Arbeitsleid wird beklagt, Stress und Druck, Kommando und Bullshit-Jobs. Aber die „innere Kündigung“ ist eine Anleitung zum Unglücklichsein.
Gestern war ich in Salzburg, um eine kontroverse, provokante Rede zum Thema „Arbeit“ zu halten. Thema und Ort erinnerten mich an eine Ehrung für das Museum Arbeitswelt in Steyr ein paar Jahre zuvor. Ein paar Bröckerln von der Ehre fiel auch auf mich, weil ich als Kurator – gemeinsam mit Harald Welzer – für das Museum die damalige Dauerausstellung mitentworfen habe.
Sie hieß: Arbeit ist unsichtbar.
Jetzt mögen Sie sich fragen, wie kommen die auf so einen absurden Titel? Und das ist eine einfache, lustige Geschichte. Den Titel hat sich kein PR-Profi ausgedacht, keine Marketing-Firma. Wir saßen vielmehr im wissenschaftlichen Team stundenlang zusammen, haben uns die verschiedensten Gedanken gemacht über die Arbeit: Die handwerkliche Seite, das Können das gefragt ist, die Hierarchisierungen in Firmen, über internationale Wertschöpfungsketten, Rohstoffe, Überausbeutung im Kongo, über die psychosoziale Seite der Arbeit: fühlt man sich wohl, wenn man morgens hingeht? Ist man im Kommando nur ein Befehlsempfänger? Kann man sich verwirklichen? Oder ist man dauerfrustriert?
Irgendwann rief einer in die Runde: Das Wesentliche an der Arbeit ist doch unsichtbar!
Das beginnt damit, dass bei sehr vielen Firmen die Fabrikhallen von einem Zaun umgeben sind oder die Konzernzentralen diese undurchsichtigen Glas-Spiegel-Stahl-Architekturen sind. Es geht weiter bei den Produkten: Wir haben unsere Handys, da ist viel Zeug drinnen, aber wir haben selten ein genaues Wissen, welche realen Dramen hinter Microchips und Halbleitern stecken.
Und selbst wenn wir einen kleinen Rundgang durch die Arbeitsstätten machen könnten, das Wesentliche wäre unsichtbar: Geht’s den Leuten gut? Identifizieren sie sich mit ihrer Arbeit oder hassen sie ihren Job? Werden sie gemobbt? Gibt’s Kollegialität oder vergiftetes Betriebsklima? Kurzum: Das Eigentliche an der Arbeit ist unsichtbar.
Industrielle Arbeit, beispielsweise, ist von Beginn an davon geprägt, dass in der Fabrik Arbeiter an Maschinen ihre Arbeit verrichten. Der Traum jedes Managements ist wohl die totale Kontrolle über die Arbeit. Zugleich ist die Arbeit in der Fabrik und in den Büros von der Kooperation der Beschäftigten bestimmt. Mit Kontrolle alleine, einem System von Befehl und Gehorsam, lässt sich kaum ein großes Unternehmen führen, und ein kleines vielleicht sogar noch weniger.
Die Beschäftigten müssen miteinander kooperieren. Daraus entsteht ein Gefühl der Kollegialität. Abläufe werden dann von den Beschäftigten unterlaufen. Es gibt Eigensinn und auch Raum für Eigensinn, wenn man als Unternehmen erfolgreich sein will. Es gibt Anpassung, klar, aber in zwei Richtungen: Beschäftigte passen sich an Vorgaben an, und Vorgaben an Beschäftigte. Unsichtbar sind auch: Die informellen Regeln. Die Hackordnungen.
Arbeit ist unsichtbar. Ein provokanter Satz. Ein anderer vielleicht: „Arbeit ist nur ein Gefühl“.
Was heißt das denn? Schrauben, fräsen, montieren, tüfteln, mauern – notieren, skizzieren, kalkulieren, programmieren, studieren, kassieren, pflegen, Kranke waschen – all das sind Tätigkeiten, keine Gefühle. Aber wir können die Arbeit nicht verstehen, wenn wir Gefühle ignorieren.
Es beginnt schon bei der Motivation, überhaupt eine Arbeit anzunehmen. Da ist einmal Angst, die Angst nämlich, zu verarmen, wenn man es nicht täte. Aber viele Menschen lieben ihre Arbeit auch. Wir wollen sie ordentlich machen, dafür geschätzt werden, anerkannt und respektiert. Wir wollen auch ins Geflecht von Kollegenschaft eingewoben sein. Es sind oft die engsten sozialen Kontakte, und meist die allerwichtigsten Quellen von Anerkennung. Arbeit gibt Selbstbewusstsein, kann aber das Selbstbewusstsein auch untergraben. Wenn man respektlos behandelt wird, gibt’s ein schlechtes Gefühl. Umgekehrt gibt es ein Hochgefühl beim Workflow.
Kritik der Arbeit
Seit der Arbeiterbewegung und seit Marx‘ und Engels‘ Theorien war die Kritik an der Organisation der Arbeit zentral. Die Arbeiter, die Beschäftigten, schaffen Werte, die sich andere aneignen.
Die Teilung der Arbeit im aufkommenden Industriesystem führte zur Entfremdung der Arbeit, zu einer doppelten: Man ist als Lohnabhängiger eingespannt in einem System, das nur den Kapitalbesitzern dient, also nicht Herr über die Produkte der Arbeit. Man ist schlimmstenfalls auf ein, zwei repetitive Handgriffe beschränkt. Besonders kritisiert wurde natürlich das konkrete Elend konkreter Arbeitsverhältnisse: Schlechter Lohn, kein Schutz, Arbeit, die krank macht und Wohnquartiere, in denen Seuchen herrschen.
Diese Kritik der Anführer oder Vordenker war aber auch immer konfrontiert mit dem, was die realen Arbeiterinnen und Arbeiter dachten. Der legendäre Sozialhistoriker E. P. Thompson nannte das die „moralische Ökonomie“. Die Beschäftigten hassten ihre Arbeit nicht, sondern waren vielleicht stolz auf sie. Sie zogen ihre Identität nicht nur aus ihrer Arbeit, sondern aus ihrem Berufsbild. Aus ihren handwerklichen Fähigkeiten. Sie wollten für sie respektiert werden, und legten auf diesen Respekt besonderen Wert, was einen nicht überraschen sollte: Sie haben sonst oft keine andere Quelle der Anerkennung, des Respekts und damit des Selbstrespekts.
Die gute Arbeit
Die Arbeiterbewegung, die dann von den Flausen im Kopf der Theoretiker etwas abgehen musste, weil sie mit den moralischen Vorstellungen realer, echter Arbeiter konfrontiert war, schwächte eine fundamentale Kritik an der Arbeit dann ab. Nicht mehr Befreiung von der Arbeit, nicht mehr fundamentale „Arbeitskritik“, sondern Befreiung der Arbeit wurde gepredigt: Gute Arbeit, Sicherheit und Schutz und sogar Mitbestimmung. Das schlug bald fast in das Gegenteil von „Arbeitskritik“ um, in eine religiöse Verehrung der Arbeit. Man singt es bis heute jedes Jahr: „Die Arbeit hoch“.
„Die alte protestantische Werkmoral feierte in säkularisierter Gestalt bei den deutschen Arbeitern ihre Auferstehung“, spottete Walter Benjamin.
Ab den späten sechziger Jahren gab es einen neuen Aufstand gegen diese Arbeitsreligion, gegen diese Werkmoral. Gegen diese Angepasstheit. Auch gegen die Identifikation mit Arbeit, Beruf und der „Stelle“. Da war einerseits die Neue Linke, die Studentenbewegung, die radikale Ideen wiederbelebte. Da war auch die Frauenbewegung, der Feminismus, die die patriarchalen Normen des Arbeitskults anprangerten. Und natürlich gab es auch eine generell rebellischere Jugend, die sich nicht einfach unterordnen wollte.
Spätere kritische Theorien verdammten die Identifikation mit der Arbeit. Dass man seine Identität aus der Arbeit, aus der Stelle, aus dem Beruf zieht – das wurde als seelische kapitalistische Verkrüppelung angesehen.
Das fiel auch deshalb auf fruchtbaren Boden, weil sich die moralische Ökonomie merklich verändert hatte: Wo Beratungsfirmen wie McKinsey und andere einmal eingeritten waren, wurden alle Freiräume ausgemerzt. Die Arbeit wurde vermessen, oft jeder Schritt überwacht. Der Eigensinn, bis zur Kaffeepause in der Küche mit den Kollegen, alles wurde förmlich verboten. Die Firmen wurden auf Effizienz getrimmt, was zu noch mehr Stress und Arbeitsdruck führte.
Stellen wurden gestrichen, die verbliebenen Beschäftigten durften sich ein Bein ausreißen, und wussten oft nicht mehr, wo ihnen der Kopf steht. Die Angst, bei der Rationalisierung der Nächste zu sein, steckte auch ihnen in den Gliedern. Und der unausgesprochene Deal war auch aufgekündigt, der Deal nämlich, dass es für Fleiß und Selbstausbeutung einen Aufstieg in bessere Stellen und von denen dann den Aufstieg zu materiellem Wohlstand gibt – dieser Deal war passé, jedenfalls in vielen Branchen.
Die Abkehr der Enttäuschten
Genau das, die neue Karriere der Arbeitskritik und die Zerstörung der moralischen Ökonomie früherer Jahrzehnte, sie führte dazu, dass es in den eher jüngeren Arbeiternehmerkohorten ein distanzierteres Verhältnis zu ihrer Arbeit gibt. Innere Kündigung ist ein Schlagwort.
Die Verweigerung, sich vollends mit dem Beruf zu identifizieren und sich reinzuhängen für die Stelle. Eine innere Distanzierung. Das Motto: Besser nur ein 3-Tages-Job mit 25 Stunden und dann den Rest der Woche Zeit für Hobbys.
Ich habe aber den Eindruck, dass diese innere Kündigung eher unglücklicher als glücklich macht. Es fängt ja schon mit einer einfachen Tatsache an: Die meisten Menschen brauchen einen Vollzeitjob, oder zumindest einen annähernden Vollzeitjob – 32 Stunden, beispielsweise – um finanziell über die Runden zu kommen. Außer man ist ein reicher Erbe. Über 32 Stunden pro Woche etwas tun, ohne Identifikation, mit innerer Distanz, als etwas, was einem fremd, äußerlich und feindlich ist – das ist eine große Belastung. Dienst nach Vorschrift und keinen Handgriff zuviel, ich sehe eigentlich nicht, wo das irgendjemanden froh macht. Das ist eine Sackgasse.
Die Befreiung der Arbeit von ihren Zwängen, die Befreiung der Arbeit von ihren sinnlosen Aspekten, die Befreiung der Arbeit vom Repetitiven, das nicht fordert; die Befreiung der Arbeit auch vom Druck, Stress und dem totalen Trimmen auf Effizienz; der Eigensinn in der Arbeit, statt der Exodus aus der Arbeit, die Humanisierung, die Demokratisierung, die tiefe intrinsische Motivation, etwas zu tun, was den eigenen Ansprüchen an Sinn genügt – und nicht nur als Hobby neben der Arbeit, sondern in jener Tätigkeit, die verdammt viel Zeit im Leben frisst –, all das sollten wir nicht aufgeben, sondern wieder beleben.
Ich würde nie einem jungen Menschen raten: Such dir einen Job, den du gut nebenbei erledigen kannst und verweigere dich darüber hinaus der Arbeits-Ideologie. Das wäre eine Anleitung zum Unglücklichsein.
Ich würde eher raten: Mach, was du wirklich willst, mach das zu deinem Beruf, was dir Freude macht, gib nicht auf, wenn es nicht sofort klappt.
Bilde in der Firma mit einer motivierten Kollegenschaft eine Gegenmacht, wenn man Euch unwürdig behandelt. Macht euch unersetzbar. Dann kannst du dem Chef sinngemäß sagen, wenn der Unsinn fordert, „leck mich, ich mach das wie ich will. Wenn es dir nicht passt, kannst es dir selber machen“.
Befreiung der Arbeit, Befreiung in der Arbeit, nicht Befreiung von der Arbeit!
Titelbild: Miriam Moné
