Warum die Emotionen in der Politik nicht den Rechtsextremen und Faschisten überlassen werden dürfen.
Diese Woche hatte ich im Kreisky Forum ein hoch interessantes Gespräch mit dem Politikwissenschaftler und Wahlkampfexperten Johannes Hillje, der ein famoses Buch mit dem Titel „Mehr Emotionen wagen“ geschrieben hat. Darin geht es darum, dass wir eine „Politik der Gefühle“ nicht den Rechten und dem Populismus überlassen dürfen. Die Basisannahme teilt im Grunde ja jeder: Es gibt kein Denken ohne Emotion. Es gibt nicht die Gefühle auf der einen Seite und die ganz nüchterne Rationalität auf der anderen Seite, weil es kein Denken gibt, das nicht auch von Emotionen eingefärbt ist. Selbst für den allerrationalsten Rationalismus gilt, dass ein Argument schlüssig und überzeugend sein muss, aber dass zugleich Emotionen zum Klingen gebracht werden müssen, damit mich ein Argument packt. Und wenn es meinen Werten widerspricht, werde ich eine Abwehrhaltung dagegen haben. Auch Stimmungen sind für die Überzeugungskraft elementar. Weil oft die erste, unmittelbare Reaktion zählt, und die ist meist eine gefühlsmäßige.
Entdeckung 1: Der Rechtsextremismus schürt nicht nur miese Gefühle
Hillje stellt aber auch ein paar Grundannahmen in Frage, die sehr viele Leute spontan haben: Etwa, dass der Rechtsextremismus nur mit negativen Emotionen arbeite, indem er Angst schürt, das Ressentiment nährt, den Groll und die Leute, die in seine Fänge geraten, mit Negativismus und sogar Hass vollpumpt. Zwar ist diese Negativismus-Diagnose zweifellos richtig, aber die rechte Agitation versucht zugleich die negativen Gefühle in positive Gefühle zu verwandeln, was häufig übersehen wird. So von der Art: „Die Welt ist schlecht, alles geht den Bach runter, Eliten betrügen Euch, aber hier kommt der Anführer, der Euch retten wird.“ Es gibt „rechte Gefühle“, die sich für die, die sie haben, wohlig anfühlen.
Die einzelnen Wütenden werden etwa zu einer Gemeinschaft der Wütenden zusammengeführt, die dann ein Gemeinschaftsgefühl haben.
Oder Leute, die sich als ohnmächtige Opfer fühlen, werden mit einer Identität ausgestattet. Beispielsweise, wenn die Agitation ihnen vermittelt: „Es ist okay, wie ihr seid!“
Das ganze Spektrum „rechter Gefühle“ wäre einmal eine längere Debatte wert, aber hier nur knapp, wie Hillje das sieht: Die rechte Agitation greift Angst auf, verwandelt sie in Wut, erfüllt aber dann sofort „das Bedürfnis nach einem positiven Gefühlsausgleich mit attraktiven Hoffnungs- und Identifikationsangeboten. Opfer- und Retterrolle sind in der populistischen Dramaturgie untrennbar miteinander verbunden“, die Anhänger werden mit „Wärme“ und sozialer Gemeinschaft umgeben.
Für Betrachter von Außen sind die Faschisten Brandstifter und Menschenfeinde, „für die ‚Insider‘ Aufklärer, Kümmerer und Erlöser, ja sogar Vater- und Mutterfiguren, die die Dinge in die Hand nehmen“. Donald Trump etwa wirft in seinen Reden mit Liebe nur so um sich, „Liebe für seine Wählerinnen und Wähler, für die ‚vergessenen Frauen und Männer dieses Landes‘“.
Selbstwert und ‚Weiße Identitätspolitik‘
Ganz ähnlich hat das auch schon der deutsche Kulturwissenschaftler Simon Strick formuliert, der ein ganzes Buch über „rechte Gefühle“ geschrieben hat. Diese rechten Gefühle erlauben, so Strick, „eine intime Identifizierung mit rechten Inhalten, Haltungen und Affekten“. Rechte Gefühlspolitik bedient nicht nur Hass und Ausgrenzung, sondern besteht „ebenso in der Produktion von Selbstwertgefühl und ‚weißer Identitätspolitik‘.“
Man kann es auch simpler sagen: Wer ins rechte Universum abdriftet, bekommt beispielsweise Gemeinschaftsgefühl, während er sich vorher vielleicht als isoliert und ohnmächtig empfunden hatte. Und wer sich vorher runtergemacht fühlte, empfindet plötzlich ein wenig Stolz.
Nun betrachten wir die vernünftigen, nichtpopulistischen Parteien der Mitte oder Mitte-Links-Parteien wie Sozialdemokraten, US-Demokraten, Grüne oder andere. Sie sind logischerweise nicht so „gut“ im Schüren negativer Emotionen – dazu fehlt ihnen das Destruktive, der Zynismus und der Nihilismus –, aber sie sind auch ganz schlecht in dem, was Hillje „demokratische Emotionalisierung“ nennt. Denn meist sprechen sie eher technisch. Häufig über Steuersätze, und seltener über Werte. Oder sie flüchten sich in „stoische Sachlichkeit“. Es gibt auch eine intuitive Abwehr gegen „Moralisierung“, weil das pfäffisch wirkt. Angesichts der faschistischen Welle sind sie außerdem häufig defensiv.
Womöglich ist unter den „linken Gefühlen“ heute vor allem die Angst vor der rechten Welle, des aufkommenden Faschismus oder der Auswirkungen der Klimakatastrophe dominierend, Gefühle, für die es gute Gründe gibt, die aber ihrerseits schnell lähmend wirken können und jedenfalls eher wenig Raum für eine Politik der Hoffnung geben. Ein Dilemma.
Entdeckung 2: Eine Mehrheit für „linke Gefühle“
Die radikale Rechte schafft mit ihrer Agitation nicht nur negative Gefühle, um sie in Gemeinschaftsgefühle zu verwandeln, sie gibt den Menschen dann auch eine „soziale Identität“ als Gruppe, etwa die der „normalen Leute“, die sich „für nichts zu schade sind“, auf die „heruntergeschaut“ wird, die aber jetzt, wo sie sich zusammengetan haben, einen „Stolz“ haben. Kurzum: Sie produziert „kollektive Identität“.
Auch in Hinblick auf die Schaffung einer gemeinsamen sozialen Identität ist die Linke heute eher schlecht, was eigentlich absurd ist, liegen ihre Wurzeln doch gerade darin, etwa in der Arbeiterbewegung. Eine stabile, wärmende „Gruppenidentität“, sie ist in den verschiedenen Mitte-Links-Milieus heute eher selten.
Dabei gäbe es, so Hillje, durchaus stabile Mehrheiten für progressive und moderat-konservative politische Emotionen. Er weiß das, weil er als Politikberater, Wahlkampf-Experte, Demoskop und Sozialforscher, der auch regelmäßig mit Daten, Umfragen und Tiefeninterviews arbeitet, mehr als nur eine Ahnung hat über die intuitiven Empfindungen der Menschen. Die übliche, nüchterne, sachliche, ausgewogene, argumentierende progressive Redeweise hat meist die niedrigste Zustimmung. Nicht, weil die Menschen sie für falsch halten, sondern weil sie bei ihnen keine intuitive, emotionale Reaktion auslöst. Sie geht, salopp gesagt, beim einen Ohr rein und beim anderen raus.
Bemerkenswert ist aber, welch breite Zustimmung progressive und moderat-(christlich)-konservative Emotionen eigentlich finden und dass sie in den Tiefeninterviews stets die rechte Emotionalisierung schlagen. Beispiel Migration: linke „Wutbotschaften“ wie die Entrüstung über das Sterben im Mittelmeer und linke positive Emotionen wie der „Stolz auf Weltoffenheit“ und Integration und gelungene Aufnahmefähigkeiten haben sehr starke Zustimmung. Genauso wie die Empörung darüber, dass die Reichen einen gigantischen CO-2-Ausstoß haben, die normalen Menschen, die viel weniger emittieren aber den Schaden durch die Klimakatastrophe. Sie findet ebenso starke Zustimmung wie die konservative Hoffnungsbotschaft, dass wir es unseren Enkeln und Kindern schuldig sind, ihnen „Mutter Erde“ in intaktem Zustand zu hinterlassen. Hillje hat das in vielen Studien abgetestet.
Die Sehnsucht nach Hoffnung
Wut und Negativismus haben in der heutigen digitalen Öffentlichkeit mit der Jagd nach Klicks und der Bewirtschaftung von Erregung einen immensen Vorteil. Und die Grundstimmung fast aller Menschen ist heute nicht „Zuversicht“, sondern „Besorgnis“. Aber was die Forschungen auch zeigen: „Intuitiv wollen die Menschen hoffen können“, so Hillje. Gerade wenn Befragte unmittelbar auf eine Botschaft reagieren müssen, „bevorzugten sie emotional das Hoffnung-, Stolz- und Glückmachende“. Diese emotionalen Botschaften von Stolz, Hoffnung, Gemeinschaftsgeist, Zusammenhalt und sozialer Identität müssen freilich formuliert, vertreten und stetig wiederholt werden – etwas, was im Getöse oft vergessen wird.
Titelbild: Miriam Moné
