das “Ökosystem” nennen muss, in dem sich die gewalttätigen und auch zu Terror neigenden Rechtsextremisten bewegen. Die legalen, parlamentarischen rechtsextremen Parteien wie die AfD und FPÖ eilen von Erfolg zu Erfolg, sie sitzen in Parlamenten und Regierungen. Trump regiert in den USA und spricht zärtlich über bewaffnete Banden wie die Proud Boys, begnadigte die verurteilten Putschisten vom 6. Jänner 2021. Der politische Erfolg des legalistischen Flügels der neuen Faschisten verdankt sich auch dem Strukturwandel der Öffentlichkeit mit einem Boulevard, der Empörung bewirtschaftet, Irrwitz nährt, mit neuen rechtspopulistischen Hass-Medien von NIUS bis Exxpress. Dazu kommen die Echoräume der Sozialen Medien, mit Hilfe derer immer mehr Menschen in einen Zustand der Bedrohtheit versetzt werden. In dieser Wahnwelt fühlt man sich nicht nur existenziell bedroht, von “Horden” und “Invasoren” und “Messerfachkräften” überrannt, sondern angesichts dieser paranoiden Weltsicht eben auch zu jeder Gegenwehr berechtigt. Zentral ist die Terrorideologie des “Großen Austausches”, die faktisch alle rechten Massenmörder der vergangenen Jahre motivierte, von Breivik bis zum Neuseeländer Christchurch-Attentäter von 2019. Die Botschaft: Wir werden ausgerottet, wenn wir uns nicht wehren.
Paranoia und Größenwahn
Dieses Ökosystem hat zwei Auswirkungen auf den radikalisierten Rand: Einerseits die eingebildete Berechtigung, gegen die empfundene Bedrohung mit allen Mitteln vorzugehen; die Einbildung, wenn man Linke, Einwanderer oder Minderheiten umbringt, wäre das quasi nur Notwehr. Andererseits leben die Radikalen in einer politischen Öffentlichkeit, in der Grausamkeiten zunehmend legitimiert und der Ethnonationalismus verniedlicht werden und sie sich “wie der Fisch im Wasser” fühlen können, also umgeben von vielen Leuten, die zumindest einzelne Aspekte ihrer Wahnideologie teilen. In Österreich empfindet der radikale Nazi heute, dass es für ihn sehr gut läuft und die Leute endlich “erwachen”.
Kurzum: In dieser Phantasiewelt sieht man sich zugleich von Bedrohungen und ruchlosen Feinden in die Ecke gedrängt, und von Gigantomanie beseelt, also schwach und stark zugleich. Das ist die Sozialpsychologie des extremistischen Terrors und seines Umfeldes, der Giftcocktail.
Wenn Herbert Kickl vom bedrohten “Volkskörper” spricht und mit täglich unsäglicheren Provokationen agiert (unlängst forderte er “ausländerfreie Schwimmbäder”), dann ist all das der tägliche Tropfen, das tägliche Gift. Einzeltäter kommen nicht aus dem Nichts. Zahlreich sind die geistigen Ziehväter und Ackermänner, die den Boden bestellen, auf dem der Terror gedeiht. Dass das ORF-Sommergespräch mit Kickl gerade zu Ende ging, als sich die Polizei für ihre Razzia gegen das Neonazi-Milieu bereit machte, ist eine sprechende Pointe der Geschichte.
Die Razzien bei Nazi-Veteran Küssel sind nur ein Symptom, ein Element dieses Gesamtbildes. Vor einigen Monaten flog in Sachsen ein terroristisch-kriminelles Netzwerk auf, die Sächsischen Separatisten. Hauptprotagonisten dieser mutmaßlichen terroristischen Vereinigung sind die Söhne von Leuten, mit denen schon Küssel in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Wien seine “VAPO”-Gruppe aufzog und bei denen bereits der junge Strache mittrabte. Auch AfD-Leute von der früheren “Jungen Alternative” zählten zu den Sächsischen Separatisten, die sich praktischerweise als SS abkürzen. Aber Fäden verbanden die Gruppe auch mit Familienmitgliedern in Österreich. Spektakulär: Sogar der Bürochef des FPÖ-Nationalratspräsidenten musste im Zuge des Skandals zurücktreten.
Nährboden des Terrors
Die FPÖ und der gewalttätige Rand, dazwischen gibt es keine scharfe Grenze, sondern eher ein durchlässiges Verhältnis von Osmose. Man spielt mit verteilten Rollen, wechselt bisweilen auch die Seiten. Man eskaliert und wird von einer erregten Anhängerschaft dann auch noch weiter radikalisiert.
Wer der FPÖ Raum und eine Bühne für ihre paranoide Propaganda bietet, braucht sich über gestärkten Rechtsterrorismus nicht wundern. Sie sorgt für die Verbreitung der Stichworte und des ideologischen Wahnsystems, die jene motivieren, die dann den Abzug ziehen.
Titelbild: Miriam Moné
