Samstag, Dezember 6, 2025

Der Spiegel im Spiegel

Als Kirsche auf der Torte sind einige Männer von einem Artikel, der Femizide thematisiert, beleidigt, als hätte jemand geschrieben, sie persönlich wären an Femiziden schuld.

Vor ein paar Tagen wurde der Täter, der seine Exfreundin ermordet hatte, festgenommen. Er hat einen klassischen Femizid begangen. Die junge Frau hat wegen ihrer Selbstbestimmung sterben müssen, ein Schicksal, das sie entsetzlicherweise mit vielen Frauen teilt. Ich habe darüber geschrieben. Und jetzt müsste man meinen, die Gesellschaft hätte eine überwältigend klare Meinung zu solchen Gewalttaten. Aber bei jedem Blick in soziale Medien zeigt es sich: so klar ist die Meinung nicht.

Vor allem ein Aspekt erschüttert mich ganz besonders: andere Männer, die diese Gewalttat schönreden. Relativieren. Sie verdrehen. Die Frau ist schuld. Die Ermordete und dann auch noch andere. Die Mütter zum Beispiel! Und wenn es nicht die Mutter oder andere Frauen waren, dann waren es die Nichtautochthonen. Nur diese Zugezogenen töten bekanntlich Frauen, sonst niemand. Und überhaupt, wo bleibt das Mitleid für verlassene Männer, die eben sich nicht anders zu helfen wissen? Wie kann sich man sich überhaupt dazu versteigen, über Gewalt an Frauen zu schreiben, sie anzuprangern, man solle doch bedenken, auch Männer werden getötet! Das stimmt, aber zuallermeist eben nicht von ihren Partnerinnen oder Exfreundinnen.  Und ein Artikel über einen Femizid ist ein Artikel über einen Femizid ist ein Artikel über einen Femizid. Der Artikel ist offensichtlich gleichzeitig ein Menetekel.

Da werden Verrenkungen ausgeführt, dass die Belegschaft des Cirque du Soleil neidesblass werden könnte. Und, als Kirsche auf der Torte, sind einige Männer von einem Artikel, der Femizide thematisiert, beleidigt, als hätte jemand geschrieben, sie persönlich wären an Femiziden schuld. Ja, ganz genau Sie, der dritte User von rechts, der gerade zornesfaltig in diesen Text hineinguckt in der Hoffnung, dass kein Esel hinausschaut. 

Das Wunderbare, das Erleichternde daran ist: Es sind nicht alle Männer. #Notallmen! Ganz und gar nicht. Die allermeisten Männer leiden durch eine Trennung und begehen eben keine Gewalttaten. Sie verurteilen Gewalt gegen Frauen. Sie greifen ein, wenn sie Übergriffigkeiten im öffentlichen Raum bemerken. Und sie fühlen sich nicht automatisch mitgemeint, wenn man eine konkrete Tat öffentlich verurteilt und nach Lösungen für das galoppierende Problem der Gewalt gegen Frauen sucht. Sie fühlen sich nicht angegriffen, weil sie Verbündete sind. Weil sie ihre Beziehungen zu Frauen nicht über Dominierenwollen und Kontrollsucht definieren. Solche Männer sind Männertherapeuten und Sozialarbeiter, Ärzte und Politiker, Lehrer und Journalisten, vielleicht sind sie Arbeitskollegen, Verwandte, Freunde. Sie wollen ein bessere, eine gemeinsame Welt mit Frauen teilen. Und das Allerwichtigste, das, was im Getöse virtueller Welten vielleicht leicht untergeht: Sie sind mehr. Sie sind nur nicht so betäubend laut. Dafür sind sie da, wenn es auf sie ankommt. Und die Gesellschaft braucht sie.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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