Es passiert etwas in Europa. Es passiert unumkehrbar. Es ist beängstigend. Die Feindseligkeit gegen alles Jüdische ist unübersehbar.
Ein Mann gibt an, eines österreichischen Campingplatzes verwiesen worden zu sein, weil er aus Israel kam. Drei Menschen sprachen Hebräisch in einer Pizzeria und geben an, des Lokales verwiesen worden zu sein, das Lokal dementiert. Der Campingplatzbetreiber dementiert ebenfalls. Nachdem ein Kollege bei dem Betreiber nach den Gründen nachhakt, verstrickt er sich in Widersprüche. In Spanien wird eine jüdische Jugendgruppe aus Frankreich des Flugzeuges verwiesen, die Begleitperson kurzfristig festgehalten und von der von ihr zu betreuenden Gruppe getrennt. Die Fluglinie dementiert. Es gibt Augenzeugen, die der Erklärung der Fluglinie heftig widersprechen.
Das sind alarmierende Anzeichen einer Zeitenwende. Man kann sich wieder an Juden und Jüdinnen abreagieren. Man kann es mit dem Nahostkonflikt erklären und meint, damit eine passable Entschuldigung zu haben. Offenbar ging es aber bei vielen, die jetzt hierzulande, beziehungsweise in Europa, gegen Menschen, die aus Israel kommen oder Menschen, die Hebräisch sprechen und singen, inakzeptabel vorgehen, nie um etwas anderes als den alten Antisemitismus. Er war nie weg. Es war nur nicht opportun, ihn zu zeigen. Jetzt ist das anders.
Innere Zensur
Ich erwische mich dabei, wie ich bei bestimmten Bekannten, ja sogar Freunden vorsichtig werde. Ich kenne diese Vorsicht von meinen Eltern. Aber das war in der UdSSR. Es ist lange her. Ich hätte nie gedacht, dass es einmal mich betreffen würde. Die innere Zensur des Gespräches setzt noch vor der realen Selbstzensur ein. Ich will diese Menschen nicht verlieren, und ich weiß, dass ich sie ab gewisser Entgleisung der Kommunikation verlieren werde. Weil dann ein Punkt ohne Wiederkehr überschritten werden würde. Ich habe Freunde in Israel. Ich habe Verwandte in Israel. Ich verurteile Antisemitismus aus ganzem Herzen, ebenso, wie ich Rassismus verurteile. Ich verurteile die Grausamkeit dieses derzeitigen Krieges, ich verurteile die Grausamkeit, die die Geiseln ertragen müssen, ich verurteile die Tatsache, dass auf beiden Seiten Kinder sterben, ich verurteile, dass die palästinensischen Kinder von der Hamas als Schutzschild missbraucht werden, was viele nicht zu stören scheint, ich verurteile die vereinfachenden Zuschreibungen, die die Tiefe dieses Konfliktes nicht anerkennen, ich verurteile die Siedlergewalt, ich verurteile die Gewaltorgie der Hamas am 7.10.
Nichts wäre mir lieber als Frieden in dieser Region. Wenn ich das ausspreche, ohne einseitig zu werden, wenn ich das festhalte, dass aber die Hamas die Vernichtung Israels und damit der dort lebenden Juden nie aufgegeben hat, ja, auch wenn ich gleichzeitig anmerke, dass die Regierung, die Nethanjahu auf sein Land und auf die Palästinenser losgelassen hat, eine fürchterliche ist, wird mich das dennoch Freundschaften kosten. Vielleicht ist dieser Gedankengang falsch. Vielleicht ist eine Freundschaft, die sich vor brennenden Punkten drückt, keine echte. Vielleicht war sie auch nie eine. Wer weiß.
Nicht jeder wählt Netanjahu
Ich erwische mich dabei, darüber nachzudenken, welche meiner Eigenschaften vielleicht der jüdischen Abstammung zugeschrieben wird. Und damit verurteilt. Ich habe noch nie zuvor solche Gedankengänge gehabt. Ich kenne andere, denen es ebenso geht. Es passiert etwas in Europa. Es passiert unumkehrbar. Es ist beängstigend. Die Kinder, die des Flugzeuges verwiesen wurden, waren keine Israelis. Aber sie waren jüdisch, was offenbar genügte. In Social Media tauchte der Einwand auf, man hätte in dem Lokal eben nicht öffentlich Hebräisch sprechen sollen. Darf ich nach dieser Logik nun nicht mehr Russisch mit meinen Verwandten sprechen, darf ich dann wegen Putins Politik aus einem Lokal geworfen werden? Ich habe mich immer dafür eingesetzt, dass Menschen nicht aufgrund ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Sprache diskriminiert werden dürfen. Mir ist es egal, ob das nun Türkisch, Russisch oder eben Hebräisch ist, welche dieser Sprachen zu einem Lokalverweis führt, denn jede solche Begründung ist keine. Sondern Rassismus. Nicht jeder Mensch, der aus der Türkei kommt, hat Erdogan gewählt. Nicht jeder Mensch wählte Netanjahu. Als Strache oder Haider an der Macht waren, waren es auch nicht alle Menschen aus Österreich, die sie unterstützten. Wir waren nicht alle automatisch Nazis. Ach, das vergisst sich offenbar so luftig leicht.
Titelbild: Miriam Moné
